Unsere Bundesregierung hat am 3. September dem Nationalrat zwei Gesetzesentwürfe vorgelegt, und zwar den Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem straf- und medienrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Hass im Netz getroffen werden, und eines weiteren Bundesgesetzes über Maßnahmen zum Schutz der Nutzer auf Kommunikationsplattformen. Auf den Entwurf dieses Bundesgesetzes zum angeblichen Schutz der Nutzer will ich hier nicht eingehen. Es sei nur so viel gesagt, dass es im Zusammenhang mit den angeblichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Hass im Netz zu sehen ist.
Aus grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen ist dieses Gesetz als Ganzes abzulehnen, weil es entgegen dem im Motivenbericht angegebenen Ziel der Stärkung der Meinungsfreiheit die gegenteilige Wirkung haben muss.
Seit vielen Jahren orientiert sich die Rechtsprechung zur Meinungsäußerungsfreiheit an einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. September 1991 (Nr. 6/1990/197/257 Fall Oberschlick gegen Österreich), die folgenden Wortlaut hat:
"Vorbehaltlich des Art 10 Abs. 2 MRK findet die Freiheit der Meinungsäußerung nicht nur auf "Informationen" oder "Ideen" Anwendung, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder als indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine "demokratische Gesellschaft" gibt. Art 10 MRK schützt nicht nur den Inhalt der geäußerten Ideen oder Informationen, sondern auch die Form, in der sie dargestellt werden. Die Grenzen zulässiger Kritik sind demgemäß in Bezug auf einen Politiker, der in seiner öffentlichen Funktion handelt, weiter als in Bezug auf eine Privatperson."
Abgesehen von dem bekannten Anlassfall - ein Verfahren wegen Beschimpfung, welches Jörg Haider gegen Gerhard Oberschlick angestrengt hatte, - ist dieser richtungsweisenden Entscheidung zu entnehmen, dass auch Äußerungen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen, von der Meinungsfreiheit umfasst sind und dass es ohne Toleranz solchen Äußerungen gegenüber keine demokratische Gesellschaft gibt. In der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte ist zusätzlich noch davon die Rede, dass auch provokante Äußerungen zulässig sind.
Dem widerspricht in grundlegender Weise die Hauptzielrichtung des gegenständlichen Gesetzesentwurfes, ein nicht definiertes und auch nicht definierbares Gefühl wie Hass zu einem strafgesetzlichen Tatbestandsmerkmal zu machen. Bereits jetzt wird der nicht definierte und für den Bereich des Strafrechts auch nicht definierbare Begriff Hass als Tatbestandsmerkmal des Deliktes nach § 283 Strafgesetzbuch herangezogen.
Wir alle wissen, dass es um die Freiheit der Meinungsäußerung nicht gut bestellt ist, dass viele unserer Mitbürger Angst haben, sich frei von der Leber weg zu äußern. Das Instrument der Einschüchterung ist in erster Linie der sogenannte Verhetzungsparagraf. Dabei handelt es sich um den bereits angeführten § 283 Strafgesetzbuch. Hilfsweise weicht man auf Paragraf 188 Strafgesetzbuch über die Herabwürdigung religiöser Lehren aus.
Der Verhetzungsparagraf enthält mehrere Abschnitte. Unter Strafe gestellt ist der Gewaltaufruf gegen Kirchen und Religionsgesellschaften und gegen eine Gruppe von Personen, die gekennzeichnet ist durch: Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Weltanschauung, Staatsangehörigkeit, Abstammung, Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung. Zu diesem Delikt gehört auch die Aufstachelung zum Hass gegen eine der genannten Gruppen.
Das war schon bisher höchst problematisch und hat in der Rechtsprechung zu Ergebnissen geführt, die haarsträubend sind und den offenbar erwünschten Effekt bringen, dass die Menschen von der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit kaum mehr Gebrauch machen. Anders gesagt, die Freiheit der Meinungsäußerung gilt nur mehr für ein bestimmtes politisches Spektrum, dort aber sehr exzessiv. Ein Staat, in dem die Grundrechte nicht für alle Bürger gelten, ist natürlich kein demokratischer Rechtsstaat mehr.
Der Vollständigkeit halber noch kurz zum Delikt der Herabwürdigung religiöser Lehren. Dabei geht es um die öffentliche Verspottung einer Sache oder Person, die Gegenstand religiöser Verehrung ist. Tatsache ist, dass seit vielen Jahren diese beiden Strafdelikte totes Recht sind, wenn sich die Verhetzung oder Herabwürdigung gegen Christen richtet. Unterbunden wird hingegen vor allem jede Kritik am Islam.
