Gastkommentare

Der Konjunktiv und die Steilvorlage für Kickl

28. Februar 2025 15:57 | Autor: Lothar Höbelt
17 Kommentare

Das eine muss man der heimischen Politik lassen: Als Gruselfilm mit überraschenden Wendungen schlägt sie die meisten einschlägigen Drehbücher bei weitem. Kaum ist man dabei, politisch unbedarften Freiheitlichen zu erklären, warum die ÖVP bei allen Koalitionsverhandlungen immer besser aussteigen wird als ihre Partner – weil sie nämlich zwei Optionen hat und die anderen nur eine – , schon wartet sie mit einer Ausnahme auf, von der man nicht weiß, ob sie die Regel bestätigt. Wolfgang Hattmannsdorfer kann einem wirklich leidtun. Er muss jetzt als Feigenblatt für die Totalkapitulation der ÖVP bei den Regierungsverhandlungen herhalten. Die ÖVP wird (um ein Zitat des SPÖ-Finanzministers Rudolf Edlingers über die zu Ende gehende Große Koalition aufzugreifen) in der neuen Bundesregierung "physisch präsent" sein, viel mehr nicht. Insofern kann Kickl als widerlegt gelten: Um Machterhalt geht es der ÖVP wahrlich nicht. Sonst sähe das Ergebnis anders aus.

Für die fatale Obsession beider bürgerlicher Parteien mit den Querelen des Innenressorts wurden sie gebührend bestraft. Die ÖVP sah sich gezwungen, an Herrn Karner festzuhalten (ob die Interpol dafür wirklich Dankgottesdienste abhalten wird?) und gibt dafür das wichtigste Ressort, nämlich die Finanzen, an einen Herrn ab, der bisher offenbar sogar der SPÖ zu links war. Geld wird vornehmlich in den SPÖ-Ressorts fließen – und im Kulturbereich erst recht nicht der geringste konservative Einschlag zurückbleiben. Was von der ominösen Weigerung der SPÖ zu halten ist, auf einen unabhängigen Justizminister einzugehen, wurde von Andreas Unterberger an dieser Stelle schon erläutert.

Die Neos könnten in wirtschaftlichen Fragen als Gegengewicht zu Bablers Genossen vielleicht sogar von Nutzen sein. Doch die "Reformkraft" wird dort werken dürfen, im Europa-Ressort, wo sie sich als Ja-Sager zur desaströsen Politik Van der Leyens profiliert hat. Wo bei der Zuwanderungsfrage wirklich der Hebel anzusetzen wäre, nämlich bei der Kooperation mit gleichgesinnten Regierungen innerhalb der EU, wird mit Frau Meinl-Reisinger jemand sitzen, der dafür wohl keinerlei Sympathien aufbringt. Die Möglichkeit des Rückgriffs auf "Opt-outs", um in dieser Frage etwas zu bewegen oder zumindest Druck auszuüben, wurde in der Regierungserklärung auch vorsorglich gleich bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt. Nehammer kehre zurück, (fast) alles verziehen – der hat sich wenigstens noch ab und zu bei Meloni angesagt.    

Wenn man von der Vorgeschichte dieser Regierungsbildung abstrahierte, wäre das Kabinett Stocker als Steilvorlage für Herbert Kickl kaum zu übertreffen. Allen Anforderungen einer angriffigen Opposition ist da in einem Maße Rechnung getragen worden, das beinahe schon geeignet ist, Verschwörungstheorien ins Kraut schießen zu lassen. Das Fatale ist der Konjunktiv, mit dem dieser Absatz beginnt. Denn was auf den ersten Blick als Kickls Chance erscheint, macht auf den zweiten Blick bloß das Ausmaß seiner Schuld deutlich (wie immer in der Geschichte: nicht der Alleinschuld, aber zweifellos der Hauptschuld!).

Die Herrn Kickl und Babler verbindet bei allem verbalen Schlagabtausch offenbar eine unheilige Allianz, die ihre Dynamik aus abwechselnden, sich steigernden Torheiten ableitet. Bablers übliche Tolpatschigkeiten waren Kickls Chance; Kickls unbegreifliche Fehlleistungen wiederum Bablers Chance auf ein Comeback, mit dem Extrabonus, dass er nicht bloß über die ÖVP, sondern – viel süßer noch – über Michael Ludwig triumphieren darf.

