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Versammlungsfreiheit von New Orleans bis Wien

Kürzlich habe ich es mir nicht nehmen lassen eine Wahlveranstaltung von Donald J. Trump zu besuchen. Eine „Rally“ des verhaltensauffälligen Baulöwen in meiner derzeitigen Studienstadt New Orleans gewährte mir die perfekte Gelegenheit hierfür. Die Rede des Milliardärs selbst bot wenig Neues, dafür war etwas ganz anderes umso bemerkenswerter.

Ich wollte mir von dem Mann selbst ein Bild machen, vor dem sich mittlerweile die ganze Welt fürchtet. Gemeinsam mit ein paar Kommilitonen machte ich mich also auf den Weg. Bereits aus der Ferne  – die Veranstaltung fand in einem Hangar auf einem Flughafen statt – stach einem Trumps protziger Privatjet ins Auge. Ein Großaufgebot der Polizei, Straßensperren, Hubschrauber und angekündigte Gegendemonstrationen ließen bereits vor Beginn der Wahlkundgebung erahnen, was auf die Besucher zukommen würde. In der zum Bersten vollen Veranstaltungshalle trat Trump – nach der für Politiker schon fast obligatorischen Viertelstunde Verspätung – dann auch unter tosendem Applaus auf die Tribüne und ratterte sein „Programm“, oder zumindest seine Slogans, herunter, auf dass Amerika wieder „great“ gemacht werde.  

Inhaltlich wartete er mit dem üblichen Rundumschlag auf: Er will die Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen (zu deren Finanzierung er die mexikanische Regierung verdonnern will); Veteranen sollen mehr Unterstützung erhalten; er verwehrt sich gegen bildungspolitische Eingriffe der Bürokraten aus Washington und „Obamacare“ soll wieder rückgängig gemacht werden. Und außerdem sollen die USA von China nicht mehr über den Tisch gezogen werden. So weit, so wenig überraschend.

Nach der rund fünfzigminütigen Mischung aus altbewährten Sprüchen und Selbstbeweihräucherung ließ es der Milliardär auch schon gut sein, und verschwand vom Veranstaltungsort. Als ich den Hangar verließ, fand ich dort meine während Trumps Rede plötzlich verschwundenen Mitstudenten wieder, welche völlig außer Atem zu sein schienen. Der Wortführer der sichtlich aufgebrachten Gruppe – ein Psychologiestudent aus Hessen – erklärte mir dann zu meinem Erstaunen, dass er und einige andere die Veranstaltung vorzeitig aus Protest verlassen hätten. Was war geschehen?

Nun, wie auch schon bei früheren Wahlveranstaltungen Trumps kam es auch in New Orleans zu lautstarken Protesten. Zum Ärger vieler Bürger, die der Rede des Präsidentschaftsbewerbers lauschen wollten, beschränkten sich diese Unmutsbekundungen jedoch nicht auf den Bereich außerhalb der Veranstaltung. Mehrere Gruppen als auch Einzelpersonen hatten sich eingeschlichen, um in der Folge die Wahlveranstaltung nicht weniger als acht Mal zu unterbrechen. Die Tatsache, dass ein paar Personen, welche offensichtlich die Rede des Kandidaten verunmöglichen wollten, vom Security-Personal aus der Halle geschafft worden waren, war also die Ursache dafür, dass meine Kommilitonen sich gezwungen sahen, einen solchen „Akt der Solidarität“ zu setzen. Weiters wollten sie auch nicht als Teil „dieses Mobs“ wahrgenommen werden, wie sie mir unisono mit einer Ernsthaftigkeit zu verstehen gaben, als würden sie geradezu darauf bestehen, dass ich hierfür jeden einzelnen auf die Schulter klopfe. Doch warum habe ich nicht die Veranstaltung aus Protest gegen den rauen Umgang verlassen? Warum habe ich mich nicht zu den Demonstranten mit ihren Transparenten à la „Return of the Füher (sic!)“ oder „We don’t need an orange Hitler“ gesellt? Wäre das nicht meine moralische Pflicht gewesen?
Mitnichten wäre es das, aus folgenden Gründen:

