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Kampusch, die Wahrheit und die Justiz

 Die Indizien sind nicht neu. Sie sind hier auch schon mehrfach aufgelistet worden, aber dennoch überwältigend. Sie bedeuten: Im Fall Kampusch scheint ganz bewusst nicht die ganze Wahrheit gesucht worden zu sein. Neu und bewegend sind aber zwei andere Aspekte der gleichen Affäre.

Neu ist, dass ein ehemaliger Spitzenrichter den Mut hat, als normaler Staatsbürger mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit alle Volksvertreter zu informieren, wie massiv die Hinweise sind, dass die Staatsanwaltschaft in Sachen Kampusch die ganze Aufklärung und die Anklage gegen einen mutmaßlichen Zweittäter unter den Tisch gekehrt hat. Neu ist aber auch der erschütternde Hinweis, dass ein gewissenhafter Kriminalbeamter deshalb Selbstmord begangen haben könnte, weil er offenbar nicht mehr ertragen hat, dass er unter Druck die Ermittlungen einstellen musste. Aber natürlich gilt die Unschuldsvermutung auch für die Staatsanwaltschaft selbst.

Die Entwicklung hat auch etwas Positives: Solange diese Republik noch einige so aufrechte und mutige Männer hat wie den ehemaligen OGH-Präsidenten Hans Rzeszut, ist mir noch nicht ganz bange um sie. Rzeszut könnte ja in Ruhe seine Pension genießen. Die Sorge, dass einem mutmaßlichen Schwerverbrecher in diesem Land das fällige Strafverfahren erspart bleiben könnte, ließ ihm jedoch keine Ruhe, sodass er, ganz auf dem Boden der Verfassung, als Bürger die Parlamentsklubs über diese massive Sorge informierte.  

So tragisch ein Selbstmord auch ist: Es macht auch irgendwie Mut, wenn einem österreichischen Beamten keineswegs alles wurscht ist, wenn er seine Aufgabe, für Recht und Ordnung zu sorgen, total ernst nimmt. Sogar bis zur letzten Konsequenz. Auch wenn man diese letzte Konsequenz nie für richtig halten wird.

Was aber können die Motive für das Verhalten der Staatsanwaltschaft sein?

War es etwa die Sorge, dass man mit den vorliegenden Indizien gegen den mutmaßlichen Zweittäter keine Verurteilung erreichen könnte? Nun: Die Staatsanwaltschaft hat schon bei viel schwächerer Beweislage Anklage erhoben.

Viel wahrscheinlicher ist ein anderes Motiv: Man wollte vermeiden, dass Natascha Kampusch in den Zeugenstand muss, wo sie erstmals unter voller Wahrheitspflicht aussagen hätte müssen. Und das will sie ganz sicher nicht. Da gibt es zu viele Widersprüche in ihren bisherigen Behauptungen. Da gibt es zu viele Hinweise auf gute Beziehungen Kampuschs mit dem Entführer Priklopil, aber auch mit dem mutmaßlichen Zweittäter.

Warum Kampusch sich da so verstrickt hat, muss vorerst offen bleiben. Hat sie nicht nur zu Priklopil, sondern auch zu dem mutmaßlichen Zweittäter eine so enge Freundschaft entwickelt, dass sie diesen schonen will? Oder steht sie für den Fall unter Druck, dass sie auspackt?

Für alle anderen Spekulationen, die derzeit durch Wien laufen, gibt es keine seriösen Beweise. Sie wären auch  so unglaublich, dass man sie nicht wirklich glauben will. Sie drehen sich um andere mögliche Motive der Wiener Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft, warum sie seit Jahr und Tag eine volle Untersuchung samt einer Aussage Kampuschs verhindern.

Das trifft auf alle Hinweise bezüglich der auffälligen SPÖ-Nähe einiger Kampusch-Berater der ersten Stunde und der ebenfalls großen SPÖ-Nähe der jetzigen Chefs der beiden Wiener Staatsanwaltschaften und auch eines beigezogenen steirischen Sonder-Staatsanwalts zu. Das trifft noch viel mehr auf die Spekulationen zu, im Hintergrund sei ein Kreis von prominenten Kinderschändern involviert gewesen.

Es bleibt also die Rücksicht auf Kampusch das wahrscheinliche Motiv. Das ist nachvollziehbar. Kampusch war vor allem in den ersten Wochen nach der Flucht eine globale Opferfigur, der man aus einer natürlichen Scheu heraus keine kritischen Fragen stellt, deren Wünsche man respektiert. Und später blieb man dann bei dieser Linie, weil man sich ja sonst selbst blamiert hätte.

Aber ist es nicht richtig, auf Kampusch Rücksicht zu nehmen, werden manche fragen. Nun, die Strafverfolgung darf laut dem Gesetz bei schweren „Offizialdelikten“ gar nicht Rücksicht darauf nehmen, ob auch das Opfer einen Strafprozess will. Denn Opfer wären deswegen häufig heftigen Pressionen ausgesetzt. Außerdem könnten solche Täter ja oft auch weitere Taten begangen haben – oder künftig begehen, vor denen die Bevölkerung zu schützen ist.

Sehr merkwürdig ist im übrigen auch die Rolle einer Strafrichterin, die den ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Adamovich (geschmackvollerweise am Heiligen Abend) in einer Ehrenbeleidigungs-Causa verurteilt hat. Auch darin ging es im wesentlichen Kern um die von Adamovich ganz im Einklang mit Rzeszut geäußerten Zweifel an der Selbstdarstellung Kampuschs. Diese Richterin ist aber zufällig die Tochter des früheren Leiters der Wiener Staatsanwaltschaft, deren Vorgehen ja von Adamovich kritisiert worden ist. Die Richterin hat dennoch keinen Grund gesehen, sich zu entschlagen – während wir gerade im Verfahren rund um die Herausgabe von ORF-Tonbändern erfahren, dass eine solche Nahebeziehung zwischen Staatsanwalt und Richter sehr wohl zur Nichtigkeit führen muss. Und die Argumentation, das Privatanklageverfahren der Kampusch-Mutter wegen Adamovich-ASssagen über die Kindheit der jungen Frau hätte nichts mit der Causa Kampusch selbst zu tun, ist ja schon mehr als seltsam.

In unserer Justiz sind offenbar merkwürdige Kräfte am Werk, gegen die sich auch zwei der renommiertesten Gerichtspräsidenten nicht durchsetzen können. Und das macht dann doch mehr als angst und bange.

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