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Die Redl Papers (VII): Ausgerechnet am 11. September

Am 7. Juli 2017 hat Verteidigungsminister Doskozil den Ausstieg aus dem Eurofighter bekanntgegeben, am 13. Juli 2017 beendete der zweite parlamentarische Untersuchungsausschuss zu diesem Thema seine Arbeit. Grund genug, gerade jetzt vorlegende Texte zu veröffentlichen. Sie entstanden während des ersten Eurofighter-Untersuchungs-Ausschusses 2006/07 und stammen von einem Österreicher mit Heimat- und Verantwortungs-Bewusstsein und besten Verbindungen zum militärisch-ministeriellen Komplex. Es ist natürlich immer davon auszugehen, dass sich hier der Erkenntnis-Horizont von vor zehn Jahren widerspiegelt – was aber eher ein Vorteil ist, denn dadurch ist historische Authentizität gegeben. Alles ist original, es wurde nichts aus heutiger Sicht hinzugefügt. In dieser Folge wird mit den Legenden um die Neutralität aufgeräumt.

Die Papers sind dem "Tagebuch" von dritter Seite zugespielt worden und werden an dieser Stelle in loser Folge veröffentlicht.

Nine eleven. Dienstag, 11.September 2001, Finanzministerium in der Wiener Himmelpfortgasse. Während draußen im Sekretariat die Fernseher mit den Bildern der brennenden Twin Towers laufen, fällt im Besprechungszimmer auf Beamtenebene die endgültige Entscheidung über den Ankauf von Abfangjägern. Es war natürlich ein Zufall, aber ein denkwürdiger, dass dies gerade an jenem 11. September 2001 geschah, dem Tag, der die Welt bis heute verändern sollte, gerade auch militärpolitisch.

Donnerstag, 12. Juli 2007, Militärflughafen Zeltweg. Der erste österreichische Eurofighter, begleitet von zwei F-5-Jets und einer Saab-105-Maschine, landet nach einer Ehrenrunde auf der Piste. Die Feuerwehr spritzt ein Wassertor zur Taufe. Zur selben Zeit sitzt der Verteidigungsminister im Begleittross des Herrn Bundespräsidenten in einem Flugzeug nach Skopje. Unabkömmlich. Klar, wir haben da unten ja nicht einmal einen Militärattache, da muss der Minister schon selber ran, bei so einem wichtigen Land. Später gab er zu, er hätte mit seiner Abwesenheit ein "politisches Zeichen" setzen wollen. Aha. Was ist Herr Darabos nun eigentlich? Verteidigungsminister oder Politkommissar?

Dazwischen liegen sechs Jahre, zwei Wahlen und ein Kanzlerwechsel. Dazwischen liegen drei Verteidigungsminister, ein Untersuchungsausschuss und eine beispiellose Hetzjagd in den Medien. Dazwischen liegt harte Arbeit auf der einen und die paranoide Suche nach Sündenböcken auf der anderen Seite.  

Dazwischen liegt ein kontemporäres Musterbeispiel für die großartige Beschreibung der "Fama", des Gerüchts, die Vergil vor zweitausend Jahren in seiner Aeneis gegeben hat. Man sieht, seit damals hat sich nichts, aber schon gar nichts geändert. Im römischen Versepos ging es um das Gerücht, dass Äneas, der mythische Gründer Roms, sich anscheinend zu sehr um seine Gefährtin Dido gekümmert hatte und zu wenig um die Politik. Im österreichischen Beziehungsdrama zwischen Militär und Politik war es das Gerücht von Schiebungen beim Ankauf von Kampfflugzeugen.

Fama, malum qua non aliud velocius ullum:
Mobilitate viget virisque adquirit eundo,
parva metu primo, mox sese attollit in auras
ingrediturque solo et caput inter nubila condit.
Publius Vergilius Maro, "Aeneis", 19 v.Chr.

Fama, ein Übel, geschwinder im Lauf als irgendein andres,
ist durch Beweglichkeit stark, erwirbt sich Kräfte im Gehen,
klein zunächst aus Furcht, dann wächst sie schnell in die Lüfte,
schreitet am Boden einher und birgt ihr Haupt zwischen Wolken.

