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Selbst als er am Sonntag von einem Geistesgestörten (?) mit einem schweren Gegenstand im Gesicht verletzt worden war, war Silvio Berlusconi der Hohn der meisten Medien sicher. Hat er den eigentlich wirklich verdient - zumindest wenn dafür ein etwas geschmackvollerer Zeitpunkt gewählt worden wäre?
Nun: Berlusconi ist mit seinem Gehabe eines "Latin lovers" sicher nicht nach dem strengen Geschmack nordalpiner oder vatikanischer Menschen. In Hinblick auf sein Alter grenzt das wohl sogar in Italien schon ans Lächerliche. Auch ist die Vermutung mehr als stark, dass er vor Jahrzehnten beim Akkumulieren seines Reichtums die Grenzen des rechtlich Erlaubten klar überschritten hat. Überdies hat er sich einen fast an österreichische Verhältnisse erinnernden Einfluss auf einige wichtige Medien gesichert. Daher scheint das "Weg mit ihm!" voll berechtigt.
Freilich hat im wirklichen Leben alles auch (mindestens) eine zweite Seite: Berlusconi hat sein Land nämlich deutlich vorangebracht. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund des selbstzerfleischenden Chaos der früheren Linksregierung oder gar der Jahrzehnte der Lähmung unter den Christdemokraten. Und fast scheinen die wilden Attacken der Berlusconi-feindlichen Medien eine Ablenkung von der in den wesentlichen Dingen ganz eindeutig positiven Bilanz des konservativen Populisten zu sein. Dieser Gedanke kommt einem umso mehr, als die rechtlichen Vorwürfe gegen Berlusconi schon reichlich alte Vorgänge betreffen.
Italien steht heute wirtschaftlich relativ - derzeit ist freilich alles relativ - stabiler da als andere mediterrane EU-Länder wie Griechenland oder Spanien. Das Land wird 2010 ein geringeres Defizit haben als Deutschland. Berlusconi hat die Alitalia-Krise durch zügiges Handeln beenden können. Dasselbe gilt für die Müllkrise in Neapel. Auch an der war ja die vorherige Linksregierung grandios gescheitert.
Berlusconi hat als erster Politiker einen weitgehenden Stopp der schwarzafrikanischen Migration übers Mittelmeer erreicht. Was zwar einige Gutjuristen in Empörung versetzt, was aber die allermeisten Italiener für sehr positiv erachten, weshalb auch in Österreich der Migrationsdruck nachgelassen hat. Berlusconi hatte erkannt, dass man sich zur Erreichung dieses Ziels sogar mit dem Teufel - also mit Libyens Gadhafi - ins Bett legen muss.
Und er hat es letztlich auch trotz aller rollenden Attacken geschafft, dass die Regierung bisher relativ - in Italien ist sowieso alles relativ - lange im Amt verbleiben konnte. Während früher alle halben Jahre eine Regierungsumbildung notwendig war.
Irgendwie seltsam, dass man von all dem nichts in den Zeitungen liest, die sich dafür breit mit den Aussagen irgendwelcher Callgirls befassen.
Gewiss: Wird Berlusconi wirklich wegen strafrechtlicher Vergehen verurteilt, wird er gehen müssen. Für das Land und seine Zukunft wird das aber sicher kein Freudentag. Denn im Grunde weiß jeder, was nach dem spaßigen Eitelmenschen mit dem künstlichen Haarwuchs folgen wird. Ein unübersichtliche Folge von Besitzern echter Haare, deren eheliche und strafrechtliche Sauberkeit nicht gleich von vornherein in Zweifel steht. Die aber wieder für das alte italienische Rezept sorgen werden: Chaos statt Stabilität.