Gastkommentare

Wenn alle untreu werden

17. Dezember 2024 11:41 | Autor: Dieter Grillmayer
15 Kommentare

Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu,

dass immer noch auf Erden für euch ein Fähnlein sei.

Gefährten uns‘rer Jugend, ihr Bilder bess‘rer Zeit,

die uns zu Männertugend und Liebestod geweiht.

 

Wollt nimmer von uns weichen, uns immer nahe sein,

treu, wie die deutschen Eichen, wie Mond und Sonnenschein!

Einst wird es wieder helle in aller Brüder Sinn,

sie kehren zu der Quelle in Lieb‘ und Reue hin.

 

Es haben wohl gerungen die Helden dieser Frist,

und nun der Sieg gelungen übt Satan neue List.

Doch wie sich auch gestalten im Leben mag die Zeit,

du sollst uns nicht veralten, o Traum der Herrlichkeit.

 

Ihr Sterne seid uns Zeugen, die ruhig niederschau’n,

wenn alle Brüder schweigen und falschen Götzen trau’n;

wir woll’n das Wort nicht brechen, nicht Buben werden gleich,

woll’n predigen und sprechen vom heil’gen deutschen Reich.

 

Inwieweit hat dieser im Herbst 1814 von Max von Schenkendorf nach einer Vorlage von Novalis geschaffene Text irgendetwas mit der über 120 Jahre danach im Dritten Reich installierten "Schutz-Staffel" (SS) zu tun, welche sich den Text und die von einem französischen Jagdlied "abgekupferte" Melodie als "ihr" Lied angeeignet hat? Der Text ist ein Zeitzeugnis, erstellt von einem jungen Studenten anlässlich einer recht problematischen Weichenstellung in der deutschen Geschichte, durch welche dieser und seine Weggefährten ihre Ideale verraten sahen. Ich habe das Lied (in Unkenntnis der unpassenden "Inbesitznahme" durch die SS) oftmals zum ehrenden Gedenken an die Begründer der national-liberalen Gesinnungsgemeinschaft gesungen, der ich seit mehr als 60 Jahren angehöre.

Der ganz im etwas schwülstigen Stil der Romantik verfasste resignative Text ist ein Abgesang an einen (nach dem Vorbild Frankreichs, Englands und Russlands gebildeten) geeinten deutschen Nationalstaat, der die Nachfolge des seit Karl dem Großen bestehenden Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hätte antreten sollen, und an "Brüder", die sich damit schon abgefunden haben.

Dieses tausendjährige Reich war durch die im Jahr 1806 erfolgte Niederlegung der (in der Wiener Schatzkammer aufbewahrten) zugehörigen Kaiserkrone durch den Habsburgerkaiser Franz II. zerbrochen, welcher damit u. a. darauf reagierte, dass im Rahmen der Napoleonischen Kriege eine erkleckliche Anzahl deutscher Fürsten mit Napoleon gemeinsame Sache gemacht hat. Viele Studenten, darunter auch Schenkendorf, kämpften vor allem im Lützowschen Freikorps, dem auch mehrere als Männer verkleidete Frauen angehört haben, gegen die Franzosen und träumten von einem solchen Nationalstaat als Ergebnis ihres Befreiungskampfes gegen Napoleons Truppen.

Aus Wikipedia: Das Lützowsche Freikorps hatte aufgrund seiner Zusammensetzung aus Freiwilligen fast aller deutscher Staaten eine hohe Symbolkraft für die Bestrebungen zur Errichtung eines deutschen Nationalstaates. Von seinen Uniformfarben (schwarzes Tuch mit rotem Vorstoß und goldenen Knöpfen) leiten sich die deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold her.

Bei dem ab Herbst 1814 tagenden Wiener Kongress zur Neuordnung Europas stellte sich aber sehr rasch heraus, dass es (vor allem aufgrund der Spannungen zwischen Österreich und Preußen) zu einem deutschen Nationalstaat nicht kommen werde, sondern nur zu einem losen "Deutschen Bund" souveräner Staaten unter österreichischem Vorsitz. Für die genannten Studenten war das eine riesige Enttäuschung, auf welche Schenkendorfs Text Bezug nimmt.

Im Jahr 1815 wurde dann in Jena die erste gesamtdeutsche "Burschenschaft" (mit schwarz-rot-goldenem Couleurband) in bewusstem Gegensatz zu den älteren Landsmannschaften gegründet, welche, wie der Name schon sagt, nur Zusammenschlüsse von aus derselben Region kommenden Studenten darstellten. Die neue Idee stieß auf große Zustimmung, bald hatte nahezu jede Universitätsstadt im deutschen Raum ihre eigene Burschenschaft (oder auch mehrere). Sie alle verband der Wunsch nach einem gesamtdeutschen freiheitlichen Verfassungsstaat, was von der Obrigkeit, allen voran Österreichs Kanzler Metternich, als Bedrohung angesehen wurde.