Wie jedes Drama hat auch dieses ein Vorspiel. Es fand hinter geschlossenem Vorhang statt, weil sich die Öffentlichkeit einfach nicht dafür interessierte. Im Februar 1996 lief die Systemgarantie für die Draken aus. Zu diesem Zeitpunkt sollten sie eigentlich schon theoretisch außer Dienst gestellt und von Nachfolge-Flugzeugen abgelöst worden sein. Nun, man konnte die alten Schweden schon noch einige Jahre über diesen Zeitpunkt hinaus fliegen. So um das Jahr 2000 traten aber dann echte Probleme bei der Verkabelung auf – der servicetechnisch schwierigste Teil sowohl bei Kampf- wie bei Zivilflugzeugen. Denn ein Fahrwerk oder ein Antriebsaggregat kann man einfach austauschen, die kilometerlangen Kabel muss man im wahrsten Sinne des Wortes aufrollen. Was ein Heidengeld kostet und nicht immer zu den gewünschten Resultaten führt. Bis 2005 wurden aber immer noch die letzten Maschinen sozusagen auf den Felgen weitergeflogen. Die gebrauchten Draken waren für einen Betrieb von 10 Jahren und 1.000 Flugstunden gekauft worden, schließlich leisteten sie fast das Doppelte.

Es geschah – nichts. Damals in der Endphase der Regierung Vranitzky hätte man die Beschaffung natürlich schon entschlossen betreiben müssen, aber man zog es vor, auf Gott und die großartigen Bundesheer-Servicetechniker zu vertrauen, die das Gerät bis in alle Ewigkeit in Schuss halten würden. Oder zumindest, bis man selber nicht mehr in der Politik war und sich im nächsten Wahlkampf gegen das Totschlagargument "Rüstung statt Pensionen" zu rechtfertigen hatte. Vranitzky hatte ohnehin die höchsten Budgetdefizits in der Geschichte des Landes zu verantworten, da brauchte er nicht noch zusätzliche Abfangjäger-Milliarden für die Fiesen. Denn dass das eine sauteure Angelegenheit sein würde, wusste man natürlich längst: mit 1,4 Milliarden Schilling wie für die Draken (das sind heute 100 Millionen Euro, man höre und staune, wie billig damals alles noch war!), würde man diesmal nicht mehr auskommen. Ein einziges Flugzeug heute würde größenordnungsmäßig so viel kosten wie die ganze Luftflotte damals.

Der amtierende Verteidigungsminister Fasslabend von der Volkspartei zog grundsätzlich diplomatisches Schweigen zur heißen Erdäpfel Draken-Ersatz vor, denn wenn der Koalitionspartner net wü, nutzt des gor nix. Und Vranitzkys Nachfolger ab 1997, Viktor Klima, hat nicht nur die österreichische Sozialdemokratie nachhaltig beschädigt, sondern auch die österreichische Luftverteidigung. Es geschah wieder nichts.

Man kann nun zur Regierung Schüssel und dem ÖVP-FPÖ-Koalitionspakt ideologisch oder praktisch stehen, wie man will, eines muss man sagen: Erst jetzt war der politische Wille da, die Dinge in die Hand zu nehmen und zu realisieren.

Schwarz auf Weiß wird im Regierungsprogramm, Kapitel Bundesheer, Punkt 5, vereinbart:

"Kostengünstige Nachbeschaffung der Luftraumüberwachungsflugzeuge. Die Bundesminister für Landesverteidigung und Finanzen werden gemeinsam die Voraussetzungen entwickeln, dass der Ankauf rechtzeitig in dieser Legislaturperiode erfolgen kann, im Rahmen der Möglichkeiten des Gesamtbudgets, aber ohne zusätzliche Belastung für das Budget des BMLV". Und der Zeitplan fordert:

"Der Finanzplan betreffend LRÜ-Flugzeuge ist ehest möglich zu erarbeiten."

Na dann.

Pflichtenheft und Leistungsbeschreibung

Auf ministerieller Ebene war in der Zwischenzeit einiges weitergegangen. Die militärischen und zivilen Fliegerfachleute dort hatten sich schon seit Ende der 80er-Jahre laufend mit der Situation auf dem Jet-Markt beschäftigt, ohne aber aktiv tätig zu werden oder, besser gesagt werden zu können. Es war, wie wenn jemand, der kein Geld hat oder erst zu Weihnachten vielleicht eins geschenkt bekommt, in einen Shop geht und sich da "nur einmal umschaut". Wobei die Testpiloten die Flieger, die interessant waren, sogar in die Hand nehmen und von allen Seiten betrachten, sprich ausprobieren durften.

