Die EU, der Gipfel und die Folgen

Der Corona-Gipfel der EU hat wieder gezeigt und klar für alle erkennbar gemacht, was die EU ist und wohin sie will: Sie ist auf dem Weg zum Super-, zum Über-Staat, der den Einzelstaaten mehr und mehr an Souveränität und Eigenstaatlichkeit wegnimmt. Und sie ist damit schon recht nahe am Ziel angelangt. 

So hat sie, was bisher den Nationalstaaten vorbehalten war, jetzt auf einmal auch die Corona-Hilfe für die Defizitstaaten und für die Nettoempfänger-Staaten mit darauf folgenden gemeinschaftlichen Haftungs- und Rückzahlungsverpflichtungen an sich gerissen, was ein jahrelanges gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis begründen wird.

Dabei übernimmt sie nach dem Willen der Großen wie ein Staat Finanzhoheit, indem sie erstmals selbst Schulden aufnimmt und die Haftung für die Rückzahlung übernimmt und indem sie künftig eigene Steuern einheben wird. Sie übernimmt da wie ein Superstaat die Entschädigung der Wirtschaftstreibenden und sichert sich dabei ein Einschau- und Mitspracherecht über die Verwendung dieser Finanzmittel durch die Mitgliedstaaten, wodurch diese damit von den EU-Institutionen abhängig werden.

Und was die Entscheidungsfindung beim Gipfel anlangt, so haben sich wieder Deutschland und Frankreich mit Merkel und Macron als dominierende Mächte in der EU gebärdet, denen gegenüber Widerspruch nicht möglich ist. Über die Kleinen wurde drübergefahren und die Großen haben sich voll durchgesetzt: das Corona-Hilfsprogramm bleibt bei 750 Milliarden und das EU-Sieben-Jahres-Budget wird auf insgesamt 1800 Milliarden erhöht. Es bleibt also so dabei, wie es die Großen schon im Voraus festgelegt haben.

Dass die zwei Großen dieses Mal an dem von ihnen vorgegebenen Aktionsprogramm doch Abstriche machen mussten, grenzt fast schon an ein Wunder und war überhaupt nur möglich, weil sich eine Koalition unter mehreren Kleinen gefunden hat. Aber auch diese Abweichung ist nur rein formal zu sehen, denn in der praktischen Auswirkung – was die Last der praktischen Kreditrückzahlungen für die von der EU aufzunehmenden Kredite anlangt – so werden sich kaum Änderungen gegenüber den Vorschlägen der Großen ergeben: Zahlen werden im Wesentlichen die gesunden Volkswirtschaften müssen, und zwar sowohl für gewährte Kredite wie für die nicht rückzahlbaren Zuschüsse.

Zur Augenauswischerei werden beim EU-Budget Rabatte gewährt, die aber die erhöhten Beitragsleistungen der Netto-Zahler zu dem erhöhten Budget nicht kompensieren werden (Österreich wird voraussichtlich 2,5 Milliarden mehr ins EU-Budget einzahlen).

Darüber hinaus ist auch die besondere Macht- und Entscheidungsstruktur der EU wieder einmal deutlich geworden: die zwei Großen – Deutschland und Frankreich – haben ein Übergewicht, dem die restlichen 25 Mitgliedsstaaten, die Mittelgroßen, die Kleinen und die ganz Kleinen, nur ausnahmsweise – sicher nicht bei grundlegenden Fragen – etwas entgegensetzen können.

Die Entscheidungen fallen auch nicht nach demokratischen, parlamentarischen Regeln. Nicht gewählte Abgeordnete treffen die Entscheidungen, nein, es sind die Staats- und Regierungschefs, sie, die etwa zuhause nur einer Minderheitsregierung vorstehen und die keineswegs verpflichtend immer Mehrheitsmeinungen vertreten. Ansätze, den Chefs Richtlinien für ihr Abstimmungsverhalten von parlamentarischen Gremien mitzugeben, gibt es nur ansatzweise: Wenn überhaupt gibt es vor den Gipfeln nur Debatten in parlamentarischen Ausschüssen, aber keine verpflichtenden Instruktionen. Und die wären auch schwer zu befolgen, weil der Verhandlungsablauf – es müssen ja meist Kompromisse geschlossen werden – das kaum zulässt.

Es müssten nämlich bei komplizierten Verhandlungen immer wieder, je nach Verhandlungsstand, Rückfragen getätigt und neue Instruktionen eingeholt werden. In einem multilateralen Verhandlungsprozess mit 27 Teilnehmern ist so etwas praktisch nicht durchführbar, wenn man zu Ergebnissen kommen will. Da also eine solche Vorgangsweise nicht machbar ist, bleibt die EU, wie sie ist.

Daher gibt es eine Machtkonzentration, nicht nur hin zu den zwei großen Staaten, sondern zusätzlich noch dort zu deren Staats- und Regierungschefs. Das Europäische Parlament hat zwar bei wichtigen Entscheidungen ein Mitspracherecht, aber dabei handelt es sich praktisch nur um ein Zustimmungsrecht zu den vorher schon gefallenen Entscheidungen mit gelegentlichen Ergänzungen und kleineren Abänderungen des zur Beschlussfassung vorgelegten Textes.

Wie es zurzeit aussieht, wird sich an dieser Machtverteilung in absehbarer Zeit auch nicht viel ändern, weil die Staats- und Regierungschefs nicht bereit sind, viel von ihrer Machtposition abzugeben, vor allem nicht die französischen Präsidenten.

Aber für Österreich ist diese Situation wahrscheinlich sogar vorteilhaft, um eigene Interessen vorzubringen – wie man jetzt gesehen hat. Da ist viel mehr möglich als in einer Situation, wo die wahre Macht beim Europäischen Parlament läge. Denn die wenigen österreichischen Abgeordneten – noch dazu in Fraktionen zersplittert – würden in der großen parlamentarischen Versammlung wohl kaum nationale Interessen durchbringen. 

So bleibt die EU auf absehbare Zeit so, wie sie ist, mit einer  Machtkonzentration auf wenige Staaten – neben den Großen wird vielleicht noch auf Italien, Spanien und Polen gehört – und auf wenige Persönlichkeiten. Mit Österreich und den Österreichern unter "ferner liefen".                

Dr. jur. Peter F. Lang ist Richter und Diplomat gewesen.

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