Die Krise der FDP oder: Den Liberalismus aktualisieren

Sie ist länger an der Regierung als jede andere Partei in Deutschland; sie stellte mehr Außenminister als jede andere Partei und zweimal den Bundespräsidenten; sie ist derzeit mit 5 Bundesministern und 8 Staatssekretären auf Bundesebene sowie 18 Ministern auf Landesebene vertreten und sitzt in acht Bundesländern im Landtag.

Bei den Wahlen im September 2009 erzielte sie mit fast 15 Prozent ihr historisch bestes Wahlergebnis. Über 6,3 Millionen Deutsche gaben ihr die entscheidende Zweitstimme. Vor den Grünen und vor der Linkspartei wurde sie drittstärkste Kraft im Bundestag. Eine stolze Bilanz für eine Kleinpartei.

Knapp zehn Monate später liegt sie heute in der Demoskopie bei 4 Prozent, nur noch eine Million würde sie wählen. Wäre am nächsten Sonntag Bundestagswahl, müsste sie um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen.

Das ist nicht neu für die Freie Demokratische Partei. Seit ihrer Gründung 1948 geriet sie immer wieder in tiefe und tiefste Krisen. Dies liegt zum einen in der Tatsache begründet, dass die FDP in sich zwei Flügel vereinigt, einen ordoliberalen, der stärker zur Union tendiert, und einen sozialliberalen, der sich zuweilen SPD-Positionen annähert.

Zum anderen Teil ergeben sich laufend Schwierigkeiten für die FDP auch durch ihre Regierungsbeteiligung in wechselnden Koalitionen. Bei jedem Partnerwechsel kommt es regelmäßig zu inneren Zerreißproben und enormen Umschichtungen in der Mitglieder- und Wählerschaft. Beim Eintritt der FDP in die sozialliberale Koalition 1969 soll es einen Wechsel von mindestens 60 Prozent der Mitglieder gegeben haben. Erich Mende, einer der führenden FDP–Politiker trat mit einigen Parteifreunden zur CDU über. Ähnliches passierte beim Koalitionswechsel 1982 zur Union – prominente Mitglieder des linken Flügels – wie der Generalsekretär Günter Verheugen – traten zur SPD über.

Schließlich sind die Probleme, von denen die FDP begleitet wird, im Grundsatzprofil der Partei und im daraus resultierenden Langzeit–Image zu suchen. Sie gilt als die "Partei der Besserverdienenden", als "Klientelpartei für Zahnärzte" ('Zahnärzte' als Symbol für wirtschaftlich Saturierte), als Partei eines kalten Neoliberalismus, der die Sorgen der Unterschicht fremd sind.

Anders als alle anderen Parteien hat die FDP nur einen geringen Stammwähleranteil und muss sich ihre Stimmen bei jeder Wahl von neuem erobern. Nicht selten greift sie dabei zu sogenannten "Zweitstimmen-Kampagnen", fordert also die Wähler zum Stimmen-Splitting auf. Dies wird vom jeweils betroffenen Seniorpartner als "Leihstimmen"-Taktik nicht gerade gern gesehen. Im Dreiparteiensystem der alten Bundesrepublik entschieden jedoch gerade diese "Leihstimmen" darüber, zu welcher Seite sich das Zünglein an der Waage jeweils neigte.

Mit dem Auftauchen der Grünen Mitte der Achtzigerjahre, spätestens aber seit dem Fünfparteienparlament im Bundestag, hat die FDP ihre Alleinstellung als Kanzlermacher verloren. Bisher undenkbare Koalitionen und Kombinationen sowohl auf der Rechten wie auf der Linken gehören auf Länderebene inzwischen zum politischen Alltag – von der Ampel bis zu Jamaika, von großer Koalition bis Rot-Rot, ist alles vertreten.

Aufgrund ihrer Mitgliederstruktur, ihrer liberalen Positionen und der wechselnden Koalitionen ist die FDP wie keine andere Partei gezwungen, ihre inhaltliche und strategische Ausrichtung stets von neuem zu justieren. Vor jeder Wahl wird sie vor die Gretchenfrage gestellt, welchem Lager sie zuneigt; bei Grünen oder Linken würde nie jemand auf diese Idee kommen.

Dennoch ist der Fortbestand dieser traditionsreichen Partei ein demokratisches Desiderat, denn nirgendwo sonst fände der politische Liberalismus eine wirkliche Heimstatt. Der Untergang der Freidemokraten kann in niemandes Interesse liegen, am allerwenigsten der Christdemokraten, die einen potenziellen Koalitionspartner und damit die Mehrheitsoption verlören. Doch auch der SPD müsste am Erhalt der Freiheitlichen liegen, will sie sich nicht einseitig von der Ultralinken abhängig machen.

Davon abgesehen würde mit einem Verschwinden der FDP aus dem Bundestag auch eine intellektuelle Verarmung einhergehen. Hat diese Partei doch immer wieder große liberale Persönlichkeiten hervorgebracht, wie Theodor Heuss, Ralf Dahrendorf oder Otto Graf Lambsdorff, um nur wenige zu nennen. 54 Prozent der FDP–Mitglieder haben ein Hochschulstudium abgeschlossen; in der deutschen Parteienlandschaft ein konkurrenzloses Reservoir an Begabungen.

Schließlich würden liberale Grundwerte wie die größtmögliche Freiheit des Individuums, Eigenverantwortung und Eigenvorsorge, Zurückdrängen der Staatsallmacht und Deregulierung insbesondere im Wirtschaftsleben heimatlos werden.

Guido Westerwelle, der – von der Gunst der Stunde getragen – die FDP zu ihrem bisher größten Wahlerfolg führte, befindet sich derzeit sowohl nach außen als auch parteiintern im freien Sturzflug. Seine Tragik besteht darin, dass er als Oppositionsführer den Mund zu voll genommen hat, doch angesichts der harten Regierungsarbeit die Hoffnungen nicht erfüllen konnte. Durch die Finanz– und Eurokrise sind nicht nur größere Steuersenkungen schwieriger geworden, sondern die Stimmung in der Bevölkerung hat sich wiederum mehr in Richtung soziale Sicherheit gedreht. Finanziell und psychologisch arbeitet die Zeit im Moment gegen die FDP.

Doch das ist, wie gesagt, nicht neu. Die neuerdings positive konjunkturelle Entwicklung könnte, wenn sie denn anhält, den Fall der FDP zunächst stoppen. Allein für den Wiederaufstieg zur "dritten Kraft" wird das nicht reichen. Der energische Generalsekretär Christian Lindner (31) hat dies erkannt und eine Grundsatzdebatte angefacht. Bis zum Bundesparteitag 2012 wollen sich die Liberalen ein neues Grundsatzprogramm geben. Nach den Worten Lindners erhält die FDP viel mehr "Zustimmung, wenn sie mit einer positiven politischen Erzählung verbunden wird, die das Lebensgefühl der Menschen trifft und ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. Eine solche Tonalität wollen wir für unsere Partei, um den politisch-konzeptionellen Führungsanspruch der FDP mit Empathie zu untermauern! Das ist kein Beleg für gegenwärtige Schwäche, sondern Ausdruck des festen Willens, sich neuen gesellschaftlichen Realitäten stellen und immer mehr Menschen für sich begeistern zu wollen. Wir wollen den Liberalismus aktualisieren."

(Frank Walsleben ist ein deutsch-österreichischer Publizist in Berlin.)

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