Es ist eine Gefahr für uns alle, dass der Begriff Hass, also ein Gefühl wie Hass, zur Grundlage eines Straftatbestandes geworden ist, und dass durch die beiden Gesetzesentwürfe über den Hass im Netz die Beseitigung des Rechtsstaates und der Grund- und Freiheitsrechte hurtig voranschreitet. Es ist nämlich eine ganz entscheidende Änderung und Ergänzung des Verhetzungsparagrafen geplant. Diese Strafbestimmung soll nicht nur Anwendung finden, wenn gegen Gruppen von Personen zur Gewalt aufgerufen oder zum Hass angestachelt wird, sondern auch dann, wenn dasselbe gegen eine Einzelperson wegen der Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe erfolgt.
Es ist wichtig zu verstehen, warum die Kriminalisierung von Hass aus rechtsstaatlicher Sicht eine Ungeheuerlichkeit ist. Wenn Juristen das Recht anwenden, dann muss es einen Tatbestand geben, eine allgemeine Umschreibung in einem Gesetz oder in einer Verordnung, die dann auf den konkreten Fall anzuwenden ist. Letzteres ist der Sachverhalt.
Zur Erklärung Beispiele aus dem Strafrecht: Den Tatbestand des Diebstahls erfüllt, wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen mit dem Vorsatz wegnimmt, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Ein dazu passender Sachverhalt wäre, dass jemand in eine fremde Hosentasche greift, damit eine Geldbörse an sich nimmt und diese auch behalten will. Der Zauberkünstler greift vielleicht auch in fremde Taschen, will die Geldbörse aber zurückgeben und sich nicht bereichern. Noch einfacher ist die Umschreibung des Mordes, wonach jemand bestraft wird, der einen anderen tötet.
Beide Beispiele zeigen, dass es um ein äußeres nachweisbares Geschehen, um eine Handlung und nicht um ein Gefühl des Täters geht. Ohne Aneignung einer fremden beweglichen Sache wie einer Geldbörse gibt es keinen Diebstahl. Ohne Tötung eines anderen kann man nicht von Mord sprechen. Der für den Verhetzungstatbestand ganz wichtige Hass wird aber im Gesetz nicht definiert und ist auch im strafrechtlichen Sinn nicht definierbar. Wikipedia definiert Hass als ein intensives Gefühl der Abneigung und Feindseligkeit. Hass werde als Gegenpol zur Liebe betrachtet.
Aufstachelung zum Hass soll nach den geplanten Änderungen nun auch Einzelpersonen schützen. Demgegenüber soll die Äußerung einer Meinung, eine Information oder die Verbreitung einer Idee durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gewährleistet und geschützt sein, selbst dann, wenn diese Äußerung verletzt, schockiert, beunruhigt oder provoziert. Eine Interessenkollision gab es schon bisher und lässt sich auch nicht völlig ausschließen, sodass die Gerichte im Einzelfall den Ausgleich finden müssen.
Tatsächlich ist mir eine Reihe von Entscheidungen bekannt, wo die Gerichte willkürlich und sachlich nicht nachvollziehbar, also parteilich entschieden haben. Ganz krass sind jene Fälle, in denen der Täter nichts anderes getan als nachweislich wahre Informationen weitergegeben hat. Bekanntlich kann die Wahrheit am meisten weh tun, sodass eine solche Information für die Betroffenen verletzend oder schockierend sein kann. Die Verbreitung einer wahren Information kann also in der Öffentlichkeit das intensive Gefühl der Abneigung und Feindseligkeit auslösen, also zu Hass aufstacheln. Hass als strafrechtliches Tatbestandsmerkmal ist also sozusagen das beste Mittel, die Meinungsäußerungsfreiheit aufzuheben.
Wie gesagt gibt es bereits eine Rechtsprechung, die gestützt auf das geltende Recht die Wahrheit unterdrückt. Die Tendenz, die Information über wahre Begebenheiten und Ereignisse noch mehr zu unterdrücken, wird nun durch die angebliche Bekämpfung von Hass im Netz noch deutlich verstärkt. Wenn sich nämlich eine Äußerung gegen eine Gruppe von Menschen richtet, läge es in der Natur der Sache, einen objektiven Maßstab anzuwenden, ob etwa die Verbreitung einer Idee, mag sie auch verletzend oder schockierend sein, wegen unseres Grundrechtes noch zulässig sein soll.
Wenn aber auf die Befindlichkeit einer Einzelperson abgestellt wird, dann tun sich die ohnehin schon parteipolitisch eingefärbten Gerichte noch viel leichter, unter Anwendung des Verhetzungsparagrafen die Freiheit der Meinungsäußerung zu unterdrücken. Wir haben bereits die Erfahrung mit der Rechtsprechung gemacht, dass es Aufstachelung zum Hass oder zumindest die Herabwürdigung einer religiösen Lehre ist, wenn zum Beispiel Glaubensinhalte des Islam wahrheitsgemäß dargestellt werden. Wenn aber Hassausbrüche gegen Christen verbreitet werden, dann ist das zulässige Kritik, zulässige Satire und Freiheit der Kunst.
