Das politische Establishment der beiden Regierungsparteien auf Bundesebene wirkt wie gelähmt. Alles blickt wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Landtagswahlen am 26. September in der Steiermark und am 10. Oktober in Wien. Um hier allfällige Erfolge nicht zu gefährden beziehungsweise nicht für Misserfolge haftbar gemacht zu werden, wurde auch die laut Bundesverfassung für spätestens 22. Oktober vorgeschriebene Budget-Einbringung auf Dezember verschoben.
Wie stellt sich die politische Großwetterlage Österreichs nun dar? Eigentlich für alle Parteien ein Sommer des Missvergnügens. Die ÖVP, welche mit Josef Pröll in den Umfragen sowohl was die Parteipräferenz als auch was die fiktive Kanzler-Direktwahl betrifft, im Frühjahr 2009 nach der Molterer-Wahlniederlage von Herbst 2008 die Faymann-SPÖ überholt hat, liegt nun wieder mehr oder minder Kopf an Kopf mit der SPÖ. Dies wird insbesondere der klassenkämpferischen neuen Strategie von Werner Faymann gutgeschrieben. Aauch die Budgetverschiebung scheint eher Pröll als Finanzminister als Faymann als Bundeskanzler zu schaden. Andererseits konnte Faymann die SP-Verlustliste bei Regionalwahlen auch im Frühjahr 2010 nicht stoppen – deutliche Verluste der SPÖ bei den steirischen Gemeinderatswahlen von 5,6 Prozent und sogar bei den burgenländischen Landtagswahlen von 3,9 Prozent, obwohl SP-Landeshauptmann Hans Niessl vermeintlich ideale Bedingungen (Stichwort Eberau) vorfand und eine absolute Mehrheit prognostiziert war.
Die FPÖ hatte ebenfalls keine sehr gute Performance – die Nominierung von Barbara Rosenkranz für die Bundespräsidentenwahl war eindeutig ein Fehler, der Zuwachs im Burgenland erschien auf den ersten Blick mit 3,23 Prozent auf 8,98 Prozent mickrig. Viele Kommentatoren haben allerdings übersehen, dass im Burgenland eine vom ehemaligen FP-Obmann inspirierte Bürgerliste 4 Prozent und ein Mandat errang – wenn diese nicht kandidiert hätte, wäre wohl ein größerer Teil ihrer Stimmen der FP zugefallen.
Die Grünen wiederum mussten zittern, ob sie überhaupt in den burgenländischen Landtag wiedereinziehen und schrieben ein Minus von 1,16 Prozent. Sie kommen auch bei den bundesweiten Umfragen nicht vom Fleck – möglicherweise haben sie mit rund 10 Prozent auf Bundesebene und 15 bis 20 Prozent auf Bundes- bzw. Landeshauptstadtebene ihr tatsächliches Potential ausgeschöpft.
Das BZÖ wiederum wird sich daran gewöhnen müssen, dass es zu einer marginalen Größe verkommt und der versuchte „Relaunch“ als rechtsliberale Kraft nach Haiders-Tod nicht gelingt. Für die Wahlen in der Steiermark und Wien sind Misserfolge vorprogrammiert.
Die entscheidenden Fragen für die beiden Landtagswahlen im Herbst sind daher:
- Wer hat bei dem Kopf-an-Kopf-Rennen in der Steiermark die Nase vorn?
- Wieviel verliert Michael Häupl in Wien und mit wem wird die SPÖ koalieren?
Selten wie ein Totzwölfer: Ein Landeshauptmannwechsel
Sollte Franz Voves mit der SPÖ die 2005 in der Steiermark erstmals gewonnene Mandatsmehrheit tatsächlich wieder verlieren, widerspricht das der bisherigen Statistik der österreichischen Landtagwahlen seit 1945.
Seit 1945 hat es vor der Steiermark bei mehr als 100 Landtagswahlen nur in drei Bundesländern einen Wechsel der Landeshauptmann-Partei gegeben – 1964 im Burgenland, 1989 in Kärnten und 2004 in Salzburg – und bisher hat es die Partei, die den Landeshauptmann verlor, noch nie geschafft, den Landeshauptmann zurückzugewinnen.
Im Burgenland sank die ÖVP von 47,3 Prozent 1964 auf 34,6 Prozent 2010 ab, in Kärnten fiel die SPÖ seit 1989 von 46 Prozent auf 28,7 Prozent.
