Eigentlich ist es Betrug. Moderne Autos seien keine Spritfresser, wird von der einschlägigen Industrie signalisiert. In der Praxis gibt es diese Werte allerdings nicht, der Spritverbrauch im täglichen Betrieb ist meilenweit entfernt von den offiziellen Angaben.
Dafür können sich die Autokonzerne rühmen, ganz locker die EU-Vorgaben zu erfüllen. Denn die Autohersteller nähern sich den neuen europäischen Klimaauflagen für Neuwagen ab 2020 nach Einschätzung der Europäischen Umweltagentur (EEA) in gutem Tempo. Schon zwei Jahre früher als angedacht hätten sie die Ziele für 2015 erreicht, berichtete die Agentur. Im Durchschnitt stieß ein 2013 verkaufter Neuwagen nach den Daten der EEA 127 Gramm des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) aus – drei Gramm weniger, als die Ziele vorgeben. Damit sei aber nicht gesagt, dass jeder einzelne Hersteller die Grenze schon unterschritten hätte, räumte die EEA ein.
Die Umweltorganisation „Transport & Environment“ (T&E) wirft den Autoherstellern vor, bei den Tests für die Werte zu tricksen. „Forschungen zeigen, dass die durchschnittlichen Zahlen zum Kraftstoffverbrauch von Fahrern auf der Straße 25 Prozent höher sind als die offiziellen Zahlen, die Autobauer angeben“, erklärte T&E. Ab 2020 dürfen 95 Prozent der neuen Autos nicht mehr als 95 Gramm CO2 ausstoßen. Ab 2021 gilt der Grenzwert für alle Wagen. Ein entsprechendes Gesetz hatten die EU-Staaten im März 2014 verabschiedet.
Neue Autos verbrauchen immer weniger Sprit – doch von den Werksangaben sind die Praxiswerte meist weit entfernt. Kein Wunder: Die Autohersteller tricksen und täuschen, dass sich die Balken biegen.
Dass Normverbrauchswerte nicht unbedingt den Alltagsdurst eines Autos widerspiegeln – daran hat man sich längst gewöhnt. Doch die Lücke zwischen Herstellerangaben und Realität wächst und wächst. Denn die Autobauer nutzen mittlerweile alle Tricks zur Verschönerung der CO2-Bilanz. Und davon gibt es viele. Lag die Differenz zwischen Herstellerwerten und Realverbrauch 2001 in Deutschland noch bei rund sieben Prozent, sind es mittlerweile 23 Prozent, wie Transport & Environment ermittelt hat. Die Basisdaten stammten dabei von der Internetseite spritsparmonitor.de, auf der Autofahrer die von ihren Pkw im Alltag erreichten Verbrauchswerte veröffentlichen können.
Die wachsende Kluft hat mehrere Ursachen. Zum einen die immer umfangreichere Ausstattung von Neuwagen. Optionale Komfort- und Sicherheitsextras verbrauchen Strom und erhöhen das Gewicht, werden bei den offiziellen Fahrzyklus-Tests aber nicht berücksichtigt. Dort wird in der Regel das mager ausgerüstete Basismodell geprüft.
Ein weiterer Grund liegt in der realitätsfernen Ausgestaltung der Prüfstand-Tests, die zu einer falschen Gewichtung von Spritspar-Techniken führt. So hat etwa das Start-Stopp-System im Labor einen überproportionalen Effekt, da das Auto dort rund 20 Prozent der Testdauer steht. Im Alltag ist das System in der Regel deutlich weniger im Einsatz, in kalten Wintermonaten manchmal wochenlang überhaupt nicht. Wie vergleichsweise gering sein Spritspar-Effekt ist, kann jeder Besitzer eines Bordcomputers überprüfen: Im Leerlauf liegt der Verbrauch des Motors bei 0,5 bis 1,0 Liter – pro Stunde.??Rund die Hälfte der offiziellen Verbesserungen beim CO2-Ausstoß der vergangenen zehn Jahre ist laut T&E auf kreative Tricks der Autohersteller bei der Verbrauchsberechnung zurückzuführen. Da sowohl Vorschriften als auch Kontrollen von Seiten des Gesetzgebers relativ lax sind, bleiben die Konzerne dabei zwar auf dem Boden des Gesetzes, führen jedoch ihre Kunden aufs Glatteis.