Bei diesen unverbindlichen Besichtigungen, wohlgemerkt: nicht Bewertungen, machte die Mirage 2000-5 den besten Eindruck. Ja sogar einen ganz hervorragenden – welch formidables Fluggerät! Aber es kam bald alles ganz anders, und das war nicht das Schlechteste. Denn der wahre Flieger der Zukunft, auch der mittleren und fernen, war noch auf dem Reißbrett – man konnte ihn gar nicht ausprobieren.

Auf der Ebene der Schreibtische lagen schon 1997 ein neues Generalkonzept für den Einsatz der Luftstreitkräfte sowie das operativ-taktische Konzept für die Nachfolge des Draken vor. Und während die Finanzierung noch immer in den Sternen stand, wurde im Verteidigungsministerium jedenfalls eifrig weitergearbeitet. Im Sommer 2000 wurde das von der Luftabteilung im Generalstab vorgelegte "Militärische Pflichtenheft für die Nachfolge Draken" genehmigt. Darin waren sämtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz sowie aus den Umfeldbedingungen abgeleitete Muss- und Soll-Forderungen an ein derartiges System festgelegt.

Nachdem dieses Gerät die Bedürfnisse für die nächsten 30 bis 50 Jahr abdecken sollte, waren auch die Rahmenbedingungen weit gefasst und zukunftsorientiert angelegt. Erwartbare, denkbare Szenarien sollten nicht dazu führen, dass das Gerät obsolet sein würde, sondern im Gegenteil aufgrund seines inhärenten Wachstumspotentials mit geringem Aufwand adaptierbar. Dieses militärische Pflichtenheft wurde in der Folge von der Beschaffungskommission analysiert und in die "Leistungsbeschreibung" umgewandelt. Jetzt erst konnte man zur Beschaffungsplanung übergehen, einer Aktivität, für die immer noch kein Kontoauszug über konkrete Finanzierungsmittel nötig war. Nämlich zur Markterkundung durch einen so genannten "Request for Information", für eben den die Leistungsbeschreibung entwickelt worden war.

Warum hat man nicht gleich das Pflichtenheft an die potentiellen Anbieter geschickt? Weil darin ausführlich auf die Kausalität eingegangen wird: Warum brauchen wir dies und jenes. Es ist ein internes Papier, das Außenstehende nichts angeht. Die Leistungsbeschreibung ist einfach eine Punktation, in der schwarz auf weiß aufgelistet ist: Das und das wollen wir, entweder obligatorisch oder optional, und das entweder als Muss-Bedingung oder als Soll-Bedingung. Ein dreidimensionales Gitter, dessen einzelne Schnittpunkte mit den Daten nur mehr zu befüllen sind.

Wie ausgeklügelt und bis ins kleinste Detail durchdacht die gestellten Anforderungen waren, zeigt ein kleines, scheinbar unbedeutendes Beispiel: Es wurde vorgegeben, dass die Cockpit-Beschriftungen in Englisch sein sollten. Nicht, weil unsere Piloten etwa zu faul gewesen wären, schwedische oder russische Terminologien zu lernen, sondern weil wie der zivile auch der gesamte Militärflugbetrieb heute international auf Englisch läuft. Und durch Verwendung der einheitlichen Terminologie auch keine technischen Missverständnisse zwischen Hersteller und Abnehmer aufkommen können.

Dieser komplexe Prozess von der Markterkundung über das Pflichtenheft bis zur Leistungsbeschreibung mag einem Außenstehenden vielleicht etwas übertrieben und bürokratisch erscheinen. Aber er entspricht erstens der Größe der Anschaffung; und zweitens sollte ein Bruch mit früheren Gewohnheiten gemacht werden, im Sinne eines generellen Paradigmenwechsels für das Vorgehen bei einer Beschaffung. Denn so wie die bisherigen würde diese nicht mehr ablaufen. Das war keineswegs eine Misstrauensbekundung gegen die früheren Einkäufe und Einkäufer bei SAAB, sondern einfach der Ausfluss neuer Zeiten und des von diesen geforderten "politisch korrekten" Denkens. So sind einfach die heutigen, international gültigen Standards.

