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Meinung machen statt zu berichten

Die Wahl des Bundespräsidenten ist mittlerweile dem öffentlichen Bewußtsein entrückt. Noch nicht behandelt wurde die Rolle der Medien im Wahlkampf. Um einen zumindest fragmentarischen Eindruck davon zu gewinnen, hat das IMAS-Institut Nachschau gehalten, wie die vier bundesweit verbreiteten Tageszeitungen Krone, Kurier, Presse und Standard das politische Geschehen publizistisch behandelt haben.

Die redaktionelle Ernte vermittelt zunächst den Eindruck eines Widerspruchs zwischen öffentlicher Neugier an der Wahl und deren publizistischem Reflex. In den Augen der breiten Bevölkerung handelte es sich beim Wettkampf um die Hofburg, wie eine IMAS-Umfrage belegt, um ein als ziemlich marginal empfundenes Ereignis, dem es überdies an Spannung fehlte.

Im Gegensatz zu diesem offenkundigen Mangel an öffentlicher Aufmerksamkeit entfachten ORF und Zeitungen ein mediales Feuerwerk, das sich in den vier überregionalen Gazetten in der respektablen Gesamtzahl von 412 redaktionellen Beiträgen niederschlug. 121 dieser Berichte und Kommentare standen im Kurier, 116 im Standard, 111 in der Presse, lediglich 64 in der Kronenzeitung, die sich somit am wenigsten mit der Präsidentenwahl beschäftigte.

Die Hälfte aller in den vier Blättern erschienen Berichte und Kommentare zur Bundespräsidentenwahl war im weitesten Sinne neutral und ausgewogen. Die andere Hälfte enthielt politische Sympathiebezeigungen bzw. Bewertungen von Kandidaten. Sofern solche vorgenommen wurden, fielen sie zu 26 Prozent gegen Barbara Rosenkranz, nur bei zwei Prozent zugunsten der FPÖ-Kandidatin aus. Die Pro und Kontras waren im einzelnen allerdings sehr unterschiedlich.

Bezeichnend ist, dass der mit dem Amtsbonus ausgestattete SPÖ-Vertreter Heinz Fischer weder besonders gelobt noch getadelt wurde. Applaus erhielt er am relativ häufigsten von Standard und Kurier, Kritik an ihm kam am ehesten von der Krone.

Standard und Kurier waren zugleich jene beiden Medien, die einen Großteil ihrer publizistischen Wahlkampfbegleitung dafür verwendeten, gegen Barbara Rosenkranz zu polemisieren: Der Standard nutzte 42 Prozent seiner Berichte oder Kommentare im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl zu negativen Aussagen über die FPÖ-Kandidatin, der Kurier 36 Prozent. In der Presse erschienen 18 Prozent Anti-Rosenkranz-Berichte, in der Krone waren es gar nur sechs.

Äußerst geringe Aufmerksamkeit fand der für die Christenpartei kandidierende Rudolf Gehring. Falls überhaupt, wurde ihm von den vier überregionalen Zeitungen eine eher abschätzige als freundliche Bewertung zuteil.

 

Am deutlichsten erkennbar wurden die unterschiedlichen Positionen der beobachteten Printmedien sicher am Volumen ihrer wertneutralen Beiträge: In der Presse erwiesen sich 70 Prozent der Veröffentlichungen zur Bundespräsidentenwahl als indifferent und neutral, in der Kronenzeitung 57 Prozent, im Kurier 43 Prozent, im Standard lediglich 34 Prozent.

Ein sehr großer Unterschied wurde zwischen der Krone und den anderen Blättern hinsichtlich der Zahl der Leserbriefe registriert. Während nämlich die Krone im Beobachtungszeitraum insgesamt 67 Zuschriften ihrer Leser mit Bezug auf die Hofburgwahl abdruckte, waren es bei der Presse 17, beim Kurier und Standard jeweils nur 16.

Die Kandidatenbewertung in den übrigen österreichischen Medien dürfte sich in der Generaltendenz nicht allzu sehr von den überregionalen Zeitungen unterschieden haben.

In einer Zusammenschau lässt sich feststellen, dass die Mehrheit der Medien im Präsidentschafts-Wahlkampf politisch Stellung bezogen hat. Damit bestätigt sich eine auf die deutsche Szene gemünzte Aussage der Allensbacher Demoskopin Prof. Renate Köcher auch für Österreich: "Journalismus will wirken, beeinflussen."

Im Gegensatz zum Aufgabenverständnis der britischen Zeitungsbranche wird hierzulande, ebenso wie in Deutschland, nicht die Meinungsvielfalt innerhalb eines Organs angestrebt. Das Ideal ist vielmehr ein engagierter Meinungsjournalismus mit dem Ziel, der Leserschaft eine von der Redaktion als richtig erachtete Denkweise anzuerziehen. Es geht den einheimischen Journalisten letztlich um die Wächterrolle in der Demokratie und um die Kritik an subjektiv empfundenen Mißständen, nicht so sehr um die Ausgewogenheit der Standpunkte.

