(Ein Schwarzbuch für "Deutsch als Fremdsprache")
Ich schreibe das Jahr 1991/92. Meine Karriere im österreichischen Schulwesen hatte gerade begonnen. Unterabteilung "Deutsch als Fremdsprache". Ein Jahr später hätte ich den Lehrerjob (etwa als Ex-Nachmittagsbetreuer an einer Schule in Mariahilferstraßen-Nähe), aufgrund unzählig negativer und teils gesundheitsschädlicher Erfahrungen beinahe genervt quittiert.
Schülerlümmel: "I woahr grod beim Direx, zua dem Sie mi gschickt homm!"
Ich, der Unterrichtspraktikant: "Hat er dir gesagt, dass das nicht in Ordnung geht, Schülerinnen in der Pause an einen Baum zu binden, um Sie nach Auszahlung eines Lösegeldes wieder frei zu lassen?"
Lümmel: "Ich hob eahmane gsoggt: "Geh schaissn!"
Gott sei Dank bewahrte mich in der Folge die neue Situation in Osteuropa vor der (einen Arbeitsvertrag suchenden Junglehrer) demütigenden Erfahrung: Ich musste mich nie für eines der damals üblichen (also in Wahrheit strukturelle politische Gewalt ausübenden) Lehrer-Rekrutierungsbüros im Wiener Stadtschulrat entscheiden: Es gab dort eine rote und eine schwarze Verwaltung mit der Verlockung auf Parteibuch-Anstellung. "Jo, wenn´se ned wüssan, auf wölcher Hochzeit se tanzn, sahns söhba schuld!"
Für fast ein Vierteljahrhundert unterrichtete ich also als Auslands-Lektor für "Deutsch als Fremdsprache" (DAF) im damals niedergebrochenen, heute aber aufstrebenden Osten. Gefunden habe ich vor allem Dummheit in den unendlichen Weiten der pädagogischen DAF-Verwaltungs-Galaxien…
"Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise (…). Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt es in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat." – "Zwei Dinge sind unendlich: Die Dummheit und das Weltall. Bei letzterem bin ich mir aber nicht so sicher!" (Albert Einstein)
Am Anfang stand 1992 der hoffnungsvolle Besuch eines Weiterbildungsseminars mit dem zukunftsweisenden Titel: "Deutsch für Ausländer", organisiert von einem augenscheinlichen Alt-68er aus einer Wiener Lehrer-Fortbildungs-Schmiede. (Abends am Biertisch, umringt von angehenden Lehrerinnen-Groupies: "In mir stecken so viele weibliche Akzente. Ich bin sowohl Mann als auch Frau!" - Eine seltsame Mischung aus Conchita und #metoo.)
Als Star-Referent angekündigt: Ein Wiener Lehrer XY aus einer bekannten Eliteschule, ins ferne Ungarn geschickt, um dort den rückständigen ungarischen Kindern Deutsch beizubringen. Das hatten allerdings schon vor ihm DDR-Lehrkräfte in Zusammenspiel mit dem ansässigen einheimischen Lehrpersonal professionell, wenn auch mit veralteten Lehrbüchern bewerkstelligt (etwa Lektion 5: "Lenins erster Schultag"). Wegen der weltpolitischen Neuordnung 1989 wurden die DDR-Lehrkräfte dann aber abgezogen.
Das so entstandene pädagogische Vakuum in den fernen Ost-Galaxien sollte zunächst nur mit den besten (heißt: pragmatisierten) Lehrern (ohne Ausbildung in "Deutsch als Fremdsprache") sprachlich kolonialisiert werden. Schließlich griff man (mangels Interesse derselben) auf Unterrichtspraktikanten zurück. Diese wurden in diesen fernen Klingonen-Galaxien (Ungarn, Tschechien, Slowakei) mit offenen Armen als Muttersprachler in den bilingualen Schulen (Unterrichtssprache in drei bis fünf Fächern war Deutsch) empfangen. Man sollte sie später (wie man an mir als ausnahmsweise kritisch denkenden Alien sieht) aus dem österreichischen Schulsystem nicht mehr losbekommen …
Freilich missverstanden dann manche dieser dort neu Angekommenen ihren Sprachlehrauftrag mit einem Messiastum. Mutmaßliche Opus-Dei-Pädagogen warfen schnell angesichts der überzähligen linken Utopisten vor Ort das Handtuch. Diese strichen dann die deutsche Literatur radikal zusammen auf sozial-revolutionäre Werke wie Kleist: "Michael Kohlhaas" oder Dürrenmatt "Der Besuch der alten Dame". Das hat freilich mit Fremdsprachenunterricht kaum mehr etwas zu tun.