Unter diesem Aspekt betrachtet ist es erschütternd, wie durch die vorliegenden Gesetzesentwürfe diese Tendenz verstärkt bzw. rechtlich abgesegnet wird. Es soll nämlich ein § 107c Strafgesetzbuch unter der Überschrift fortdauernde Belästigung "im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems" die Verletzung der Ehre einer Person in die Strafbarkeit miteinschließen. Die Neufassung von § 283 Strafgesetzbuch würde nun bewirken, dass wegen Verhetzung nicht nur eine Gruppe von Personen sondern auch Personen wegen der Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe geschützt werden sollen.
In der Strafprozessordnung ist die Einfügung eines § 66b unter dem Titel "Prozessbegleitung" geplant, und zwar für Opfer von übler Nachrede, Beleidigung, Verleumdung, fortdauernder Belästigung, für die Opfer nach dem neu formulierten bereits erwähnten § 107c Strafgesetzbuch und für die Opfer von Verhetzung. Alle diese Opfer können nun nach einer Änderung des § 71 Strafprozessordnung den Antrag auf Anordnung von Ermittlungsverfahren (also z.B. Hausdurchsuchung) stellen, und zwar zur Ausforschung des Beschuldigten oder zur Sicherung von Beweisen oder vermögensrechtlicher Anordnungen, und das ohne jedes Kostenrisiko, weil auch die §§ 390 und 390a Strafprozessordnung entsprechend geändert werden sollen.
Es tun sich bisher ungeahnte Möglichkeiten auf. In Zukunft kann jede für die Mächtigen unerwünschte Kritik mithilfe des Strafgerichtes unterbunden werden. Jeder einzelne Moslem kann zum Beispiel als Opfer von Verhetzung oder als in seiner Ehre Gekränkter die wahrheitsgemäße Darstellung eines Glaubensinhaltes des Islam mithilfe des Gerichtes ohne Kostenrisiko verfolgen und damit jede Kritik unterbinden. Ähnliches könnte auch Kritikern der Corona-Maßnahmen blühen, wenn sich ein Politiker in seiner "Ehre" gekränkt fühlt.
Dazu kommt, dass es dem Legalitätsprinzip widerspricht, eine Rechtsnorm zu erlassen, die nicht auf äußeres Geschehen und nicht auf eine menschliche Handlungsweise abstellt, sondern in erster Linie auf ein Gefühl. Der Ermessensspielraum, der dem rechtsanwendenden Organ des Staates zur Verfügung steht, wäre de facto unbegrenzt, was bedeutet, dass die Rechtsanwendung in Willkür und Anarchie abgleiten würde. Der normunterworfene Staatsbürger könnte einem solchen Gesetz nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen allenfalls verletzende oder beunruhigende Äußerungen strafbar wären.
Der Verfassungsgerichtshof hat sich - allerdings in anderen Zusammenhängen - mit der Frage der Zugänglichkeit und Verständlichkeit von Normtexten befasst. Es gibt dazu eine bekannte Entscheidung dieses Gerichtshofes, das sogenannte "Denksporterkenntnis" (VfSlg 12.420/1990.) Es ging um den Zugang zum Text einer Rechtsnorm und um die Verständlichkeit der Formulierung für den normunterworfenen Staatsbürger. Und da formulierte das Gericht, es stehe fest, "…dass nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben überhaupt verstanden werden kann, welche Anordnungen hier getroffen werden".(Eine Randbemerkung: Wollte man diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die "Corona"-Gesetze und -Verordnungen anwenden, wären diese schon aus diesen rein formalen Gründen verfassungswidrig).
Wenn aber schon solche eher formalen Fehler eine Norm verfassungswidrig machen, dann muss das umso mehr für einen Begriff wie Hass gelten, der rechtlich überhaupt nicht fassbar ist und dessen Bedeutung bzw. Nicht-Fassbarkeit darüber entscheidet, ob ein strafbares Verhalten vorliegt.
Die praktischen Auswirkungen der geplanten Änderung sind unabsehbar. In Zukunft könnte jeder, der sich als Opfer einer Üblen Nachrede, einer Beschimpfung oder einer Nötigung betrachtet oder besser gesagt fühlt, unter Berufung auf diesen Straftatbestand die Behauptung aufstellen, er fühle sich einer in § 283 Strafgesetzbuch aufgezählten Gruppen zugehörig und könnte dadurch ein Strafverfahren auslösen. Eine Reihe von Straftatbeständen könnte seine Bedeutung verlieren und obsolet werden, weil nun dadurch, dass Verhetzung nicht nur gegen eine Gruppe sondern auch gegen eine Einzelperson möglich sein soll, das angebliche Opfer einen Schuldspruch provozieren könnte, der als einzigen realen Hintergrund "Hassgefühle" hätte.
Dr. Alfons Adam war Rechtsanwalt und widmet sich derzeit der Arbeit im Verein "PRO VITA – Bewegung für Menschenrecht auf Leben".