Und weil wir alles anders, besser, objektiver machen wollten, haben wir von Anfang an die Forderung erhoben, dass man für alle Erprobungen und überhaupt für jeden größeren Aufwand, der einem Anbieter aus der Geschäftsanbahnung erwächst, bezahlen sollte. Das mag vielleicht auf den ersten Blick etwas seltsam erscheinen, denn für eine Probefahrt beim Autohändler zahlt man ja auch nichts. Aber hier geht es um ganz andere Dimensionen. Und bei der Komplexität und Dauer des Vorgangs kann man leicht Gefahr laufen, seine Unabhängigkeit zu verlieren und vielleicht sogar in Dinge hineinzurutschen, die in die Nähe des Unerlaubten gehen. So eine komplette Angebotserstellung bis zur Präsentationsreife kostet immerhin zwischen fünf und zehn Millionen – Euro, nicht Schilling! Besser man macht von Anfang an reinen Tisch, wie die seriösen Schweizer, die jeden Handgriff bezahlen. Dieser Forderung wurde nicht gefolgt, man nahm kein Geld in die Hand (im Vergleich zu dem Projekt, um das es ging, ohnehin nur peanuts).

Testpiloten

Eine "vertiefende Untersuchung" am Himmel, also eine Art von Testflügen mit den einzelnen Kandidaten, war von einem "Ministeriums-Piloten" und einem Truppenpiloten schon in den Jahren 1996 und 1997 unternommen worden: Oberst Wolf und Oberleutnant Six. Die konkreten Erprobungs-Programme dafür waren Ende 1995 von den beiden Offizieren zusammen mit den Testpiloten der "Wehrtechnischen Dienststelle" der deutschen Bundeswehr in Manching anhand des darauf spezialisierten Strahltrainers Alpha Jet entwickelt worden.

An diesem Ort deshalb, weil die Deutschen damals, als das alles organisiert wurde, als "neutral" gelten konnten – denn es gab ja noch keinen Eurofighter. Und weil sie über an den drei bedeutenden Testpiloten-Schulen in Frankreich, Großbritannien und den USA ausgebildete Leute verfügten, die unsere Offiziere, die ja den Strom der modernen Entwicklung nur von dessen Ufer aus mitbekommen hatten, in die Materie einweisen konnten. Diese Schulen werden übrigens nicht nur vom Militär betrieben, sondern sind zum Teil private "Institute", die militärische und zivile Testpiloten für alles Mögliche ausbilden, auch für Hubschrauber, bis hinunter zum Segelflugzeug. Die Piloten selbst sind auch nur zum Teil Soldaten, aber alle haben eine fundierte technische Ausbildung, unseren Diplom-Ingenieuren vergleichbar. Sie erproben in praxi, was die Kollegen am Boden entwickelt haben, und geben dann diesen ihre Erfahrungen zur Optimierung weiter.

Konkret wurden da die einzelnen Parameter festgelegt, an denen die Bewerber gemessen werden sollten: Wie hoch muss die Schubleistung sein? Wie groß Steigleistung und Sinkleistung? Wie schaut es mit dem Kurvenverhalten aus, und wie "cool" bleibt die Maschine in Grenzbereichen? Und das Radar: Wie viele Einzelziele soll es identifizieren können, in welcher Entfernung und vor was für Hintergründen? Insgesamt waren es einige hundert solcher Anforderungen, die unter anderem durch die Arbeit mit dem Alpha Jet und in der Folge im Rahmen der Evaluierungsflüge statuiert werden konnten.

Die bisherigen Erfahrungen, die man mit den Draken und ihren Vorgängern gesammelt hatte, reichten nämlich bei weitem nicht aus, um so einen Katalog zu erstellen. Denn die Technik und die damit verbundene Luftsicherungs-Philosophie (oder umgekehrt, es ist wie mit der Henne und dem Ei) hatte sich grundlegend weiterentwickelt. Hatte man früher einfache Abfangjäger im wahrsten Sinne des Wortes, die man – plakativ ausgedrückt – schnell einmal für zwanzig, dreißig Minuten hinaufschickte, um einen Störenfried herunterzuholen, waren jetzt Luftüberlegenheitsjäger angesagt, die den Raum decken und beherrschen sollten. Und dafür länger in der Luft bleiben mussten. Kurz gesagt: es hatte eine Entwicklung von der Reaktion zur Aktion Platz gegriffen.