Ein bundesdeutscher Historiker-Kollege dozierte laufend die neuesten liberalen pädagogischen Konzepte mittels erhobenem Zeigefinger: "Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob die Wissensvermittlung etwa der mesopotamischen, der alt-indianischen Hochkulturen etc, etc. den Schülern von heute noch vermittelbar erscheint!"
Ein anderer deutscher 68er-Lektor (sitzt heute in der bundesdeutschen DAF-Verwaltung) war Hardcore-Anhänger des Prinzips "Learning by Doing": Wie erklärt man den tumbben Ungarn die Bedeutung des anthropologischen Übergangsfeldes vom Affen zum Menschen und den dadurch vollzogenen aufrechten Gang? Ganz einfach: Man stellt sich aufs Katheder, stößt Urlaute von sich und springt auf den Boden, um dann aufrecht weiter zu marschieren...
Die ungarischen Schüler gaben ihm für diese Vorstellung dann kostenlosen Nachhilfe-Geschichtsunterricht, was die Stammbäume aller ungarischen Herrscherhäuer bis zurück zu den Arpaden betrifft… Das wusste aber schon Ovid (43 v.- 17 n. Chr.): "Auch vom Feind lernen ist Recht." Oder auch nur Wilhelm Busch: "Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss."
Bösartige, aber erfahrene ungarische Lehrerzungen sprachen hartnäckig davon, dass unter etlichen Ausgesandten aus dem Westen immer relativ viele "Abenteurer" mit im Schlepptau gewesen wären, die noch schnell vor der Pension einen draufmachen wollten; auch um aus ihrem drögen westlichen Ehealltag mit Femo-Intellektuellinnen Abstand in Form einer neuen Monatsbeziehung zu gewinnen.
Oft war das aber auch der Auftakt zu Neuem: Ein alternder Alt-68er feierte seine bilinguale zweite Auslands-Ehe standesgemäß mit feudaler Kutschenfahrt zum Standesamt – woraus eine lokale "Urban legend" entstand. Die Ungarn im Post-Kommunismus waren nämlich längst schon gezwungenermaßen auf den Drahtesel umgestiegen, weil ihnen selbst Benzin zu teuer und das Satteln von Pferden seit längerem zu umständlich geworden war.
Das aber sind freilich nur Peanuts, an die ich mich (mit meinen ehemaligen Schülern) sehr gerne erinnere. Die Ungarn sind auch nicht nachtragend, verstehen sich aber auf folgendes Sprichwort: "Es gibt Dinge, die kann man verzeihen, aber nicht vergessen!" Sicher auch mit eine wesentliche Erklärung für den Erfolg und der überzeugten Nachhaltigkeit der jetzigen Orbanschen Politik der strikten Opposition gegen diese Oberlehrmeisterei in Brüsseler Zentral-Tintenhochburgen.
Das Gutmenschen-DAF-Imperium schlug zurück nach Österreich
Jetzt aber zurück zu unserem Wiener-Spezialisten-Lektor auf Auslandstrip! Seine Fremdsprachen-Lehrmethode war revolutionär, er versprach uns den Stein der Weisen. Er versprach den gordischen Knoten im Bereich "Deutsch als Fremdsprache" endlich zerschlagen zu haben… Wir waren baff! War das also der Mr. Spock unter den DAF-Lehrenden gewesen?
Legte er uns doch einen Text auf Schwedisch (!) vor und forderte uns auf, innerhalb von zehn Minuten die wichtigste Aussage darin zu übersetzen. Das brachten wir Tumbbköpfe natürlich nicht zuwege, obwohl es doch – wie er später bewies – ganz einfach hätte sein müssen! Ist doch das Schwedische ohne Zweifel zwar nach wie vor eine germanische Sprache (als solches freilich nur mehr für Sprachhistoriker erkennbar). Dieses lockere Deutsch-Lehrprinzip verwendete er selbstverständlich auch bei den rückständigen Ungarn, alles freilich rein kommunikativ-spielerisch ohne lästiges Grammatik-Büffeln. "Und dann beschweren sich die Kinder, dass sie nichts verstehen…! Genau das wollte ich aber bezwecken: Dass sie endlich sprechen!"