Fazit: In der Forderung: "Kickl esse delendam", sehe ich mich leider mehr als bestätigt – ich gebe Kritikern, die mich darauf aufmerksam gemacht haben, freilich in einem Punkt recht: Es müsste bei Kickl (dem ich keineswegs irgendwelche Ambitionen im Sinne des ominösen "Selbstbestimmungsgesetzes" unterstellen wollte) wohl grammatikalisch richtig "delendum" heißen.

Mit einem Minimum an Vernunft und Kompromissbereitschaft von Blau-Schwarz hätte sich das jetzige Resultat vermeiden lassen. Mag sein, dass man hier auf das kurze Gedächtnis des Bürgers spekuliert, der nach "bewährtem" Muster in vier oder fünf Jahren eine großzügige Amnestie für all die Sünden der beiden bürgerlichen Parteien aussprechen soll. 2024 haben letztlich dann beide über den Umfragewerten abgeschnitten ...

Doch Dankbarkeit ist eben keine politische Kategorie. Kickl hat vorexerziert, wie man das kleinere Übel mit dem größeren vertauscht. Wenn 51 %, oder von mir aus auch 49 % Mitsprachemöglichkeit ein Verrat am Wähler wäre, was bitte sind dann die 0 %, die er jetzt hat? Die ÖVP mag die Sturheit Kickls mit einer gewissen Berechtigung als Milderungsgrund für das blamable Ergebnis ins Treffen führen, das sie jetzt heimgebracht hat.

Doch ein Milderungsgrund ist immer noch keine ausreichende Entschuldigung. Die Wähler, die zwischen schwarz und blau wandern, sind schon seit einiger Zeit die größte Wechselwählergruppe – und sie haben in der Tat allen Grund, sich verraten zu fühlen. Es wäre bloß würdig und recht, wenn auch der bürgerliche Wähler, der bisher um der Sache willen stets für das kleinere Übel optiert hat, beim nächsten Mal dem Beispiel der Parteioberen folgt und sich nicht für das kleinere Übel entscheidet, sondern – "weiß" wählt...

Notabene: Die Parteien in den Bundesländern, die konstruktiv agiert haben, muss man deshalb ja nicht in Geiselhaft nehmen. 

 

Lothar Höbelt war Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien und in mehreren Positionen beratend für die FPÖ tätig. 

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  1. Wolfram Schrems
    14. März 2025 13:23

    Franz Kalwoda ersuchte um die Veröffentlichung seiner Stellungnahme:

    Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Höbelt,

    Ihre beiden polemischen Analysen überspringen wesentliche Aspekte und führen zu falschen Schlussfolgerungen, die den Leser von den wahren Ursachen des Scheiterns der Koalition ablenken. Ich hätte nicht erwartet, dass Sie sich in Ihrem ersten Artikel über Kickl auf eine derart niveaulose Weise äußern. Auch Ihr zweiter Artikel trägt nicht zur Klärung bei.

    Die ÖVP hat lediglich Scheinverhandlungen mit der FPÖ geführt, während parallel weiterhin Gespräche mit der SPÖ geführt wurden – wie etwa im Fall Mahrer-Ludwig und anderen.

    Die FPÖ war sogar bereit, der ÖVP die Wirtschaftskompetenz zu überlassen. Angesichts der sich nach der Wahl verändernden Schuldenangaben der ÖVP stellt sich die Frage, was aus der einst als „Wirtschaftspartei“ geltenden Partei geworden ist.

    Sie schreiben: „Um Machterhalt geht es der ÖVP wahrlich nicht. Sonst sähe das Ergebnis anders aus.“



