Die Österreicher haben mit dem deutlichen Vorsprung für Norbert Hofer im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl ein klares Votum gegen die Politik der rot-schwarzen Bundesregierung wie auch gegen die derzeitige Agenda der Europäischen Union gegeben. Ungefragte Massenzuwanderung teils völlig ungebildeter sowie gewalttätig sozialisierter Gruppen dürfen in einer freien Gesellschaft ebensowenig alternativlos bleiben wie Tendenzen zur Abschaffung der Nationalstaaten oder auch des Bargelds. Dennoch könnte vor einer dringend fälligen Politikwende ein weiterer Linksruck stehen.
Umfragen sagen für die Stichwahl des Bundespräsidenten ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Hofer und Van der Bellen voraus. Allemal dürfte Hofers Vorsprung auf Van der Bellen aus dem ersten Wahlgang schrumpfen. Besonders empörend, wenn auch nicht überraschend, ist, dass sich mehr und mehr „Bürgerliche“ für Van der Bellen aussprechen. Als ein Grund wird Hofers angeblicher Anti-EU-Kurs gehandelt.
Hofer fordert allerdings mitnichten einen Austritt Österreichs aus der EU, sondern lediglich die Kurskorrektur einer „Gemeinschaft“, die jede durch sie selbst mitbedingte Krise stereotyp durch noch mehr „Europa“ beantworten möchte. Mehr und mehr kann der Eindruck entstehen, dass die EU sich dem Motto „Weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt“ verschrieben hat. Am Ende steht der Verlust von Wahrheit, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit.
Ein tieferliegender Grund, Van der Bellen für das kleinere Übel zu halten, liegt in der familiären Überlieferung vieler Konservativ-Bürgerlicher. Einen Deutschnationalen zu wählen, gilt als „no-go“, obgleich Deutschland, denkt man etwa an die Tradition des deutschen Idealismus, ein Name für Vernunft und Freiheit sein kann. Viele katholische und betont österreichische Familien haben zudem konvertierte Juden unter ihren Vorfahren.
Dies ändert aber nichts am drohenden Resultat: Einem Triumph des „demokratischen“ und „anständigen“ Österreich über die „rechten Hetzer“ und mithin einem Triumph gerade jener Spaltung, gegen die sich Van der Bellen als Integrationsfigur zu präsentieren versucht. Einer massiven Stärkung jener Segmente, die im Nationalstaat nicht mehr einen partikulären Raum für wirkliche Partizipation sehen, sondern nur noch „Egoismus“ und „Nationalismus“. Die noch mehr Zuwanderung befürworten, ohne näher hinzusehen, wer hier tatsächlich kommt. Die alle Probleme der Zuwanderung mit Floskeln wie „Integration“ beantworten und die auch Zwangsgesamtschule und Vermögenssteuern eher befördern als verhindern werden.
Es sollte zu denken geben, dass gerade die einst so randständigen Grünen heute die glühendsten „Europäer“ sind. Nicht die Österreicher sind nach „rechts“ gegangen, sondern die EU hat sich schleichend von einem Freiheitsgeschehen zu einer totalitären Veranstaltung gewandelt. Die Tiroler Bergwelt der Wahlplakate Van der Bellens ist Fassade – „Trans“, „Queer“ & Co. katapultieren sich mit Van der Bellen an die Spitze des Staates und werden diesen Triumph auch auskosten. Die geistige Knechtschaft nimmt noch weiter zu.
Der Ausgang der Stichwahl ist aber nur ein Ingrediens eines möglichen Linksrucks quer zur sich intensivierenden Grundstimmung in der Bevölkerung. Wie etwa wird die ÖVP die Tatsache bewerten, dass, unter welchen begleitenden Umständen auch immer, ein sich wertkonservativ-bürgerlich gebender Kandidat katastrophal abgeschnitten hat und viele ÖVP-Wähler Griss oder sogar schon im ersten Wahlgang Van der Bellen gewählt haben? Vergegenwärtigt man sich den anhaltenden Selbstzerstörungstrieb der ÖVP, ahnt man schon eine mögliche Antwort: Die ÖVP müsse in die politische Mitte rücken…
Ob bei aller sich abzeichnenden Annäherung der SPÖ an die Freiheitlichen hinkünftig SPÖ und FPÖ einerseits und ÖVP-Neos-Grüne auf der anderen Seite als Blöcke einander gegenübertreten werden, ist mehr als fraglich. Die SPÖ wird eine Parteispaltung kaum riskieren. Verliert die derzeitige Regierungskoalition ihre Mehrheit, wird viel eher eine Art Einheitsregierung gegen die FPÖ gebildet. (Wofür vielleicht wieder „Europa“ herhalten muss.) Das Gewicht, das die ÖVP in einer Dreier- oder gar Viererkoalition linker Parteien noch haben wird, kann sich jeder ausmalen.
Was die FPÖ betrifft, besteht ein gewisses Risiko, dass ein Nicht-Bundespräsident Hofer, der gezeigt hat, was für die FPÖ ohne einen Spitzenkandidaten Strache noch alles möglich ist, zur Konkurrenz für Strache wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die FPÖ bei einigen der zurückliegenden Wahlen ihr Wählerpotential nicht ausschöpfen konnte, und man wird möglicherweise nicht nur über Faymann und Mitterlehner, sondern – zum Frohlocken vieler – auch über Strache zu diskutieren beginnen.
Der gewichtigste Grund, warum Österreich allen Wahlergebnissen zum Trotz „demokratisch“ und „anständig“ bleiben wird, ist indes noch gar nicht genannt: Die Einzementierung eines aggressiv-ideologischen „Antinationalsozialismus“ durch den Verfassungsgerichtshof. Dieser hatte Mitte der 1980er-Jahre, als Österreichs NS-Vergangenheit mehr und mehr zum öffentlichen Thema wurde, in einem Art heimlichen „Putsch“ den § 3 des Verbotsgesetzes, der lediglich das Verbot einer Betätigung für die historische NSDAP enthält, phantasievoll in das Gebot einer „kompromisslosen Ablehnung des Nationalsozialismus“ als „grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik“ uminterpretiert.
Genau hierin liegt die Spaltung: Schwarz in schwarz malen zu müssen, um nur ja „kompromisslos“ abzulehnen, und sich qua Antinationalsozialismus in die immerwährende Abhängigkeit des Nationalsozialismus zu begeben. Von der wiedererlangten staatlichen Souveränität des Jahres 1955 spricht in Zeiten des „großen Europa“ kaum noch jemand. Indessen wird der 8. Mai zusehends zum politreligiösen Hochamt. Kein Wunder, dass die SPÖ-ÖVP-Koalition der Besetzung des Verfassungsgerichtshofes gerade jetzt größtes Augenmerk schenkt.
Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.