Das Tragische daran ist allerdings: Diese Bullerbüh-Sprach-Lehrmethode hat im Zuwanderungsland Österreich seit den 90er Jahren (unter dem Orwell´schen Neusprech-Deutsch "Integration") flächendeckende Anwendung gefunden. Irrsinniger Weise ging man simpel einfach davon aus, dass alles einfach nur deshalb gelingen muss, indem man die Fremdsprachen-Zugänglinge (Bitte einreichen als neues Unwort des Jahres 2018!) einfach in Schülerklassen setzt. Wurde doch schon im Neuen Testament von einem Pfingst-Sprachwunder berichtet. Verdrängt wurde freilich eine Passage aus dem Alten Testament: Dass nämlich unter dem mesopotamischen Herrscher Nebukadnezar ein riesiger Turmbau zu Babel wegen des Sprachenwirrwarrs in sich zusammengebrochen war …
Natürlich galt auch für diese DAF-Funktionärs-Bürokratentum: "Sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser." Die meisten der im Auslandsschulwesen über Jahre hinweg Tätigen (manche dann weitergereicht ins DAF-Schulverwaltungssystem) lernten nie die Fremdsprache ihres Aufenthaltslandes (sofern sie jemals beruflich länger im Ausland gewesen waren); manchmal nicht einmal jene, die mit Einheimischen verheiratet waren. "Ich muss mich gleich bei allen Ungarn dafür entschuldigen, dass ich trotz meiner Jahre als Deutsch-Lektorin nie Ungarisch gelernt habe, weil es so schwierig ist!" – So eine DAF-Schulverwaltungsbeamte auf Auslands-Inspektionsreise. Was freilich auch Kolonisatoren nie getan haben.
Noch verhängnisvoller ist aber, dass die meisten der DAF-Unterrichtenden nie eine entsprechende Spezialausbildung genossen und weiterhin als Muttersprachler nach den Prinzipien unterrichteten: "Des brauch ma ned!" und "Wir san mir!"
Und jetzt machen wir einen Grammatik-Test
Frage 1: Warum heißt es richtig: "Ich gehe in die Schule weg." Aber nicht "Kolumbus deckt Amerika ent." Sowohl "weg-gehen" als auch "ent-decken" sind sogenannte Vorsilben.
Was? Sie können diese Frage nicht beantworten, obwohl Sie Muttersprachler-Deutsch-Lehrer oder DAF-Beauftragter sind? Ist aber ganz einfach – vorausgesetzt man kennt sich in einschlägigen Lehrwerken aus: Die Vorsilbe "weg" wird betont artikuliert und ist somit trennbar; die Vorsilbe "ent" ist unbetont und deshalb untrennbar. Weiters bildet man dann das Perfekt unterschiedlich "ist weg-ge-gangen" versus "hat ent-deckt".
Wäre der Wiener Bürgermeister Häupl Fremdsprachenlehrer geworden, hätte er sicher in etwa so geantwortet: "Was brauch´ma den Schaas! / "Homma ned!" / "De is ma wuascht!"
Post-Refjutschie-Lage
Ich erinnere mich noch, als am Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 die Grüne Terezija Stoisits als "Sonderbeauftragte für sprachlich-gesellschaftliche Integration in Schulen" inauguriert wurde. (War aus damaliger Sicht bestens für diesen Job geeignet: Grüne Gutmenschin, aus kroatisch-burgenländischer Minderheit stammende ehemals diskriminierte Frau; Wurde vor langer Zeit wegen technischer Mikrophon-Probleme von einem Parlamentarier sexuell übelst gemobbt: "In den Mund st….n und lu…..n!" - Pfui Gaggi!)
"Ich bin so stolz auf unser Österreich und unser Schulsystem…. Es ist einfach ganz, ganz wichtig, dass man die vielen traumatisierten Kriegs-Flüchtlings-Kinder, die so viel Schreckliches erlebt homm, ganz schnell in Klassen setzt, damit sie durch ihre Teilnahme am Schulalltag ihre schrecklichen Kriegserlebnisse vergessen. Deutsch lernen sie dann nebenbei!" (Stoisitz in Ö1)
Puhhh! Das haben schon die alt-amerikanischen Indio-Kulturen mit den spanischen Konquistadoren versucht: Einfach nett sein. Die Sprache der Inkas lernte der Bösewicht Pizzaro natürlich nie: Hatte er doch seine indianische Geliebten Elvira nicht nur als Dolmetscherin zur Hand….