In den Jahren 1996 und 1997 wurde unter diesen Kriterien dann alles, was es auf dem Markt gab, probegeflogen, in Frankreich, Schweden, Russland, Israel und den USA, dort sogar in der Luxusvariante mit dem Angriff auf Erdziele im scharfen Schuss. Die Leistungsbeurteilung in der Bekämpfung von Luftzielen erfolgte jedoch in allen Fällen mittels elektronischer Simulation.

Jetzt müsste man das alles noch einmal in Österreich vor Ort unter den heimatlichen topogaphischen und klimatischen Bedingungen überprüfen können, beispielsweise wie die Zielerfassung in Tiroler Gebirgstälern funktioniert. Und tatsächlich schickten die Franzosen und die Schweden noch 1997 je zwei Maschinen nach Zeltweg. Es war eine große Erfahrung, die die österreichische Luftwaffe da machen konnte, fast alle vorhandenen Maschinen waren bei einer Vielzahl von Übungen mit im Einsatz, und die Erprobung konnte nahezu unter Laborbedingungen stattfinden.

Der erste Akt: "Request for Information"

Am Freitag, dem 22. Dezember 2000, dem Tag vor den Weihnachtsferien, ging endlich, zehn Monate nach Bildung der schwarz-blauen Koalition, der "Request for Information" – die Aufforderung, ein zunächst unverbindliches Richtangebot sowie mögliche Bezahlungsmodelle dafür ans Ministerium zu schicken – an vier Hersteller:

  • an SAAB nach Schweden für seinen JAS-39 Gripen
  • an Dassault nach Frankreich für die Mirage 2000-5
  • an die USA für den F-16 Fighting Falcon von Lockheed
  • und ebenfalls an die USA für die F/A-18E/F Super Hornet von Boeing

Die "European Aeronautic Defense and Space Company" EADS mit ihrem Eurofighter "Typhoon", der es dann später werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht dabei. Den gab es bis dato auch nur als Prototyp, den EADS (und zwar der deutsche Zweig, zu dessen "Marktpflegebereich" Österreich gehört) freilich in der Hoffnung auf eine eventuelle Zusammenarbeit schon früher einmal im Ministerium präsentiert hatte.

Jedenfalls kam der entscheidende Hinweis an EADS, "dass sich in Wien was tut", weder vom Militär noch von der Politik – auch nicht von Minister Grasser – und schon gar nicht von einem Lobbyisten, sondern vom Chef eines österreichischen Fachmediums für Militärfliegerei. Der deponierte bei der Pressestelle in München nebst "fröhliche Weihnachten" auch noch "Ach ja, und noch was. Bei uns geht’s los in Sachen Abfangjäger". Das folgende Telefongespräch dauerte eine Stunde, während der erstmals über das Für und Wider eines Eurofighter-Anbots in Österreich diskutiert wurde. Schließlich erbat EADS von sich aus die Request-Unterlagen des Verteidigungsministeriums und bekam sie auch zugestellt.

Präzisierung am Rande: das Angebot von SAAB kam gar nicht direkt aus Schweden, sondern über die niederländische Firma Gripen International, denn in Zeiten der Globalisierung ist SAAB mit British Aerospace verkuppelt, und der Sitz der Kampfflieger-Division befindet sich in dem Benelux-Staat.

Anbiederungen

Einige potentielle Kandidaten gingen freilich gleich von Anfang an leer aus. Dazu gehörten die russischen und die israelischen Angebote. Beide waren von uns ebenfalls Probe geflogen worden und schon nach der ersten Runde abgestürzt.

Die Russen mit ihrer MIG-29, einer Maschine, die im wahrsten Sinne des Wortes "russisch" konstruiert und gebaut war. Grobklotzig, ohne die geringste technische Raffinesse, in der damals vorgestellten Version ein Wegwerfjäger. Zwar für den eigentlichen Luftkampf Maschine gegen Maschine, den dog fight, wenn der eine versucht, sich hinter den anderen zu setzen und ihn abzuschießen, ganz gut geeignet, aber in allen anderen Funktionen hoffnungslos unterlegen.