Die Folge davon war ein Verbot der Burschenschaften im August 1819. Auch dazu wurde (von Daniel August Binzer) ein Lied mit einem berührenden Text geschrieben:

 

Wir hatten gebauet ein stattliches Haus,

und d’rin auf Gott vertrauet, trotz Wetter, Sturm und Graus.

 

Wir lebten so traulich, so innig, so frei,

den Schlechten ward es graulich, wir lebten gar zu treu!

 

Man lugte, man suchte nach Trug und Verrat,

verleumdete, verfluchte die junge grüne Saat!

 

Was Gott in uns legte, die Welt hat’s veracht’t,

die Einigkeit erregte bei Guten selbst Verdacht!

 

Man schalt sie Verbrechen, man täuschte sich sehr,

die Form kann man zerbrechen, die Liebe nimmermehr.

 

Das Band ist zerschnitten, war Schwarz, Rot und Gold,

und Gott hat es gelitten, wer weiß, was er gewollt!

 

Das Haus mag zerfallen – was hat’s dann für Not?

Der Geist lebt in uns allen, und uns’re Burg ist Gott! 

                                              *****

Der weitere Verlauf der Geschichte und insbesondere jener der Burschenschafterbewegung, die sich letztlich nicht aufhalten ließ und die maßgeblich zur Demokratisierung und Liberalisierung im deutschen Kulturraum beigetragen hat, wurde von mir in meinem Buch "National und Liberal" ausführlich abgehandelt. In kompakter Form kann das u. a. in einem Aufsatz gleichen Titels nachgelesen werden, der sich auf meiner Website http://www.grillmayer-dieter.at unter "Aufsätze/Sonstige" befindet.

 

Dieter Grillmayer war langjähriger AHS-Direktor.

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  1. Marus
    19. Dezember 2024 12:40

    linke Massenmörder darf man bekanntlich problemlos zitieren. Lenins Sprüche sind an und für sich ja nicht unintelligent (z. B. "Vertrauen ist Gut, Kontrolle ist besser"). Auch wenn sie von jemanden stammen, der einen Bürgerkrieg mit 10 Millionen Toten angezettelt und ein System der Unterdrückung eingerichtet hat. Und das gerade ein Stalin-Fan in Österreich Regierungsverhandlungen führt, wird wohl eher als komisch empfunden als als Gefahr. Die Linken sind in dieser Hinsicht wesentlich weniger entspannt, immer auf der Lauer, verkappte Nazis zu entlarven. Mich wundert, dass sie noch den Gebrauch der deutschen Sprache nicht aufs Korn genommen haben.



  2. ET IN ARCADIA EGO
    18. Dezember 2024 08:24

    "....von unser'm Österreich." Wird seit geraumer Zeit bei ÖCV und MKV Verbindungen als letzte Zeile der letzten Strophe gesungen. Somit keine Rede von irgendwelchen deutschen Reichen, egal ob tausendjährig, römisch oder heilig.
    Es lebe unser Vaterland Österreich, ad multos annos.



    • MM
      20. Dezember 2024 18:16

      Es gibt auch die Variante "...wolln predigen und sprechen von Kaiser und von Reich!"

      Das ist halt die die Fraktion mit den schwarz-gelben Unterhosen, die das Lied zu ihrer Zwecken umgeschrieben hat. Im Original geht's um etwas ganz anderes, wie Grillmayer so schön ausgeführt hat.
      Ich bleib beim Original.



  3. Altsteirer
    18. Dezember 2024 07:53

    DGM
    vielen Dank für diesen so erhellenden Gastbeitrag!