  1. Es muss jedem Kandidaten in einer Demokratie möglich sein, für seine Anliegen (und mögen einem diese auch noch so zuwider sein) werben zu dürfen. Das inkludiert selbstverständlich, dass Störenfriede von einer Veranstaltung auch gegen deren Willen entfernt werden können. Ebenso ist es jedem Menschen unbenommen, gegen etwas oder jemanden zu demonstrieren. Ein Recht auf Verhinderung oder Beeinträchtigung von unliebsamen Versammlungen kann jedoch daraus nicht abgeleitet werden. Das wäre dann die Etablierung des Rechtes des Stärkeren und damit das genaue Gegenteil der Versammlungsfreiheit.
  2. Auch das „harte Durchgreifen“ des Security-Personals erscheint nur auf den ersten Blick als überzogen. Denn es wurde ja nicht gegen Personen vorgegangen, weil diese eine andere Meinung hatten, sondern lediglich deshalb, weil diese versuchten, die Rede des Milliardärs für die Zuhörer unverständlich zu machen.
  3. Was ganz allgemein das Durchgreifen des Ordnungsdienstes für manch zartbesaiteten Menschen mit „Haltung“ besonders schrecklich macht, ist natürlich die Tatsache, dass viele Demonstranten sich wenig kooperativ bis aggressiv verhalten, wenn sie vom Veranstalter berechtigterweise aufgefordert werden zu gehen; was dann natürlich zu einer dementsprechend härteren Gangart der Security-Mitarbeiter führt. Auch auf Videomitschnitten besagter „Rally“ war ganz eindeutig zu erkennen, dass teilweise unter Zuhilfenahme von Schlägen und Tritten versucht wurde sich den Anweisungen des Ordnungsdienstes zu widersetzen. Bilder von theatralisch hinfallenden Demonstranten – welche meist nur deshalb stolpern, weil sie sich von der Exekutive förmlich hinaustragen lassen wollen – verstärken natürlich zusätzlich den Mitleidseffekt (welchen die Medien infolgedessen naturgemäß ordentlich aufbauschen).
  4. Dass Trump gerade angesichts der Anwesenheit der Organisation „Black Lives Matter“  wenig Geduld für das lautstarke Skandieren von „No Trump, no KKK, no fascist USA“-Parolen hatte, ist auch aus einem anderen, zwar nicht jedem geläufigen aber dennoch nicht zu unterschätzenden Grund verständlich. Im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung des demokratischen Senators und Linksaußens Bernie Sanders im August 2015 wurde dessen Rede, bevor sie überhaupt begonnen hatte, von Vertretern der „Black Lives Matter“-Bewegung insofern unterbrochen, als diese Sanders‘ Rednerpult kurzerhand besetzten und für ihr eigenes Anliegen missbrauchten. Dies geschah sehr zum Missfallen vieler anwesender Bernie-Fans, welche zusätzlich noch erleben mussten, wie ihr sicherlich jedweder rassistischer Ideologie unverdächtiges Idol auf der Tribüne von zwei halbstarken Aktivistinnen niedergebrüllt und als „White Supremacist“ beschimpft wurde.

Aber wäre es nicht dennoch unsere Pflicht, Einschnitte im Bereich der Versammlungsfreiheit hinzunehmen, wenn es darum geht einem späteren „Weltenbrandstifter schon jetzt mutig entgegenzutreten“ (Originalzitat: Michael Fleischhacker, 2012). Auch hier lautet die Antwort: Nein! Denn was viele über Trump Empörte bewusst oder unbewusst übersehen:

  1. Trump mag zwar ein Populist sein, aber er ist kein starrer Ideologe. Seine höchst kontroversen Aussagen über den Einsatz von Folter hat er bereits revidiert. Ein glaubwürdiger „Pro-Life“-Verfechter ist er zu keinem Zeitpunkt gewesen. Kurzum, Trump sagt vieles, um zu provozieren, um Aufmerksamkeit zu erregen und um gewählt zu werden, aber es bestehen beträchtliche Zweifel daran, ob er auch wirklich an all das glaubt, was er so von sich gibt.
  2. Trump ist auch nicht der Außenseiter des Establishments, der wenn er nur die Macht bekäme, das gesamte System radikal umkrempeln würde. Vieles spricht dafür, dass der seit jeher im System verankerte Unternehmer mit seinen politischen Mitstreitern und Mitbewerbern eine umgänglichere Art pflegen würde, als man aufgrund seiner Auftritte in den Vorwahlen schließen könnte. So ist es auch wenig verwunderlich, dass er in seiner Vergangenheit Politiker verschiedenster Couleur finanziell unterstützte (so auch ironischerweise seine wahrscheinliche Kontrahentin Hillary Clinton).
  3. Ein Großteil von dem, was bis jetzt an außenpolitischen Positionierungen seitens Trumps bekannt geworden ist, spricht streng genommen für das genaue Gegenteil eines expandierenden Nationalismus, wie er ja rechten diktatorischen Regimen inhärent ist. Sowohl seine Intentionen eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, als auch sein amikales Verhältnis zu Kreml-Chef Putin oder seine mehrfach – auch in South Carolina (wo so etwas gar nicht gut ankommt) – getätigte Kritik an George W. Bushs Invasion des Iraks lassen darauf schließen, dass Trump eher eine Rückkehr zum längst vergessenen Isolationismus vorsieht, anstatt die USA weiterhin als Weltpolizei zu positionieren.
  4. Gerade die sich überwiegend als intellektuell verstehenden Trump-Gegner müssten doch eigentlich wissen, dass eine Nominierung Donald Trumps zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten ein Goldgriff für die von ihnen mehrheitlich favorisierte Hillary Clinton in der Präsidentschaftswahl wäre. Gegen so ziemlich jeden anderen republikanischen Bewerber (insbesondere gegen John Kasich oder den erst kürzlich ausgeschieden Marco Rubio), hätte Clinton hingegen schlechte Karten.
  5. Ebenso begreifen offenkundig die wenigsten, dass gerade das präsidentielle Regierungssystem in den USA dem Präsidenten eine stark eingeschränkte Rolle zukommen lässt. Der US-Präsident kann ohne Zustimmung des Kongresses nur wenig bewirken. Das gilt umso mehr, wenn Parteizugehörigkeit des Präsidenten und Parteimehrheit im Kongress voneinander abweichen. Und das würde umso mehr auf einen Präsidenten zutreffen, der für das republikanische Establishment bereits schwer verdaulich ist, und für die Demokraten erst recht als Personifizierung alles Bösen gilt.
  6. Und selbst wenn alle fünf obigen Punkte nicht zutreffen würden, glaubt irgendeiner dieser Krakeeler wirklich allen Ernstes, dass die Störung einer Wahlveranstaltung oder die im Anschluss beim Verlassen des Hangars stattgefundenen Beschimpfungen von Trump-Fans als unterbelichtete, arme, weiße Globalisierungsverlierer auch nur im Geringsten dazu beitragen könnte, diese Menschen davon zu überzeugen, Trump nicht mehr zu unterstützen? Ganz im Gegenteil: Durch solche Aktionen wird meistens nur eine Solidarisierung innerhalb der Anhängerschaft Trumps bewirkt.