Das Paket sah ja ganz gut aus: 30 Maschinen inklusive kompletter Ausrüstung und ground facilities um 1,3 Milliarden Euro, das wären 700 Millionen weniger gewesen, als die Eurofighter mit geringerer Stückzahl dann tatsächlich gekostet haben. Aber selbst wenn man die Russen noch auf die Hälfte dieses Preises hätte herunterdrücken können: jeder Cent ist zuviel für einen Zug, der abgefahren ist, für Vergangenheitstechnik statt Zukunftstechnologie. Das hat man ihnen natürlich nicht gesagt, man konnte ja Präsident Putin, den persönlichen Freund einiger heimischer Spitzenpolitiker, der noch im Skiurlaub am Arlberg bei Schüssel interveniert hatte, nicht so brutal vor den Kopf stoßen. Die offizielle Absagebegründung waren berechtigte Zweifel an der Leistungs- und Existenzfähigkeit der Zulieferbetriebe, was natürlich über den vorgesehenen langen Nutzungszeitraum fatale Folgen hätte haben können – von der Nichterhältlichkeit von Ersatzteilen bis zur Nichtversorgbarkeit mit Munition.

Die Israelis brachte ein Konsortium rund um den Geschäftsmann Karl Kahane, den ehemaligen wirtschaftspolitischen Berater von Bundeskanzler Kreisky, ins Spiel. Sie legten ebenfalls ein extrem günstiges Angebot vor, um ihre gebrauchten Kfir, eine Sonderausführung der alten französischen Mirage III, endlich loszuwerden (sie selber flogen ja schon die modernsten F-15 und F-16). Auch hier siegte die Vernunft.

Nicht infrage kam auch der F-5E "Tiger" von Northrop. Das Flugzeug, von Beginn an nicht mehr als ein in Anschaffung und Wartung kostengünstiger Leichtjäger, stellt, seit der in den Lüften überlegene Falke F-16 für den Export freigegeben ist, ein Auslaufmodell dar: die Flugzeuge kommen in den USA selbst nur mehr an der "Top Gun"- Luftkriegsschule als Trainingsziele zum Einsatz. Die Schweiz hat lange Zeit ihre Luftraumsicherung auf dem Tiger aufgebaut und diesen teilweise sogar selber zusammengebaut. Sie fliegt heute noch über 50 Stück, die ab 2010 verschrottet werden müssen. Zwölf davon hat sie Österreich zur Überbrückung der abfangjägerlosen Jahre zwischen dem Abtreten des Draken und dem Eintreffen des Eurofighter geliehen.

Abweisungen

Nun ist das Geschäft mit Kampfflugzeugen ja kein Zuckerlgeschäft, und der Markt ist relativ begrenzt und überschaubar. Hauptkunden sind die reichen, ölfördernden Staaten im Nahen und Mittleren Osten, für die Preise, die ein normaler Staat nur schwer verdauen kann, eben doch nicht viel mehr sind als für uns jene für Zuckerln, oder sagen wir vielleicht Trüffel. Diese Staaten, schon überverhältnismäßig gut mit Flugzeugen bestückt, kann man ja auch nicht endlos weiter vollstopfen, obwohl in der menschenleeren Wüste Platz genug wäre.

Im Rest der Welt schaut's flau aus, zumal China selbst Kampfflugzeuge wie Karnickel produziert (allerdings in jener Qualität, wie sie auch bei den chinesischen PKWs anzutreffen ist), und die Felle des europäischen Marktes zur Zeit ziemlich verteilt sind.

Trotzdem schmetterte Dassault mit großer französischer Geste die Anfrage nach seiner Mirage ab, die wir beim ersten Angreifen als so toll empfunden hatten.

Der offizielle Grund war, dass man nichts anbieten konnte für die geforderte Zwischenlösung zwischen den Draken und den neuen Flugzeugen. Der wirkliche Grund war, dass man sich keine Chancen ausrechnete: Denn aufgrund der Tatsache, dass die EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung von Frankreich ausgegangen waren, erwartete Dassault die Rache des Geächteten und trat erst gar nicht an. Von objektiver Bewertung hatten die wohl noch nie gehört.

Genau das war es aber, was von allen mit der Abfangjäger-Beschaffung im Ministerium Befassten, vom Minister über die Offiziere bis zu den zivilen Technikern und Juristen, zum obersten Prinzip erhoben worden war. Und wie streng dies tatsächlich gehandhabt wurde, zeigt der "Fall Bernecker".

