"Europas Wirtschaft wird bald um jeden Migranten betteln", heißt es in einem am 28. Dezember 2021 erschienenen Leitartikel der einst bürgerlichen Wiener "Presse". Der Chefökonom der österreichischen Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein, sieht in den kommenden Jahren einen drastischen Fachkräftemangel auf die Alpenrepublik zukommen, den er mit mehr als 500.000 Personen beziffert. Die demographische Entwicklung im Lande – und in ganz Europa – spricht tatsächlich dafür. Denn die Generation der Babyboomer wird in den kommenden Jahren ihren Ruhestand antreten und kann durch die zahlenmäßig europaweit schwächeren Kohorten ihrer Nachfolger nicht ausreichend ersetzt werden.
Daher liegt es nahe, dass Forderungen nach verstärkter Zuwanderung erhoben werden, wie das Demographie- und Migrationsexperten wie Rainer Münz seit vielen Jahren tun. Allerdings stellt sich die Frage, wie man exakt jene Menschen nach Österreich oder in andere unter einem Geburtenmangel leidende Volkswirtschaften der Union lotsen kann, die vom Arbeitsmarkt tatsächlich gebraucht werden und die erwartungsgemäß einen Beitrag zur Wertschöpfung leisten werden. Modernen Industrienation wie Deutschland und Österreich ist nämlich mit der Zuwanderung von über keinerlei Ausbildung verfügenden Migranten nicht gedient. Eine Migration in die europäischen Wohlfahrtssysteme aber bringt keinen Nutzen, sondern lediglich Kosten. Von Migration müssen beide Seiten profitieren. Es ist unsinnig, europäischen Nationen eine Willkommenskultur für Einwanderer zu verordnen, die ihrerseits nicht bereit oder imstande sind, einen positiven Beitrag zum Gemeinwohl der Aufnahmeländer zu leisten.
Nur am Rande sei vermerkt, dass Japan vor durchaus ähnlichen demographischen Herausforderungen steht wie Europa (wenn nicht sogar vor noch schlimmeren), darauf aber nicht mit einem forcierten Immigrationsprogramm reagiert, sondern mit einer Steigerung der Produktivität der Wirtschaft. Der Import von Arbeitskräften, wie er in Euroland propagiert wird, ist für alternde Gesellschaften also offensichtlich nicht alternativlos. In jedem Fall ist es notwendig, sich der Frage einer qualifizierten Zuwanderung nicht ausschließlich aus der Binnensicht, sondern auch aus jener der zu rekrutierenden neuen Arbeitskräfte zu stellen. Innereuropäisch werden für Deutschland und Österreich wohl nicht mehr allzu viele anzuwerben sein. Denn einerseits sind aus den Ökonomien des ehemaligen Ostblocks seit 1989 bereits Millionen qualifizierter Arbeitskräfte ausgewandert, ein Massenexodus, unter dem diese Länder erheblich leiden, und andererseits werden dort inzwischen auch schon attraktive Jobs angeboten. Potentielle Einwanderungskandidaten werden daher von außerhalb Europas kommen müssen.
Die "Lingua franca" der Gegenwart ist Englisch. Und wenn in Asien und Afrika jemand eine Fremdsprache beherrscht, dann ist es eben Englisch. Somit stehen die deutschsprachigen Länder Europas vor der ersten Hürde: Wie viele Afrikaner oder Asiaten verfügen schließlich über Deutschkenntnisse?
Aber es gibt auch noch ein zweites, ein bedeutend größeres Hindernis: Dem Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 1976, Milton Friedman, verdanken wir folgende Einsicht: "Man kann einen Sozialstaat haben und man kann freie Zuwanderung haben. Aber man kann nicht beides zugleich haben." So ist es: Der Sozialstaat entfaltet durch das Setzen falscher Anreize nicht nur im Inneren zerstörerische Kräfte, sondern übt auch eine geradezu magische Anziehungskraft nach außen, nämlich auf die aus ökonomischer Sicht falschen Migranten aus. Die enttäuschende Beschäftigungssituation der seit 2015 nach Deutschland und Österreich Zugereisten oder "Geflüchteten" spricht Bände. Ein guter Teil dieser Leute lebt nach wie vor von Transferzahlungen und wird es voraussichtlich auch künftig tun. Der schönen Landschaft wegen sind viele von ihnen schließlich nicht gekommen. Auch nicht deshalb, weil sie es nicht erwarten können, endlich am Hochofen oder auf dem Bau zu arbeiten. Es ist wohl vielmehr die Aussicht auf eine gegenleistungsfreie Vollversorgung, die zahlreiche Zuwanderer in die mitteleuropäischen Wohlfahrtsparadiese gezogen hat und immer noch zieht.
Intelligente, gut ausgebildete Afrikaner oder Asiaten, die daheim keine verlockenden beruflichen Perspektiven sehen und daher vorhaben, sich im Ausland eine Existenz aufzubauen, stehen vor folgenden Alternativen: Entweder sie gehen in einen europäischen Wohlfahrtsstaat, wo sie alles in allem mehr als die Hälfte ihres Einkommens an den Fiskus abzuliefern genötigt und von der Politik wie unmündige Kinder behandelt werden; oder sie wandern in eines der klassischen Einwanderungsländer (USA, Kanada, Australien oder Neuseeland) aus, wo man ihnen zwar keine vergleichbar üppigen Sozialleistungen andient, sie dafür aber – dank deutlich niedrigerer Steuern und Abgaben – die Möglichkeit haben, aus eigener Kraft ein Vermögen zu erwerben, zumindest aber eine gutbürgerliche Existenz zu schaffen.
Die Antwort auf die Frage, wohin die tüchtigeren unter den Migranten unter diesen Umständen gehen, liegt auf der Hand. Wo Leistung bestraft, das Recht auf Faulheit aber faktisch zur Staatsräson erhoben wird, braucht man sich nicht über einen Mangel an qualifizierten Zuwanderern zu wundern.
Das Problem der gleichfalls den hemmungslosen Umverteilungsexzessen geschuldeten Abwanderung hochqualifizierter, vor allem junger Unionsbürger, sei hier nur am Rande erwähnt. Ein "Brain drain", die Auswanderung der Besten einerseits, und unqualifizierte Zuwanderung andererseits – das ist der Stoff, aus dem der Niedergang von Nationen gewebt ist. Milton Friedman hat es schon vor Jahrzehnten erkannt: Der Wohlfahrtsstaat ist die Wurzel allen Übels.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.