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Der Zustand der Republik

Zumindest die Hälfte der laufenden Legislaturperiode ist abgelaufen, Bundespräsident und Bundeskanzler wechseln – es ist Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Zustand der Politik ist, sagen wir, durchwachsen.

Damit meine ich weniger, dass die Parlamentspräsidentin mit einem Bundeskanzler leben muss, dessen Politikfähigkeit sie vor gar nicht langer Zeit öffentlich in Frage gestellt hat. Ich meine vielmehr den freiwilligen Hang der Politiker zur Harmlosigkeit. Aus Furcht vor dem politischen Gegenwind werden kaum eigene Meinungen geäußert. Signifikant erscheinen die Facebook-Seiten, die von Belanglosigkeiten dominiert werden (Weinverkostung, Feuerwehrfest, Fußball). Von den Politikern wird Einordnung erwartet, nicht Herausragen. Aus meiner Ausbildung beim Bundesheer ist mir noch der Satz im Ohr: Wirkung geht vor Deckung. In der Politik scheint es für viele umgekehrt zu sein.

Ein Grundübel der Politik besteht darin, dass Relevanz durch Betriebsamkeit ersetzt wird. Politiker definieren sich durch die Anzahl der lokalen Feste, an denen sie am Wochenende teilnehmen, an der Quantität von Anträgen, Reden oder Beschlüssen, manche schlicht durch Schlafentzug. Inhalte treten mangels Messbarkeit in den Hintergrund.

Mit Hayek könnte man meinen, dass sich die Politik naturwissenschaftliche Maßstäbe anlegt und die Inhalte auf der Strecke bleiben. Politik muss auch in der Fähigkeit bestehen, sich den Begriff des Notwendigen nicht von einem falsch verstandenen Ehrgeiz diktieren zu lassen. Das Folgeübel besteht darin, dass der durchschnittliche Politiker den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Die Bundespräsidentenwahl hat zwei klare Wahlverlierer hervorgebracht: erstens die Meinungsumfragen, die im ersten Wahlgang alle Van der Bellen an der Spitze sahen (und im zweiten Durchgang w.o. gaben). Und zweitens Werner Faymann, der den Hut nehmen musste. Letztlich konkurrierten nur noch die grüne und die blaue Heimatpartei. Zugespitzt kann man auch folgende zwei Thesen formulieren:

Erstens: Kern verdankt Hofer, dass er Bundeskanzler wurde. Hofers Kandidatur und sein gutes Abschneiden beim ersten Wahlgang waren ausschlaggebend für den Wechsel an der Spitze der Bundesregierung. Ohne den ersten Wahlgang wäre Werner Faymann am 1. Mai nicht so ausgebuht worden und wäre die Nervosität in der SPÖ nicht so offen ausgebrochen. Es hätte keine Befürchtungen gegeben, dass ein allfälliger Bundespräsident Hofer nach dem 7. Juli 2016 einen anderen sozialdemokratischen Bundekanzler nicht angelobt – und der überstürzte Rücktritt Faymanns hätte sich erübrigt. Kern hat – was für seine Politikfähigkeit spricht – mehr als ein Jahr zugewartet und die Gunst der Stunde genützt.

Zweitens: Hofer verdankt Kern, dass er nicht Bundespräsident wurde. Kern hat durch seine Ernennung, den Teamaustausch sowie seine ersten Erklärungen der Proteststimmung im Land den Wind aus den Segeln genommen – gerade so viel, dass Hofer die notwendigen Stimmen zur Mehrheit fehlten. Im Übrigen haben die Leute weniger Van der Bellen gewählt als gegen Hofer gestimmt.

Van der Bellen wird als Bundespräsident keine Katastrophe sein. Er wird bald in der Realität des Amtes ankommen und den zeremoniellen Charakter ausfüllen. Irgendwie wünsche ich mir, dass er die Kehrtwendung in Sachen TTIP als Fehler erkennt und zu seiner ursprünglichen – positiven – Haltung zurückfindet.

Auch Hofer wäre keine Katastrophe gewesen. Unsere Demokratie ist viel zu gefestigt, als dass sie wegen eines Oppositionskandidaten in der Hofburg ins Wanken käme. Dass der Faschismus genau dann droht, wenn die SPÖ Macht verlieren könnte, ist mittlerweile ein fixer Bestandteil des öffentlichen Diskurses – so ähnlich konstatierte unlängst der österreichische Philosoph Rudolf Burger.

Apropos Nachdenken: Lassen Sie mich ein paar Worte über den neuen Bundeskanzler verlieren. Ja, ich halte es für einen Glücksfall, dass Werner Faymann nicht mehr Bundeskanzler ist, Er war für dieses Amt schlicht ungeeignet, worunter ganz Österreich litt. Nein, ich halte Christian Kern nicht für den Idealkandidaten. Mir wäre jemand, der sich am freien Markt zu bewähren hatte, tausend Mal lieber gewesen.

Vielleicht bin ich schon bescheiden geworden: Ein besserer Kandidat als Kern ist von der SPÖ realistischerweise nicht zu erwarten. Er analysiert das geistige Vakuum und den Stillstand wie viele andere, er macht sich zum Wortführer eines Stimmungsumschwungs, er lobt das Engagement jedes Einzelnen, führt das Wort Gesellschaft kaum im Munde und hofft auf die Investitionsbereitschaft der privaten Unternehmer – mag er auch bei Verwendung des Begriffs „New Deal“ hier einem Etikettenirrtum erlegen sein. All das klingt wie Musik in den Ohren. Dass die SPÖ seiner Linie folgt, ist im Interesse Österreichs zu hoffen. Dagegen spricht die ideologische Grundausrichtung, dafür, dass man auch dem Vorgänger viele Jahre gefolgt ist.

Ob sich die FPÖ nun Sorgen machen muss? Vielleicht. Einerseits wird der Hype um den neuen Mann an der Spitze der SPÖ verfliegen, dafür könnten gewichtige Gewerkschafter im Verein mit linken Ideologen schon sorgen. Dann würde sich der Erfolg Van der Bellens als Pyrrhus-Sieg erweisen und die FPÖ könnte durchstarten. Andererseits hätte sie wirklich Gegenwind, wenn den Regierungsparteien der Umbau zu einer wirklichen Reformpartnerschaft gelingt.

Und die ÖVP? Ja, wir dürfen uns angesichts der Erosion der Regierungsparteien nicht im Schweigen ergehen, um jenen zu gefallen, die scheinbar wohlwollend zur Ruhe raten („nicht streiten“). Wir stellen ausgezeichnete Minister, die gerade in den schwierigen Gefilden der Finanz-, Außen- und Sicherheitspolitik staatstragende Arbeit – gemildert durch politische Kompromisse – leisten. Gnade uns Gott, wir hätten sie nicht.

Damit komme ich zum Beginn meiner Ausführungen zurück: Die Relevanz dieser Arbeit müssen wir, harmlos formuliert, entsprechend herausarbeiten. Wenn überdies mit dem Wechsel an der Spitze der Bundesregierung die Hauptursache für geistiges Vakuum und Stillstand überwunden ist, können die längst fälligen großen Reformvorhaben auf den Gebieten der Verwaltung, des Pensionswesens und des Bürokratieabbaus tatsächlich angegangen werden.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er ist Nationalratsabgeordneter der ÖVP.

 

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