Gastkommentare

Der Christbaum: Eine kleine Kulturgeschichte

24. Dezember 2024 10:56 | Autor: Ronald Schwarzer
5 Kommentare

Fürst Metternich war besorgt. Fürst Hardenberg war betrunken. Das ging zumindest aus dem Protokoll der Geheimpolizei hervor, das auf dem Tisch des Staatskanzlers lag. Welche neuen jüdischen Macheloikes gingen da im Palais Arnstein am Hohen Markt 541 vor? Am 26. Dezember 1814 lud die Baronin Vögele von Arnstein geborene Itzig, Grande Salonäre von der Spree, nach berlinerischem Brauch zu einer eigentümlichen Feier, in deren Zentrum ein geschmückter und mit Kerzen beleuchteter Tannenbaum stand.  Um ihn herum wurde getanzt, Frau von Münch sang Lieder vom Kasperle und das Who is Who des Wiener Kongresses gab sich ein Stelldichein. Die Staatsräte Jordan und Hoffmann waren ebenso zugegen wie Fürst Radziwill und alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses Arnstein.

Immerhin war Herr von Humboldt nicht dabei. Diese Baumzeremonie war in der Reichs-, Haupt- und Residenzstadt gänzlich unbekannt, und Neuerungen ließen den Staatskanzler Metternich nichts Gutes vermuten. Dennoch setzte er sich durch in Wien, der Christbaum, der zum allerersten Male eben an jenem 26. Dezember 1814 allhier erstrahlte.

Schon zwei Jahre später entzündete man die Christbaumkerzen im Erzherzog-Carl-Palais in der Annagasse. Henriette, die helvetisch-protestantisch geborene Prinzessin von Nassau-Weilburg, Gemahlin des Siegers von Aspern, kannte den Brauch aus ihrer protestantischen Heimat und ließ ihn in ihrem Palais aufleben, um ihrer im Juli desselben Jahres geborene Tochter eine Freude zu machen. Dem Erzherzog Johann hat´s nicht gefallen, dem war es um die Bäume leid und um die sinnlose Geldverschwendung bei solchen neuen Spaßetteln. Vielleicht just darum, weil sein Bruder es nicht mochte, verfügte Kaiser Franz, in der Hofburg den ersten Christbaum aufzustellen.

Heute ist uns allen ein Weihnachtsfest ohne den geliebten Christbaum, den köstlichen Duft des Waldes, den er in unsere Wohnungen bringt und den milden Schein der Kerzen nicht denkbar. Wichtiger als die Weihnachtskrippe und der Besuch der Mitternachtsmette ist uns also diese schöne Tradition geworden, und bei den Weihnachtskarten, die mir Jahr für Jahr ins Bureau flattern, dächte ein Kulturfremder, hier herrschte eine Religion vor, die zum Jahreswechsel einen Lichterbaum anbetet.

Tatsächlich ist es leicht verständlich, dass zu dieser Zeit, da die Tage endlich wieder länger werden und unser Hoffen und Streben auf den nächsten Frühling zielt, die immergrünen Gewächse in den Stuben uns seit je Hoffnung machten. Schon die Römer schmückten zur Wintersonnenwende mit immergrünen Lorbeerreisern ihre Häuser, die Germanen taten dies mit Tannen- oder Fichtenzweigen und die Kelten verwendeten Mispeln und Stechpalmen.

In christlicher Zeit nutze man diese in der Landwirtschaft weitgehend arbeitsfreien Wochen für geistliche Schauspiele, um dem analphabetischen, gläubigen Volk den Inhalt der Heiligen Schrift nahe zu bringen. Diese Spiele dauerten mitunter einige Tage und stellten auch einen Paradiesbaum vor, erst geschmückt mit Äpfeln und bald als Kreuzstamm Christi mit dem Herrn. Dass man dazu in unseren Breiten immergrüne Nadelgehölze verwendete, versteht sich.

Um den Ursprung des eigentlich ersten Christbaumes wird viel gestritten. Tallinn und besonders Riga reklamieren ihn für sich, doch dabei handelt es sich um ein Missverständnis. In Riga am Platz vor dem "Schwarzhäupterhaus" wird gar ein metallenes Denkmal des angeblich ersten Christbaums aus 1510 gezeigt. Tatsächlich aber geht aus ihrer Fastnachtsordnung von 1510 hervor, dass es sich um einen Karnevalsbrauch handelte, einen Lichterbaum, der eben zur Fastnacht abgefackelt wurde. Bekannt ist, dass man in Straßburg Ende des 15. Jahrhunderts Tannen für die Gemeinde kaufte, es gibt aber keinen Hinweis für den zugehörigen Schmuck. 1419 sollen die Bäcker von Freiburg in Breisgau einen Baum mit Naschwerk, Früchten und Nüssen behängt haben, den die Kinder zu Neujahr abernten durften. Tatsächlich aber war es der abtrünnige Augustiner Martin Luther, der den Christbaum allgemein populär machte.

Laut katholischer Tradition brachten entweder der Heilige Nikolaus am 6. Dezember oder die Heiligen drei Könige am 6. Jänner die Geschenke. Mit dem Heiligenkult fuhr der Wittenberger jetzt aber energisch ab. Das Christkind sollte die Geschenke bringen und niemand sonst! (Es ist ein eigentümlicher Treppenwitz der Geschichte, dass heute traditionelle katholische Kreise das Christkind vor den Zudringlichkeiten des betrunkenen, dickbäuchigen Weißbartträgers in roter Gewandung unter dem Namen Santa Claus verteidigen müssen; doch das ist eine andere Geschichte). Jedenfalls propagandiert der Protestantismus den Christbaum mit seinen Geschenken gegen die Weihnachtskrippe mit ihren Figuren.

Sicher dokumentiert ist der erste vollgültige Christbaum im Straßburger Münster anno 1539. Er macht seinen Siegeszug zuerst im Norden Deutschlands, kommt über Wien nach Österreich, so erstmals 1825 in Graz ins Palais des Grafen Brandis und 1841 gar bis Tirol.

Ein deutscher Universitätsprofessor von Harvard bringt den Brauch in die USA und Prinz Albert von Sachsen-Coburg, als Gemahl von Königin Victoria nach Großbritannien. Die Queen war entzückt und mir ihr das Empire! Der prächtige Christbaum am Trafalgar Square ist für London ein billiges Vergnügen, denn den schenkt die Stadt Oslo seit 1945 als Dank für die britische Unterstützung im Zweiten Weltkrieg.

Nur die unbeugsamen Oratorianer vom Brompton Oratory wollen ihn nicht haben. Er ist ihnen viel zu protestantisch, genauso wie die Heilige Messe in der Landessprache. Hier kennt die Tradition keine Kompromisse.

 

Ronald Schwarzer, Impresario, Waldgänger & Partisan der Schönheit.

*Quelle der am Beginn stehenden Berichte: Fournier, Die Geheimpolizei auf dem Wiener Kongress, Vortrag vom 26. Dezember 1814.

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  1. Undine
    27. Dezember 2024 19:25

    Vor Jahren las ich, daß der erste Christbaum in BREMEN stand:

    "Die frühesten Belege für einen geschmückten Tannenbaum im Inneren des Hauses stammen von 1570. In einer Zunftchronik der Stadt BREMEN wird von einem kleinen Tannenbaum berichtet, der mit Datteln, Äpfeln, Nüssen, Brezeln und Papierblumen behängt und im Zunfthaus zur "allgemeyniglichen Freude" aufgestellt wurde."

    Davon las ich erst heute:

    "Den ersten Weihnachtsbaum sollen Bäckerknechte 1419 in FREIBURG im Breisgau mit Obst, Oblaten, Nüssen und Lebkuchen geschmückt haben. Von dort aus verbreitete sich der Brauch. über den Südwesten des Landes."

    "Seine Ursprünge im 16. Jahrhundert werden manchmal mit dem protestantischen Reformator Martin LUTHER in Verbindung gebracht, der als erster brennende Kerzen an einem immergrünen Baum angebracht haben soll."



  2. Outback
    27. Dezember 2024 15:09

    Danke dem Autor für die "kurze Kulturgeschichte", die für mich kurzweilig zu lesen und überdies inhaltlich sehr erhellend war.



  3. nonaned
    24. Dezember 2024 13:06

    Christbäume??? Gibt's die überhaupt noch? Ich lese immer öfter "Weihnachtsbäume" - wird nicht mehr lange dauern, werden sie zu "Winterbäumen" mutieren.

    Trotzdem ein schönes Weihnachtsfest mit einem wunderschön aufgeputzten Christbaum.



  4. Leo Dorner
    24. Dezember 2024 11:55

    Ein sehr guter Beitrag zur Geschichte dessen, „was alle Brauchtumswilligen wirklich angeht, was alle wirklich praktizieren.“ - Unter den „Rahmenbedingungen“ einer sich immer rascher verändernden Geschichte von Luther bis heute.
    Die Bereitwilligkeit der Kirchen, dem Konkurs ihrer Glaubensmacht zuzusehen, war und ist je nach Stand ihrer Verlustgeschichte verschieden, aber immer von der Hoffnung erfüllt, neue „heidnische Bräuche“ (auch weil von höheren Kreisen - zB im kaiserlichen Wien – eingeführt), könnten den liturgischen Gebräuchen der Kirchen neues Glaubensblut zuführen. Daher auch das „Willkommen“ der aktuellen Kirchen für die grüne Weltretter-Ideologie und des Papstes Begeisterung für das „heilige“ Greta-Girl und nicht zuletzt: für die gleichgeschlechtlichen und vielgeschlechtlichen Ideologien der woken Kulturrevolution.



    • Leo Dorner
      24. Dezember 2024 11:57

      Es ist wie bei den Kontinentalplatten unserer Erde: an gewissen Schnittpunkten läßt sich das Beginnen des Auseinanderdriftens noch nachträglich erforschen und zweifelsfrei dokumentieren.

      – Höchst sänftiglich kollidierten Säkulargeschichte und Kirchengeschichte im alten Wien (und Europa). - Ein Impresario der Schönheit als Kenner der Geschichte! Noch ist Wien nicht (ganz) verloren...






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