Auch ein weiteres von Köcher aufgezeigtes Unterscheidungsmerkmal lässt sich übertragen, dass sich nämlich der österreichische Journalist (im Gegensatz zum englischen) gern in der Rolle des Intellektuellen erlebt, der eine gesellschaftlich notwendige, geistig-kreative Leistung vollbringt, neue Ideen vermittelt und gewissermaßen „Politik mit anderen Mitteln“ betreibt. Er fühlt sich als Advokat einer politischen Richtung, (die nach Lage der Dinge in Österreich eine empirisch belegte Präferenz für eine links-grüne Denkungsart aufweist).

Die Verfechter von politischen Erziehungsprozessen der Medien sind übrigens nicht zimperlich. Der Kommunikationsforscher Thomas Bauer forderte beispielsweise im Kurier vom 4.4. ohne Scheu ein manipulatives Verhalten, indem er mit Bezug auf die vom ORF getürkte Reportage „Am Schauplatz“ wörtlich erklärte: “Medien wie der ORF, aber auch andere, sollten viel bewusster regelwidrig arbeiten“.

Dennoch ist engagierter Meinungsjournalismus nicht automatisch zu verurteilen, denn er bietet auch Vorteile. Laut Renate Köcher bestehen diese darin, dass „Standpunkte pointierter herausgearbeitet, Kontroversen lebendiger ausgetragen, oft auch wünschenswerte gesellschaftliche Entwicklungen rascher vorantreiben als anderswo.“

Allerdings – (und das ist der österreichische Pferdefuß) – setzen die Vorzüge eines engagierten Meinungsjournalismus voraus, dass es eine breite Vielfalt des Medienangebots gibt und dass die Bevölkerung die Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Informationsvermittlern und Standpunkten hat.

Es stellt sich also die Frage, ob die wünschenswerte und demokratiepolitisch notwendige Vielfalt beim österreichischen Angebot von 17 Tageszeitungen, einigen Magazinen und dem ORF in ausreichendem Maß gegeben ist. Es fällt schwer, das mit Ja zu beantworten.

Die Tücken eines Meinungskonformismus lauern freilich nicht nur in einem zu schmalen Angebot von Medien, sondern ergeben sich auch aus der Praxis des journalistischen Alltags. Der französische Medienexperte Pierre Bourdieu stellte dazu in einem Essay über das Fernsehen fest: „Die Journalisten, die im übrigen viele Gemeinsamkeiten aufweisen, ... lesen einander, sehen einander, begegnen sich bei Debatten, bei denen man immer auf dieselben Gesichter trifft. All das führt zu einer Geschlossenheit des Milieus und – scheuen wir uns nicht, es auszusprechen – zu einer Zensur, die ebenso wirksam ist wie die einer zentralen Bürokratie, eines förmlichen politischen Eingriffs, ja wirksamer noch, weil unauffälliger.“

Wer aus beruflichen Gründen gezwungen ist, täglich mehrere Tageszeitungen zu verfolgen, kann sich des Eindrucks eines Verlusts an Meinungsvielfalt nicht entziehen, insbesondere bei Lifestylethemen nach dem Verständnis der Political Correctness. Die Inhaber der Medienmacht fühlen sich dabei als Erzieher der Nation und Hüter einer Moral, die auf selbst formulierten Grundsätzen beruht. Es stört sie nicht, dass die Konstrukte ihrer eigenen politischen Vorstellungen und Wünsche häufig in flagrantem Gegensatz zur Mehrheitsmeinung der Bevölkerung stehen. Aus der Perspektive links-grüner Journalisten sind die Leser/Hörer/Seher unbotmäßige Kinder, die nicht lernen wollen, was ihnen die Erzieher beibringen möchten.

Wie hat sich eigentlich die mediale Einseitigkeit in vielen Themenbereichen bisher auf die Parteineigungen ausgewirkt? Die Antwort darauf lässt sich aus den gemessenen Parteipräferenzen der jüngsten Vergangenheit ablesen. Fazit: Die SPÖ schrumpfte auf ca. 27-28 Prozent und die GRÜNEN bleiben eine Minipartei, die bestenfalls zwölf Prozent der Wähler an sich zieht. Da helfen keine publizistischen Unterstützungsaktionen und keine multikulturellen Schwärmereien von Gleichheitsutopisten.

Die Bevölkerung schweigt ansonsten zähneknirschend zu den für sie oft dissonanten Gegenwartsbetrachtungen der Medien und sucht allenfalls Zuflucht zu Leserbriefen. Was sollte sie auch sonst tun? In jedem Fall bewahren sich die Leser ihr eigenes Urteil über eine soziale Wirklichkeit, die in vielen Belangen so ganz anders aussieht, als es der Zeitgeistjournalismus wahrhaben möchte.

 

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt ist der langjährige Leiter des renommierten Meinungsforschungsinstituts Imas.

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