    • Wolfram Schrems
      14. März 2025 13:25

      Warum wollte die ÖVP dann in den Verhandlungen mit den Blauen alle wesentlichen Ministerien übernehmen? Die Kompromissbereitschaft der FPÖ zeigte sich darin, dass die ÖVP sogar mehr Ministerien hätte erhalten können als letztlich der Fall war, um konstruktive Entscheidungen für Österreich zu treffen – wenn es ihr wirklich um verantwortungsvolle Politik gegangen wäre. Es ging der ÖVP jedoch nicht um Verantwortung für Österreich, sehr wohl um Machterhalt – konkret um den Erhalt des Innenministeriums. Das wird deutlich, wenn man die vielen dunklen Kapitel betrachtet, die die ÖVP dort verbirgt – etwa im Zusammenhang mit Pilnacek, den gewaltsamen Polizeieinsätzen während der Corona-Zeit (selbst gegen wehrlose Pensionisten), der Konstruktion eines nicht stattgefundenen Sturmes auf das Parlament oder in ein Versicherungsgebäude sowie der Überwachung und Verfolgung unbescholtener Kritiker des Regimes zu Coronazeiten. Hinzu kommen die unkontrollierte Migration, der politische Islam



    • Wolfram Schrems
      14. März 2025 13:26

      und die Duldung linksextremer Gruppen wie Antifa und DÖW.

      Weiter schreiben Sie: „Kickl hat vorexerziert, wie man das kleinere Übel mit dem größeren vertauscht. Wenn 51 %, oder von mir aus auch 49 %, Mitsprachemöglichkeit ein Verrat am Wähler wären, was bitte sind dann die 0 %, die er jetzt hat? … Die Wähler, … haben allen Grund, sich verraten zu fühlen.“

      Zwei Aspekte haben Sie nicht berücksichtigt: Entweder war die ÖVP nicht entscheidungsfähig und musste sich den Anweisungen von Weber, von der Leyen und VdB beugen, oder sie wollte in Wahrheit von Anfang an nicht mit der FPÖ. Das Volk hat es besser verstanden als Sie: Die Zustimmung zur FPÖ ist mittlerweile auf mindestens 35 % gestiegen. Ist das ein Zeichen von „sich verraten fühlen“? Hier sollten Sie eher vom Verrat an den ÖVP-Wählern sprechen, deren Zustimmung derzeit bei etwa 20 % liegt. Dass die ÖVP noch bürgerlich und christlich-sozial ist, glauben immer weniger Menschen.



    • Wolfram Schrems
      14. März 2025 13:27

      Kickl hat sich zurecht aus der schädlichen und manipulativen Umklammerung der ÖVP befreit – zum Wohle des Landes. Ihr Kickl-Bashing stärkt einzig die Linken. Das ist wirklich bedauerlich.

      Mit besten Grüßen,
      Franz Kalwoda

      (Der Verfasser dieses Schreibens betreibt die Lebensschutz-Seite https://www.vita-et-veritas.com/ .)



  2. El Dorado
    02. März 2025 13:22

    Doch Herr Höbelt, es ist der reine Machterhalt, der die ÖVP trieb. Dass man in der ÖVP nicht erkennt, womit man sich hier ins Bett gelegt hat, das zeugt nur davon, dass die diese Partei keine klugen politischen Köpfe mehr zu haben scheint. Dass man sich von der SPÖ über den Tisch ziehe ließ, registriert die ÖVP wahrscheinlich gar nicht mehr. Die Partei ist inhaltlich ausgelaugt und hat das Hauptziel "keine Koalition mit der FPÖ" ausgesessen.

    Kickl mag seinen persönlichen Anteil an der ständigen Suada über ihn haben. Aber wenn man sich der Probleme im Staate und der wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten bewusst ist, kann das kein Hindernisgrund für eine notwendige bürgerlich-verantwortungsbewusst Koalition sein.

    Das Gute an dieser Geschichte ist, dass der österreichische Operettenklamauk keine internationale Bedeutung hat (also für uns schon, aber nicht für die "restliche Welt").



  3. sin
    01. März 2025 18:46

    Einem Bürger bleibt als Alternative nur weiß wählen, bis bei den dann agierenden Politikern Vernunft einkehrt, sonst werden die weiter so agieren wie bisher und das reicht mir total.



  4. eupraxie
    28. Februar 2025 22:13

    Auch wenn der Beitrag professoraler daher kommt als der erste, kann ich mit wesentlichen Aussagen überhaupt nicht zustimmen. Welche Erfolgschancen hat ein "Weiß"-Wähler, dass seine Ziele umgesetzt werden, im Gegensatz zu einem Wählen einer starken Oppositionspartei?