Für mich persönlich wäre es daher aus mehreren Gründen problematisch gewesen, die „Rally“ des Milliardärs zu boykottieren oder gar sie zu verhindern versuchen: demokratiepolitisch wie auch strategisch. Die Gruppe, allen voran ein Psychologiestudent aus Hessen, zeigte sich ob meiner Einwände jedoch wenig überzeugt, weil es ja schon „irgendwie oarg“ war, dass da manche einfach so „aussig'schmissen“ wurden. Täter-Opfer-Umkehr also in Reinkultur.

Und genau hier offenbaren sich traurige Parallelen zum alljährlich stattfindenden Wiener Akademikerball (vormals WKR-Ball). Ungeachtet dessen, wie man die politische Einstellung der dort anwesenden Persönlichkeiten beurteilen mag, ist es ein Faktum, dass diese Veranstaltung auf dem Boden der Rechtstaatlichkeit steht. Es gibt dort weder Gewalt, noch wird versucht, die Demokratie auszuhöhlen. Ebenso ein Faktum ist jedoch auch, dass jedes Jahr verschiedene Gruppierungen unter dem Deckmantel der Demokratieverteidigung versuchen, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu unterminieren. Und ebenso ist es wie in New Orleans ein Faktum, dass sich jene, die versuchen, Kundgebungen Andersdenkender zu behindern, völlig im Recht fühlen.

Denn was zählen schon Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wenn man die Möglichkeit bekommt sich als moralisch überlegen zu inszenieren. Wenn die politischen Forderungen der Veranstalter nicht genehm sind, wird das nicht mehr so streng gesehen. Dann wird das Recht, sich friedlich versammeln zu dürfen, gleich mal durch ein Recht ersetzt, Kundgebungen des politischen Gegners verhindern zu dürfen. Man will ja „Haltung“ zeigen. Dass einst auch in der österreichischen Ersten Republik militante Gruppen beider Lager versucht haben, jeweils die Gegenseite in ihren Grundrechten zu beschneiden, wird leider ebenso oft vergessen, wie die Tatsache, dass sich beide Seiten aus moralischen Gründen völlig berechtigt sahen, dies zu tun.

 „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“ Diesem Ausspruch des französischen Philosophen Voltaire wird leider viel zu wenig Rechnung getragen – in New Orleans ebenso wie in Wien. Dabei sollte er gerade gegenüber jenen beherzigt werden, welchen wir am meisten widersprechen.

PS: Übrigens, als ich den Psychologiestudenten aus Hessen fragte, ob er denn ebenso „solidarisch“ gehandelt hätte, wären auf einer Clinton-Wahlkundgebung radikale Abtreibungsgegner ob ihrer Störungen von der Veranstaltung hinauskomplimentiert worden, bekam ich leider keine Antwort mehr. Ein Schelm wer Böses denkt…

Fabio Gruber, BA, ist ein 23-jähriger Student der Rechtswissenschaften und Politikwissenschaft an den Universitäten Innsbruck und New Orleans. 

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