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Ein ganz besonderes Kulturgut im Herzen Wiens ist dem Verfall preisgegeben. Was unter größter Anteilnahme der Wiener Bevölkerung am 2. Oktober 1960 feierlich von gleich zwei Kardinälen eingeweiht wurde, nämlich die Riesenorgel im Dom zu St. Stephan, verdreckt und verrottet, als hätte sie nie etwas gekostet oder bedeutet.
Doch das Gegenteil war der Fall: Die Riesenorgel leistete brav ihren Sonntagsdienst, bei kleinen Andachten ebenso wie großen Hochämtern. Vielen sind noch die wöchentlichen Konzerten am Mittwochabend in Erinnerung, an denen sich der nicht gerade kleine Dom oft bis auf den letzten Platz füllte.
Der Kölner Kardinal Josef Frings und sein Wiener Kollege Franz König hatten vor genau fünfzig Jahren die Orgel für die Kirche in Besitz genommen. Ihr Erbauer, Johann M. Kauffmann aus Wien, wäre heuer hundert Jahre geworden, starb aber schon fünf Jahre nach der Vollendung seines Lebenswerkes. Er hatte sich buchstäblich daran kaputtgearbeitet.
Doch dann kam das Jahr 1983. Auf den Thron eines "Dommusikdirektors" kam ein Orgelspieler, der das Werk von Anfang an gehasst hatte. Er redete dem ehrwürdigen Domkapitel ein, die Orgel sei zu leise.
Dieser Mann schaffte es, nicht nur eine der beiden Kauffmann-Orgeln zu schleifen (sie hing als "Schwalbennest" neben dem Wiener Neustädter Altar), sondern auch das größte Musikinstrument Österreichs stillzulegen. Dafür setzte er sich selbst auf Kosten der Kirchensteuerzahler ein Denkmal in Form einer "Barockorgel" an der rechten Wand des Domes.
Das band natürlich viele Mittel der Kirche und verhinderte die Instandhaltung der Riesenorgel. Beinahe drei Jahrzehnte dämmert daher nun schon eine der größten und meistbeachteten Kirchenorgeln Europas ungenutzt vor sich hin. Zuletzt gab es sogar Gerüchte, die Orgel solle gänzlich abgebaut und eventuell nach Ungarn verscherbelt werden.
Was anderswo einen Sturm der Empörung auslösen würde, vollzog sich im Schoß der Kirche klammheimlich und unauffällig. Unter der Hand wurde kolportiert, dass die Orgel nicht mehr spielbar sei und sich eine Reparatur nicht mehr lohnen würde. Journalistenanfragen wurden nicht oder nur verschleiert beantwortet. Man wollte nicht zugeben, dass man ein großes österreichisches Kulturgut regelrecht verschlampen lässt.
Die Riesenorgel ist ein königliches Instrument. Der Freipfeifenprospekt ist einer der schönsten der Welt. Sie verfügt über vier Manuale (Klaviaturen), 155 Register (Klangfarben) und rund 10.000 Pfeifen mit modernster Spieltechnik, auf der sich die gesamte Orgelliteratur aufführen ließe. Das Bundesdenkmalamt und mehrere Gutachter treten vehement für den Erhalt des Werkes ein.
Bislang gab es von Seiten der Kirche nur Beschlüsse, keine konkreten Taten. Immerhin ist der Totalabriss seit einigen Monaten vorläufig weg vom Tisch. Man fürchtet aber, dass eine Wiederherstellung in den Originalzustand von 1960 "zu teuer" käme, obwohl sogar die rote Gemeinde Wien bereits ihre Hilfe angeboten hat.
Hätte man die Riesenorgel zumindest regelmäßig gewartet und bespielt, wären die neue Orgel jedenfalls gar nicht nötig gewesen. Nun soll das eindrucksvollste Instrument in dieser Kirche nachträglich für frühere Fehlentscheidungen büßen.
Noch ist es nicht zu spät für die Rettung der Riesenorgel. Aber vieles deutet daraufhin, dass sich anstelle dieser kulturhistorisch notwendigen Rettung schon wieder jemand auf Kosten des Domes ein Denkmal setzen will – diesmal durch Unterkellerung des Platzes zwischen dem Dom und den Erzbischöflichen Palais. Von den noch absurderen Gerüchten, die derzeit durch Wien laufen, wollen wir ja gar nicht reden: nämlich dass es einflussreiche Kreise gibt, die ernsthaft über den Bau des zweiten Stephansturmes nachdenken.
Zum Glück ist der Wiener Kardinal, nach allem was man hört, in diesen Fragen erfreulich nüchtern und bodenständig. Die Kirchen Wiens, so hat er erkannt, brauchen keine Prestigeprojekte, sondern liebevolle Pflege der großartigen Substanz. Was teuer genug ist.