    Es scheiterte nicht am Machtrausch von Kickl, sondern am mangelnden Willen der VP, überhaupt bürgerliche und migrationspolitische Themen ernsthaft zu unterstützen.

    Ich bin ein Gegner davon, Personen in der politischen Auseinandersetzung zu vernichten, zu zerstören.

    Was nicht niedergeschrieben ist, wird nicht gemacht.

    Was Kickl jetzt beweisen muss, dass er starke - heißt für mich - konstruktive - Oppositionspolitik, als de facto einzige Oppostionspartei, betreiben kann. Das heißt für mich, sachlich und nicht persönlich angriffig zu formulieren.



  5. Pennpatrik
    28. Februar 2025 20:57

    Auch Höbelt geht mit keinem Wort auf das unverschämte Ministerienangebot der ÖVP an die FPÖ ein. Logisch - daraus ergeben sich 2 vollkommen logische Schlüsse:

    1. Die ÖVP hatte nie die Absicht, mit der FPÖ zu koalieren
    2. Kickl hatte völlig recht, dieses unverschämte Angebot abzulehnen, das ihm keinerlei Regierungsmöglichkeit gab. Er wäre Grüßaugust einer Blau-Schwarzen Regierung, die von der ÖVP dominiert wird, gewesen.

    Solange Höbelt diesen Elefanten im Raum nicht benennt, kommt er einfach nicht ganz ehrlich rüber.



    • Pennpatrik
      28. Februar 2025 20:59

      Blöd, dass der STANDARD diese Liste kurz veröffentlicht hat - sonst könnten alle Kickl-Kritiker die obigen Behauptungen unwidersprochen in die Welt setzen.



    • Pennpatrik
      01. März 2025 10:54

      Nachtrag:
      Wenn er auf seinen akademischen Grad hinweist, sollte sein Kommentar auch diese Mindestvoraussetzung für ein Essay erfüllen.



  6. Peregrinus
    28. Februar 2025 20:19

    "Wenn 51 %, oder von mir aus auch 49 % Mitsprachemöglichkeit ein Verrat am Wähler wäre, was bitte sind dann die 0 %, die" Kickl "jetzt hat?", so Höbelt. - Treffender kann man es nicht ausdrücken.



  7. Schani
  8. Outback
    28. Februar 2025 17:12

    Kickl hat seinen Wählern unter anderem ein „kein weiter wie bisher“ versprochen. Aufgrund dieses Versprechens wurde er wohl mit der FPÖ stimmenstärkste Partei. Die Kickl und der FPÖ gegebenen Stimmen erreichten aber nicht die erforderliche Mehrheit, die Kickl in die Lage versetzt hätten, seine Wahlversprechen umzusetzen. Mit der ÖVP war – wie sich gezeigt hat – eine Umsetzung der Versprechen nicht einmal im Ansatz möglich. Kickl hätte gravierende Versprechen nicht einhalten können, und wäre mit der ÖVP bestenfalls zu einem faulen Kompromiss gekommen, der letztlich keine bedeutenden Änderungen herbeigeführt hätte. Damit hätte er wohl viele seiner Wähler (wieder) vertrieben. Aus dieser Logik heraus hat Kickl völlig richtig gehandelt. Vermutlich spüren viele Wahlberechtigte die Auswirkungen noch nicht oder noch zu wenig am eigenen Leib, was ihnen die letzte Regierung in finanzieller Hinsicht zugemutet hat. Vielleicht ist Kickls Zeit einfach noch nicht gekommen.



    • Cato
      10. März 2025 15:40

      Sehe ich vollkommen gleich.
      Kickl hätte seine zentralen Forderungen aufgeben müssen derentwegen er mA mehrheitlich gewählt wurde.

      Und die Kommentare wären gewesen, Kickl hätte für die prestigeträchtige Kabzlerposition seine Grundsatzforderungen aufgegeben.

      Also Kickl hat nach meiner Auffassung vollkommen richtig gehandelt. Keine perönliche Eitelkeit sondern Grundsätze habenihn geleitet.



  9. Marus
    28. Februar 2025 16:13

    Es war Kickl, der zwei Möglichkeiten hatte. Die, des Kanzlers und die des erfolgreichen Oppositionsführers. Die ÖVP hatte lediglich eine schlechte und eine grausliche Möglichkeit.






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