  4. rowischin
    18. Dezember 2024 04:07

    Endlich hat jemand fundiert die geschichtlichen Hintergründe des Liedtextes dargestellt. Danke Herr Grillmayer. Es geht bei den Burschenschaften um Freiheit in dieser Zeit und auch heute noch, siehe auch das Jahr 1848 und man sollte auch noch erwähnen, dass unter Hitler die Burschenschaften auch verboten waren. Siehe im Text den Bezug zu den sog. Fürsten. Heute kann man es nur als Böswilligkeit, Dummheit und Ungebildetheit ansehen, wenn eine WKStA Untersuchungen wegen dieses Liedes anstellt. Eine Blamage für diese Institution. Denn das von Herrn Grillmayer geschriebene kann jeder recherchieren, wenn er nur wollte. Und immer wieder wird Deutsch national mit Nationalsozialismus gleichgesetzt. Eine weitere Böswilligkeit. Da kann man nur sagen a la Kreisky, lernt alle zusammen einmal Geschichte (in der WKStA, bei den Grünen etc. etcMorgen Donnerstag wird im ORF 2 , um 21.10 über die Geschichte der Reichskrone ein Film gezeigt werden. Ich bin neugierig, welche Verdrehungen zu hören sein w



  5. Ingrid Bittner
    17. Dezember 2024 16:10

    Lieber Dieter Grillmayer ist das schön, auch hier bei A.U. einen echten Grillmayer zu lesen! Das freut mich sehr.



  6. Pennpatrik
    17. Dezember 2024 13:35

    Im Grunde geht es um Freiheit.
    Wie die Fürsten damals fürchten die Fürsten heute dieselben Lieder, dieselben Gedichte und dieselben Ziele.
    Eigentlich erstaunlich.
    Aber schon John Stuart Mill hatte im 19.Jh darauf hingewiesen, dass Demokratie nicht automatisch vor Fürsten schütze, denn auch gewählte Fürsten werden beginnen, Macht über das Volk auszuüben.
    Wer weiß denn heute noch, dass der Text "Deutschland, Deutschland über alles ..." gegen die Fürsten gerichtet und dessen Absingen als Hochverrat galt?
    Wie die damaligen Fürsten werden dieselben Lieder, dieselben Gedichte und dieselben Ziele von den heutigen Fürsten verboten und verfolgt.



  7. elokrat1
    17. Dezember 2024 13:17

    Ausgezeichnet, danke für ihre Darstellung. Ich hoffe die Staatsanwaltschaft ließt sich ihre Darstellung durch, es wären eine Art Bereicherung zum aktuellen Fall. Heute würde man es als "Kulturelle Aneignung" bezeichnen, Gel!
    Gegen die FPÖ-Abgeordneten Graf, Stefan und Nemeth wiederum will die Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Verbotsgesetz ermitteln. Grund dafür ist die Teilnahme der drei freiheitlichen Politiker an einem Begräbnis, bei dem ein Lied gesungen worden sei, das während des Nationalsozialismus auch im Liedgut der SS war.
    Die Islamisten lachen sich halbtot, wir zerfleischen uns selber, the Winner ist?



    • Hegelianer
      17. Dezember 2024 13:51

      the winner is ... Putin!



    • Isis42
      17. Dezember 2024 16:11

      @elokrat: Wieso steht dagegen keiner auf? Sind die sog. "Konservativen" alles Feiglinge oder doch links?
      Das ist in der 2. Republik ja nicht neu, dass gegen alle erlaubten Aktivitäten der sog. "Rechten" gepoltert wird! Das sind doch nicht Menschen 2. oder ... Klasse!
      Es ist nur zu hoffen, dass in Zukunft einmal ein anderer Wind weht.



    • elokrat1
      17. Dezember 2024 16:24

      @ Hegelianer
      Putin, Putin, Putin und nochmals Putin, eigentlich ein Wunderwuzi, der zu 100% an allem schuld ist. …… Ich hoffe Sie meinen das sarkastisch, andererseits befürchte ich folgendes:

      Paranoide Schizophrenie
      Die klassischen drei Symptome der paranoiden Schizophrenie sind Ich-Störungen, Wahn und Halluzinationen. Diese drei Hauptsymptome umfassen viele Unterkategorien von Symptomen, welche in Positiv-und Negativsymptome unterteilt werden können, aber auch in formale Denkstörungen.

      Mittlerweile ist das weit verbreitet, besonders bei einigen wenigen in diesem Forum. Wirkliche Experten führen das unter anderem auf die Covid-Impfung zurück.



    • elokrat1
      17. Dezember 2024 16:35

      @ Isis42
      Angst und geringes Selbstwertgefühl führt unter anderem dazu. Die meisten können oder wollen sich nicht exponieren.

      Eine Diskussion über dieses Thema wirkungsvoll zu führen, bedingt viel Hintergrundwissen, um standzuhalten. Das haben die meisten Menschen nicht. Instinktiv wissen sie das und vermeiden derartiges.



    • Altsteirer
      18. Dezember 2024 07:50

      @ elokrat
      **********
      **********
      DANKE für ihre Erläuterung!



    • pressburger
      19. Dezember 2024 11:46

      @Hegelianer
      Ein Wahn ?






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