Kann der türkis-blauen Regierung Staatsfeindlichkeit vorgeworfen werden?

Angesichts der Forderung nach einer teilweisen Rezeption des Strafgesetzbuches der seinerzeitigen DDR ("staatsfeindliche Verbindung") stellt sich die Frage, ob die jüngste ÖVP-FPÖ-Koalition den geplanten Tatbestand erfüllt hätte. Vorauszuschicken ist, dass konkrete Formulierungen der neuen Strafbestimmung noch nicht vorgelegt wurden und derzeit vornehmlich der Anlassfall diskutiert wird. Umso mehr lohnt sich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Vorschlag einer vermeintlich staatstragenden Partei.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Verhalten der letzten Regierung in Bezug auf die wichtigsten Pfeiler der Staatsmacht – Polizei, Bundesheer, Justiz:

  1. Hinsichtlich der Polizei sind zwar deutliche Verbesserungen feststellbar gewesen, doch ist im öffentlichen Bewusstsein der Anschlag auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung nachhaltig im Gedächtnis hängen geblieben. Nach den medial breit getretenen Hausdurchsuchungen, die zu später Stunde nach einem kurzen Telefonat mit dem Journalrichter und zunächst ohne schriftliche Ausfertigung angeordnet worden waren, erfolgte bekanntlich die zumindest kurzfristige Lahmlegung dieses österreichischen Sicherheitsdienstes. Der Innenminister soll so wohlwollend zugeschaut haben wie der Justizminister glücklich war, nicht vorinformiert gewesen zu sein. Im Hintergrund führten Teile der Regierungsparteien offensichtlich einen Kleinkrieg, der nicht unwesentlich zum Ende der Zusammenarbeit beitrug. Inwieweit die Zeit – auch im Hinblick auf das befreundete Ausland – Wunden heilen kann, wird man erst sehen. Die Hausdurchsuchungen wurden in der Folge vom Obergericht großteils für rechtswidrig erklärt, ohne dass die beschlagnahmten Gegenstände unverzüglich retourniert wurden. Anklagen gab es, soweit ersichtlich, bisher keine – wohl aber zahlreiche Verfahrenseinstellungen. Von "der Asche des BVT" war die Rede, auf der die Opposition in der Folge tanzte.
  2. Hinsichtlich des Bundesheeres ist die Regierung den Weg der konsequenten Abrüstung weitergegangen. Trotz gegenteiliger Versprechungen im Regierungsprogramm, das Heer mit den notwendigen budgetären Mitteln auszustatten, fand die finanzielle Ausblutung seine Fortsetzung. Schwarzer Politik war es zum wiederholten Mal ein Dorn im Auge, dass ein Minister in der Rossauer Kaserne seine Funktion als Sprungbrett auf einen Landeshauptmannsessel verwenden könnte. Im Finanzministerium freute man sich über das Sparpotential beim Militär. Vom "Hochverrat mit den Mitteln des Budgetrechts" war daher die Rede.
  3. Hinsichtlich der Justiz setzte sich auch unter der türkis-blauen Regierung der Abstieg fort. Auf der einen Seite wurden mit hohem finanziellem und personellem Aufwand und ohne entsprechenden Erfolg (z.B. BVT) Verfolgungshandlungen gesetzt, auf der anderen Seite wird auf den untersten Ebenen bis hin zu den Schreibkräften und Übersetzungsdiensten rigoros gespart. Die Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt und die seinerzeitigen Regierungsparteien dürsten unter dem Schlagwort "Gewaltschutzprogramm" nach noch mehr Gefangenen. Mindeststrafen sollen entgegen einhelliger Expertenmeinung erhöht werden und selbst auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit soll der großinquisitorische Staat mehr Macht erhalten. Angesichts der juristisch inexistenten ÖVP-FPÖ-Regierung machen in der Justiz immer mehr Leute, was sie wollen, und rufen als Allheilmittel nach mehr Geld. Vom "stillen Tod" ist die Rede.

Trotz all dieser Punkte kann der bisherigen Regierung keine Staatsfeindlichkeit im Sinn der geplanten Strafbestimmungen vorgehalten werden. Erstens besteht das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, sodass eine Anwendung hinsichtlich in der Vergangenheit liegender Sachverhalte jedenfalls ausgeschlossen ist. Zweitens muss ins Kalkül gezogen werden, dass es sich bei der nun geplanten Strafbestimmung – soweit ersichtlich – um ein Vorsatzdelikt handelt und Politikern im Allgemeinen kein Vorsatz im Hinblick auf die oben genannten Erfolge (Asche, Hochverrat, Tod) vorgeworfen werden kann.

In Juristenkreisen hat sich angesichts eines in der Öffentlichkeit viel diskutierten Präjudizes der Fachausdruck Privilegium Dobernig eingebürgert: Politiker, die die juristische Tragweite ihres politischen Handelns nicht abschätzen können, sind nicht strafbar. Vielleicht ist auch dies ein Grund dafür, dass sich so wenig anerkannte Juristen auf das politische Parkett begeben.

Fazit: Staatsfeindlichkeit wird der verflossenen Koalition nicht mit der gebotenen Verurteilungswahrscheinlichkeit vorgeworfen werden können. Bei einer zukünftigen Regierung könnte sich das allerdings ändern. Auch deshalb sollte man den geplanten Paragrafen überdenken.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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