Etwas anders stellt sich die Situation in dem 2004 von Gabi Burgstaller und ihrer SPÖ eroberten Salzburg dar. Sie verlor 2009 6 Prozent und liegt mit 39,4 Prozent nur mehr knapp vor der ÖVP mit 36,4 Prozent, die selbst 1,4 Prozent verlor. Der Vorsprung von 7,5 Prozent 2004 ist auf 2,9 Prozent, also um 4,6 Prozent geschrumpft.
Voves – Schützenhöfer Kopf an Kopf
In der Steiermark hatte die Voves-SPÖ 2005 mit 41,7Prozent nur einen Vorsprung von 3 Prozent auf die Klasnic-ÖVP von 38,6 Prozent. Eine Extrapolation des Salzburger Trends würde also wiederum eine Mehrheit für die Schützenhöfer-ÖVP ergeben. Überdies haben die Ergebnisse der steirischen Gemeinderatswahlen vom März 2010 nicht nur massive SP-Verluste, sondern auch VP-Gewinne erbracht. Der Abstand ÖVP zu SPÖ war bei steirischen Gemeinderatswahlen noch nie so groß wie 2010.
Dennoch muss ein gewisser „natürlicher“ Amtsinhaber-Bonus in Rechnung gestellt werden, den es für alle Landeshauptleute in Österreich – in der Steiermark freilich schwächer ausgeprägt als anderswo, aber doch – gibt. Auch der Bundestrend ist unwägbar. Sollte die Volkspartei die Pole-Position schaffen, wäre das ein österreichweit beeindruckender Erfolg für Hermann Schützenhöfer und sein Team.
Die SPÖ war übrigens bei steirischen Landtagswahlen neben 2005 auch schon 1953 stimmenstärkste Partei – damals allerdings nur hauchdünn, aber die Wahlarithmetik sicherte der ÖVP ein Mandat mehr. 1995 kam es bei knappem VP-Stimmenvorsprung zu Mandatsgleichstand.
Alle Umfragen zu den steirischen Landtagswahlen prophezeien ein mehr oder minder offenes Rennen.
Wie schneiden FPÖ, Grüne, KPÖ und Co ab?
Einige weitere Unbekannte machen den Wahlausgang und die Findung möglicher parlamentarischer Mehrheiten neben der wichtigen Frage, wer die Nummer 1 wird, besonders spannend:
Gegenwärtig steht es 5:4 für die SPÖ in der Landesregierung, im Landtag 25 SPÖ, 24 ÖVP, 4 KPÖ und 3 Grüne. Die FPÖ, die von 1991 bis 2005 in der Landesregierung vertreten war, versäumte den Wiedereinzug in den Landtag knapp.
Am Landtags-Comeback der FPÖ ist nicht zu zweifeln, offen ist die Frage, ob sie stark genug ist, um auch wieder einen Regierungssitz zu erreichen – dazu sind wohl mehr als 10 Prozent der Stimmen notwendig. Wenn ja, käme es in der Regierung wohl zu einer 4:4:1-Konstellation und die FPÖ wäre das „Zünglein an der Waage“. Die FPÖ erreichte ihr bestes Landtagswahlergebnis 1995 mit 17,15 Prozent und ihr bestes steirisches Nationalratswahlergebnis mit 29,2 Prozent 1999. Wenn die FPÖ den Einzug in die Regierung nicht schafft, hat die stärkste Partei automatisch die Regierungsmehrheit, weil die Grünen bei ihrer gegenwärtigen bundes- und landesweiten Performance (u.a. ungewollter Spitzenkandidaten-Wechsel) wohl kaum realistische Chancen auf einen Regierungssitz haben.
Die KPÖ wiederum muss um ihren Wiedereinzug in den Landtag bangen, da sich der „gute Mensch von Graz“, Ernest Kaltenegger, aus der Politik zurückzieht. Schon der Tausch seines Grazer Stadtratsmandates mit der Landtagsstube war ein strategischer Fehler, weil er sich dadurch seiner „politischen Bühne“ beraubte. In Graz erzielte er bei den Gemeinderatswahlen 2003 noch 20,75 Prozent, 2008 fiel die KPÖ in der Landeshauptstadt auf 11,18 Prozent zurück. Unklar ist, wohin die KP-Stimmen des Jahres 2005 fließen werden.