Was hat Stoisitz nicht bedacht? Dass die Schulpflicht in Österreich mit 16 Jahren endet; dass der Großteil der männlichen Refjutschies diesem Alter schon längst entwachsen ist; dass die meisten weiblichen Flüchtlinge nicht einmal in ihren Herkunftsländern jemals in einer Schulklasse gesessen haben, ja nicht einmal verschriftlicht worden sind; dass die allermeisten männlichen Flüchtlingskinder nicht einmal das deutsche Alphabet sprechen, usw. usf…
Macht aber nix! Durch die alt-linke Bullerbüh-Sprach-Lehrmethode holen sie diese Entwicklung innerhalb von zwei Jahren als sogenannte außerordentliche Schüler (freilich ohne jeglich faschistoiden Notendruck) zwar großteils locker, aber nicht mit positivem Ergebnis nach …
Zum Fremdschämen: Fremd-Sprachen-Wissenschaft
Eigentlich müsste Stoisitz (übrigens wieder beamtisiert im Unterrichtsministerium) aber gar nicht auf die Flüchtlingskrise gewartet haben: Denn die deutsch-dialektiale Alpenrepublik teilt sich knapp 65 Prozent ihrer Landesgrenzen mit fremdsprachigen Ländern aus der ehemaligen Habsburgermonarchie (Italien, Slowenien, Ungarn, Slowakei, Tschechien). Vom österreichischen Zentrum aus gerechnet ist keines davon mehr als 180 Kilometer entfernt. (Allerdings gilt es zudem zu bedenken: Was Österreich und Deutschland voneinander trennt ist: Die gemeinsame Sprache. Ganz zu schweigen von Sprachgrenzen aus einer anderen Klingonen-Galaxie wie Schweiz, Liechtenstein oder Vorarlberg: "I bi gäschtern z´Breagaz hoamganga gsi.")
Und jetzt noch etwas Sprachwissenschaft in Form eines offenen Mails an die zuständigen österreichischen (Schul-)Verwaltungs-Behörden:
"Immer wieder geht man von der (wissenschaftlich längst widerlegten) Annahme aus, eine Fremdsprache könne man nur auf Basis eines sogenannten ,Sprachbades' (Immersion) ohne fundierte DAF-Sprachvermittlung (Grammatik, Kommunikation), sozusagen ,spielerisch-kommunikativ' erlernen: Darunter versteht man zwar den sogenannten ,simultanen Früh-Bilingualismus', welcher aber auf das frühe Schulalter von Kindern beschränkt bleibt (vor allem wenn etwa zwei Elternteile verschiedene Sprachen sprechen - https://de.wikipedia.org/wiki/Bilingualismus). Dieser bilinguale Spracherwerb funktioniert aber auch nur dann, wenn das Kind mit der zu erlernenden Fremdsprache in einer überwiegend einheitlichen Sprachgruppe konfrontiert ist. Dies ist aber gerade in den Schulen Österreichs schon länger nicht mehr der Fall, da ein Großteil der Schüler fremdsprachliche Kinder sind, und deshalb naturgemäß andere Sprachen sprechen." (Forster)
Back to the roots
Österreich als Nachfolger des Habsburgerreiches lebt frei und munter immer noch dessen Mentalität fort, so als wäre Geschichte etwas Statisches: Während sich die Ex-Kronländer gezwungenermaßen an die neuen politisch-historisch-sprachlichen Umstände seit 1918/45/89 schmerzhaft fit machen mussten, lebt in Good-Old-Austria noch immer der Geist des alten Kaisers Franz Joseph: "Es war sehr schön! Es hat mich sehr gefreut!"
Nach 1918 hatte es keinen mentalitäts-mäßigen Neuanfang gegeben. Nach der gescheiterten Suche eines Ersatzkaisers 1938 wurde man fündig in der Person eines Jahrhundert-Ausnahme-Ersatz-Sonnenkönigs: Dessen wichtigstes Vermächtnis war wohl der Satz: "Lernen´s Geschichte!" – Bruno Kreisky. Gelernt haben wir auch im Fremdsprachen-Erwerb (bis auf die jetzige ÖVP-FPÖ-Regierung) nichts…
Dr. Elmar Forster ist Lehrer und lebt(e) seit 1992 als Auslandsösterreicher in Ungarn, Prag, Bratislava, Polen, Siebenbürgen (Rumänien). Hier auch noch andere kultur-vergleichende Essays des Autors: