Irgendwann wacht man auf und reibt sich vor Verwunderung die Augen. Der Sensationserfolg der Kommunisten in Salzburg stellt den großen Zugewinn der Freiheitlichen in den Schatten, obwohl diese unter ihrer Frontfrau Marlene Svazek mit mehr als 25 Prozent ebenfalls einen beachtlichen Erfolg eingefahren haben. Sie haben die ÖVP zwar nicht überholt, sie haben sie aber eingeholt, der Abstand zu ihr ist dennoch nicht so groß ausgefallen, dass sie dem abgestraften Landeshauptmann Wilfried Haslauer und der ÖVP mehrere Koalitionsvarianten vermasselt hätten.
Der einzige Trumpf, der Haslauer noch bleibt: Er kann zwischen drei Koalitionspartnern wählen:
- Zweier-Koalition mit der SP: äußerst knappe Mehrheit (nur ein Mandat mehr), sehr fragil;
- Dreierkoalition mit Grünen und Sozialdemokraten: mit zwei Mandaten etwas größere Mehrheit, immer noch schwache Absicherung;
- und schließlich Koalition mit FPÖ: stabile, um mit seinen Worten zu sprechen, tragfähige Mehrheit mit drei Mandaten Mehrheit.
Wenn er der politischen Vernunft gehorcht und den Wählerwillen respektiert, müsste er letztendlich eine Regierung mit der Salzburger FPÖ bilden und Svazek zur stellvertretenden Landeshauptfrau machen. Wer Haslauer kennt und seine Taktik in der Vergangenheit heranzieht, weiß, dass er, wenn möglich, den Weg des geringsten Widerstandes geht. Das war so in der letzten Periode, als er die Dirndlkoalition Schwarz, Grün und Pink bildete. Aber diese Variante ist endgültig Geschichte, denn die NEOS sind aus dem Landtag rausgeflogen.
Mich wundert das nicht. Der Grund ist nicht nur der ehrgeizige und unberechenbare Sepp Schellhorn, der offenbar nur in die Politik gegangen ist, um als Hotelier und Unternehmer zu reüssieren. Der Grund ist die ideologische Unschärfe der NEOS, die nicht wissen, ob sie rechts oder links blinken sollen und die personellen Grabenkämpfe, die unter Beate Meinl-Reisinger zugenommen haben. Außerdem ist in Zeiten der grassierenden Armut mit Wirtschaftsliberalismus keine Maus hinter dem Ofen hervorzuholen.
Svazek kam der ÖVP nahe, aber nicht nahe genug
Der Erfolg gibt der FPÖ mit ihrem Programm der Armuts- und Inflationsbekämpfung, dem Ruf nach einem Ende der für unsere Wirtschaft schädlichen Russland-Sanktionen, dem Verlangen nach einer Zähmung der OMV, die ihre Supergewinne an die Erdgas- und Erdölkonsumenten zurückgeben soll und schließlich dem Verlangen nach signifikanten Lohnerhöhungen bei gleichzeitiger Entlastung der mittelständischen Unternehmen von den Lohnnebenkosten, völlig recht. Marlene Svazek hat es verstanden, diese Programmatik auf die Salzburger Situation herunterzubrechen.
Die überspitzten Forderungen Kickls in Sachen Corona vermied sie, und räumte ihnen in ihrem Wahlkampf keinen prominenten Platz ein. Dem Umweltfuror der Grünen mit Windkraft in den schönsten Landschaften, erteilte sie eine Abfuhr, und die zwangsweise Verteilung von hauptsächlich jungen, männlichen Wirtschaftsflüchtlingen in kleinen ländlichen Gemeinden kritisierte sie zu Recht. Ihr Wunsch nach einer gezielten, auf Bedarf ausgerichteten, Arbeitsmigration, vor allem aus der EU und europäischen Drittstaaten ist nachvollziehbar. Der Wähler hat es honoriert. Sie pendelte die FPÖ auf mehr als ein Viertel der Wählerstimmen ein und kam der ÖVP nahe, wenn auch nicht so nahe, wie sich das manche insgeheim gewünscht hätten.
Wenn Haslauer eine tragfähige Koalition möchte, wird er über seinen Schatten springen müssen; und Svazek, die als Politikerin gereift ist, wird glaubhaft machen müssen, dass sie sich von Kickl emanzipiert hat.
Sie nun auf die gleiche Stufe zu stellen, wie die KPÖ, die in Salzburg Land auf Anhieb 11 Prozent erreichte und in Salzburg Stadt die Freiheitlichen mit 21 Prozent auf Platz drei verwies, ist bereits eine Strategie ihrer Mitbewerber, vor allem der SPÖ, um der FPÖ vor den Koalitionsverhandlungen zu schaden. Denn sie sehen in den Kommunisten einen Prellbock gegen den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Freiheitlichen.
Kommunisten kopieren das Grazer Modell
Der für alle überraschende Aufstieg der Kommunisten in Salzburg insgesamt, aber vor allem in Salzburg Stadt, war so überraschend nicht, ist aber von allen Parteien und während des Wahlkampfes übersehen oder zumindest bagatellisiert worden, um sie nicht aufzuwerten. Wie ist dieser Erfolg möglich?
Die Kommunistische Partei, die seit dem Staatsvertrag und mehr noch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa in der absoluten Bedeutungslosigkeit versunken ist, hat es verstanden, sich still und leise personell und programmatisch zu erneuern. Die alte Führungsriege, die noch für den Panzerkommunismus war und im Schlagschatten der Sowjetunion existierte, wurde abgelöst. Seit dem 28. Parteitag gab es Führungs- und Richtungskämpfe. Ein neues Statut, das einen Dezentralisierungs- und Demokratisierungsprozess einleiten wollte, wurde kurz darauf wieder revidiert. Die Partei gilt als EU- und globalisierungskritisch, das verbindet sie mit der FPÖ, tritt aber immer wieder zu Europawahlen an. Mit dem 38. Parteitag wurde eine Neuorientierung der KPÖ beschlossen. Ideologische Auseinandersetzungen werden vermieden. Die Kommunisten finden sympathische junge Leute, die herzeigbar und kampagnenfähig sind und widmen sich der pragmatischen Kleinarbeit.
Dort, wo die etablierte Politik die größten Schwachstellen aufweist, das ist die Wohnungsproblematik, werfen sie sich in die Schlacht. Sie gehen in die benachteiligten Viertel, sind in Sprechstunden vor Ort, fangen auch den durch Inflation und Energiekrise geschwächten unteren Mittelstand auf und verzichten, so sie in Gemeinderäten sitzen, auf die Hälfte ihrer Bezüge. Das wurde über Jahre mit Erfolg in Graz praktiziert, wo die KPÖ mit der Kommunistin Elke Kahr erstmals eine Bürgermeisterin stellt.
In Salzburg Land und Stadt wurde dieses Modell eins zu eins kopiert und in Salzburg Stadt mit ihren großen sozialen Problemen – ein Blick nach Lehen oder dem neugestalteten Vorplatz des Hauptbahnhofes genügt, um zu begreifen, worum es geht – resultierte es mit einer Zustimmung von 21 Prozent. Die Kommunisten verwiesen sogar die sonst außerordentlich erfolgreiche FPÖ in Salzburg Stadt auf Platz drei.
Die Schockwellen reichen von Salzburg bis Wien
Wäre ich Bürgermeister Michael Ludwig, hätte ich nur noch schlaflose Nächte. Ihm kann, in die Zange genommen von einer aufsteigenden FPÖ und einer basisorientierten KPÖ, sehr wohl ein ähnliches Schicksal drohen wie Landeshauptmann Haslauer, umso mehr, als die Sinn- und Personalsuche der SPÖ noch nicht abgeschlossen ist und die Mitgliederbefragung erst jetzt nach der Landtagswahl in Salzburg so richtig in die Gänge kommt. Wird die SPÖ aus lauter Angst, von den Kommunisten überholt zu werden, mit Andreas Babler, dem umtriebigen Linksaußen der SPÖ, einen kräftigen Linksschwenk machen und damit für eine Koalition mit der ÖVP im Bund aus dem Rennen geworfen werden oder besinnt sie sich doch eines Besseren?
Gut, die Mitgliederbefragung wurde von der SPÖ-Geschäftsführung von vornherein ad absurdum geführt und soll nur ein "Stimmungsbild" abgeben. Wenn die Stimmung aber sehr deutlich ausfällt, kann sie auch ein Bundesparteitag, der die eigentliche Entscheidung treffen wird, nicht ignorieren.
Ursula Stenzel war ÖVP-Bezirksvorsteherin des 1. Wiener Bezirkes (2005-2015), ehe sie zur FPÖ wechselte (u.a. als nicht-amtsführende Stadträtin). 2020 trat sie wieder aus der Partei aus. Davor war sie Mitglied des EU-Parlaments (ÖVP) und ORF-Journalistin.