Ein Einzug des BZÖ in den Landtag gilt als äußerst unwahrscheinlich, obwohl Gerald Grosz medial hyperaktiv ist. Das letzte Mal kam das BZÖ mit Michael Schmid auf 1,72 Prozent. Um in den Landtag einziehen zu können, ist ein Grundmandat in einem der vier steirischen Wahlkreise notwendig, wobei das BZÖ in Graz und Umgebung am relativ stärksten ist. Auch dort sind aber wohl über 5 Prozent der Stimmen notwendig, bei den Grazer Gemeinderatswahlen kam das BZÖ mit Spitzenkandidat Grosz auf 4,3 Prozent. Ob der Haider-Mythos zwei Jahre nach seinem Tod in der Steiermark stärker wirkt, als vor einem Jahr in Oberösterreich, obwohl dort die Haider-Schwester Ursula Haubner kandidierte, ist mehr als fraglich. Dort erzielte das BZÖ 3,7 Prozent.
Wenn es ein knappes Wahlergebnis wird – etwa, ob die FP Regierungsstärke erhält –, dann könnten also durch die BZÖ-Kandidatur die entscheidenden Stimmen fehlen. Noch geringere Chancen werden der „Christlichen Partei Österreichs“ von Rudolf Gehring eingeräumt, der bei der Bundespräsidentenwahl kandidierte. Aber auch Kleinvieh macht Stimmenmist.
Andererseits sind die Hirschmann-Wähler von 2005 – etwas mehr als 2 Prozent – auch auf dem Markt.
Für Spannung ist jedenfalls gesorgt.
Wieviel verliert Michael Häupl?
In Wien geht es eigentlich nur um die Hauptfrage: Wieviel verliert Michael Häupl und mit wem wird die SPÖ koalieren?
Offizielles Wahlziel der Häupl-SPÖ ist das Halten der absoluten Mandatsmehrheit. Gegenwärtig verfügt die SPÖ mit 49,09 Prozent der Stimmen über 55 – also 55 Prozent – der Mandate. Durch das die stärkste Partei begünstigende Wahlrecht ist auch mit 46 Prozent der Stimmen eine absolute Mandatsmehrheit möglich. So erhielt die SPÖ 2001 mit 46,91 Prozent der Stimmen 52 Mandate.
Die publizierten Umfragen lassen das als möglich erscheinen, public opinion erscheint eher ein Szenario des Jahres 1996 realistisch, als die SPÖ unter Michael Häupl auf unter 40 Prozent absank – genau auf 39,2 Prozent. Die FPÖ wurde mit 27,9 Prozent zweitstärkste Partei, die ÖVP kam auf nur 15,3 Prozent, die Grünen auf 7,9 Prozent und das LIF damals auf 8 Prozent – mittlerweile sind die meisten LIF-Stimmen bei den Grünen gelandet.
Die public opinion-Prognose ist: Die SPÖ wird knapp über 40 Prozent landen, die FPÖ wird auf über 20 Prozent kommen, die VP wird sich mit 18-20 Prozent behaupten, die Grünen werden zwischen 12 und 14 Prozent einfahren. Die Hauptfrage ist: Wird die SPÖ – so wie zuletzt 1996-2001 – wieder mit der ÖVP koalieren oder wird sie sich die Grünen als Partner suchen. Die SPÖ verfügte seit 1945 – eben mit Ausnahme der Jahre 1996-2001 – stets über die absolute Mandatsmehrheit.
Dass die SPÖ in Wien bei den Gemeinderatswahlen auch diesmal über 40 Prozent kommen könnte, hat sie ausschließlich Michael Häupl zu verdanken. Dennoch wird es so starke Verluste geben, dass auf absehbare Zeit Häupl das Bürgermeister-Amt zurücklegen wird. Es gibt aber keinen logischen Nachfolger – immer wieder werden die Namen Rudolf Hundstorfer oder Michael Ludwig (Wiener Vizebürgermeister) kolportiert. Renate Brauner dürfte out sein.
Umfrage- und Wahlergebnisse aus der Steiermark und Wien sowie auf Bundesebene
Professor Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP) und ist als Geschäftsführer der "Dreischritt GmbH" und der "public opinion GmbH" publizistisch tätig. Er erstellt vor allem politische und strategische Analysen.
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