Für die Autohersteller gibt es zwei grundsätzliche Arten zu tricksen. Zum einen bei der Realfahrt auf offener Strecke, zum anderen bei der anschließenden Laborprüfung durch ein nominell unabhängiges Institut. Die Fahrt im Freien dient vor allem dazu, Roll- und Luftwiderstand zu ermitteln. Diese werden später benötigt, um den Rollenprüfstand im Labor entsprechend zu programmieren.
Um möglichst niedrige Werte zu erreichen, wählen die Tester einen Ort mit möglichst hohen Temperaturen und niedrigem Luftdruck. Vor Fahrtantritt wird jedes überflüssige Gewicht im Fahrzeug entfernt, spezielle Leichtlauföle werden eingefüllt und die ebenfalls eigens montierten Leichtlaufreifen stärker als empfohlen aufgepumpt, um den Rollwiderstand zu verringern. Gewitzte Tester kleben zudem sämtliche Karosseriefugen mit Klebeband ab, um die Aerodynamik zu verbessern. Auch Fahrwerk und Bremsen werden beim Testkandidaten für möglichst geringen Verbrauch optimiert – Fahrkomfort und Sicherheit spielen bei dem getesteten Vorserienmodell eine geringere Rolle als beim fertigen Auto, das anschließend in den Verkauf geht.
Zweites Feld für Tricks ist der Labortest. Auch der wird von einem unabhängigen Institut durchgeführt. Allerdings wird dieses vom Autohersteller engagiert und auch bezahlt – ein klassischer Konflikt. So dürfte die Bereitschaft, die Lücken in der Prüfungsordnung gewissenhaft auszunutzen, durchaus groß sein. Zu den beliebtesten Möglichkeiten zählt das Abkoppeln des spritfressenden Stromgenerators vom Motor. Im Alltag würde das zu einem Entladen der Batterie und irgendwann zum Triebwerksstopp führen. Für die kurze Fahrt auf dem Prüfstand reicht allerdings der Vorrat des Akkus. Auch ein Eingriff in die Motorsteuerung, um einen besonders sparsamen Betrieb zu erzwingen, ist legal. Genauso der Einsatz von nicht serienmäßigen Leichtlaufölen oder das Manipulieren des Bremssattels. Zudem spielt auch hier die Umgebungstemperatur eine Rolle. Beim Test wird sie natürlich optimiert. Nicht zuletzt sind Messtoleranzen erlaubt, die sich kreativ nutzen lassen. Der Hersteller kann beispielsweise den gemessenen CO2-Wert pauschal um vier Prozent kürzen, bevor er ihn der Zulassungsbehörde meldet.
Alle diese Eingriffe haben für sich genommen nur geringen Einfluss. Dadurch, dass die Realfahrt-Ergebnisse in den Laborversuch einfließen und dessen Daten mit einem komplizierten Algorithmus auf den Normverbrauch hochgerechnet werden, können aber auch kleine Spareffekte das Endergebnis stark beeinflussen. Insgesamt führen die Tricks laut T&E zu einem um 19 bis 28 Prozent verbesserten Wert beim CO2-Ausstoß im Vergleich zum identischen Test ohne kreative Optimierung.
Die Umweltschutzorganisation setzt sich vor diesem Hintergrund für eine umfassende Änderung der Test-Prozedur ein. Zunächst müsse das genormte Verfahren insgesamt realitätsnäher werden, zudem sei das Schließen von Schlupflöchern sowie eine stärkere Kontrolle der Ergebnisse nötig.
Derzeit werden auch bereits die letzten Details für ein moderneres, realitätsnäheres Testverfahren entwickelt – das sogenannte WLTP (World-Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure) – welches aktuelle Fahrsituationen besser abbildet. Die EU-Kommission plant, dieses ab 2017 einzuführen, und das Europaparlament hat die Einführung ebenfalls mit großer Mehrheit befürwortet. Nur, die Fahrzeughersteller versuchen den Einführungstermin auf die Zeit nach 2021 zu verschieben.
Dieter Friedl ist Österreichs führender Energie-Journalist. Er gibt 14-tägig den unabhängigen elektronischen „Energiedienst“ heraus, der unter der E-Mail Adresse kontakt@elisabethgall.at abonniert werden kann. Der „Energiedienst“ informiert über alle Energiefragen.