Der Fall Bernecker

Brigadier Josef Bernecker, Leiter der Luftabteilung im Ministerium, Mitglied des BSA Bund Sozialistischer Akademiker, einer der wenigen hohen Offiziere sozialdemokratischer Prägung, hatte der deutschen "Flug Revue" ein Interview gegeben, das dieses Luftfahrt-Magazin umgehend auf seine englischsprachige Internetseite stellte. Darin legte er seine persönlichen Präferenzen für einzelne Modelle dar und gab "aus industriepolitischen Gründen" einer europäischen Lösung gegenüber einer amerikanischen den Vorzug gab, aber dabei auch nicht dem Eurofighter.

Was er also im Grunde favorisierte, musste auf die schwedische Lösung hinauslaufen. Ein Skandal: die USA protestierten sofort heftigst, das Ministerium rotierte. Der Militär als Politiker. Na, mehr brauchte es jedenfalls nicht. So schnell hat sich noch keiner in der Pension wiedergesehen, und das ohne die schon unterschriebene Schlussbeförderung zum Divisionär.

Worauf der Militär als Pensionist zu einem wilden Rundumschlag ansetzte und noch Jahre später ausgerechnet den Grünen, den natürlichen Feinden jeglicher Luftraum- und Verteidigung überhaupt, in ihrer Internetzeitung ein Interview gab, in dem er die Entscheidung für die Eurofighter als eine "rechtswidrige Manipulation" bezeichnete. Ein gefundenes Fressen für Großinquisitor Pilz: "Nach der Nationalratswahl muss es dazu einen Untersuchungsausschuss geben, und die Verantwortlichen müssen vor den Ausschuss und vor Gericht gestellt werden", forderte daraufhin der Sicherheitssprecher wütend. "Die Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden" – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, das ist eine Vorverurteilung wie in den schlimmsten Systemen – die ja die Grünen angeblich so inbrünstig ablehnen.

Das Auftreten Berneckers gegen den Eurofighter muss keine sentimentalen, schwedennostalgischen Gründe gehabt haben. Der Offizier, der bei den Franzosen eine Testpilotenausbildung absolviert hatte, war Mitglied der AETP, der Association of Experimental Test Pilots, einer weltweiten Vereinigung von militärischen und zivilen Testpiloten, wo natürlich viele Erfahrungen über die neuesten Flieger ausgetauscht werden. Und viel Insiderwissen und damit auch Wissen über den Eurofighter weitergegeben wurde. Wahrscheinlich gewann Bernecker in diesem Zusammenhang kein ideales Bild von diesem Flugzeug – das in seinen Augen noch in der Entwicklung steckte und erst in wenigen Exemplaren vorhanden war. Nicht sehen wollend, dass das nur überall übliche Kinderkrankheiten sind, hat er nach bestem Wissen und Gewissen auf seinem hohen Kenntnis- und Informationsstand gehandelt. Etwas anderes würden wir von ihm auch nie erwartet haben.

Zu Bernecker selbst ist noch zu sagen, dass die Umstände seines Sturzes im Grunde bis heute nicht geklärt sind. Es bestand nämlich gar kein explizites Interviewverbot. Da musste noch etwas anderes mit im Spiel oder vielmehr der eigentliche Grund gewesen sein für diese Entlassung in die Pension, ohne Abschlussfeier, praktisch über Nacht. Es war zu Weihnachten 2001: man ging in die Weihnachtsferien, und Bernecker kehrte im Jänner nicht zurück.

Sogar seinen Schreibtisch hatte er nicht ausräumen können. Die Theorie, dass es die Schwedenfreundlichkeit des smarten links stehenden Offiziers war, die ihm geschadet haben könnte, kann man nicht nachvollziehen, denn fast das ganze Ministerium bis hinauf zum Minister war ja zu diesem Zeitpunkt noch schwedenfreundlich (und viele sind es aufgrund der langen, guten Zusammenarbeit auch heute noch). Vielleicht hatte er einfach nur die falsche Parteifarbe, aber auch das ist nicht wirklich schlüssig, denn in solchen Fällen wird dann erst recht mit Pomp und Trara verabschiedet.

Es geht das Gerücht, dass da ein Dossier mit der Aufschrift "Bernecker" im Tresor des Verteidigungsministeriums lag (oder immer noch liegt). Aber man weiß ja, die Fama ist "ein Übel, geschwinder im Lauf als irgendein andres", und deshalb werden wir diesem Gerücht ebenso wie allen anderen auch keinen Glauben schenken. Was einfach ein bisschen nachdenklich macht, ist die Art und Weise von Berneckers Verschwinden.

Fortsetzung folgt.

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