Der Verfassungsgerichtshof hat soeben befunden, dass Homosexuelle gleichrangig wie heterosexuelle Paare als Adoptionseltern fungieren dürfen. Der Nationalrat muss nun bis zum 31.12.2015 eine entsprechende Gesetzesänderung vornehmen. Das ist die Faktenlage und zunächst zu akzeptieren.
Es bleiben mit diesem Entscheid allerdings eine Menge Fragen offen:
In der Menschenrechts-Charta (AEMR) ist festgeschrieben, dass Kinder ein Recht auf Vater und Mutter haben. Es wird weiters festgehalten, dass Kinder das Recht haben, „die Familie als natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und als natürliche Umgebung für ihr Wachsen und Gedeihen" zu genießen (Originalzitat). Sinngemäß ist in der AEMR die heterosexuelle Vater-Mutter-Beziehung und der daraus resultierende Nachwuchs gemeint.
Dieses Kinder-Recht scheint durch den Spruch der Richter missachtet. Der Verfassungsgerichtshof stellt die Wünsche einzelner Paare über die seit Jahrzehnten festgeschriebenen Kinderrechte und begründet dies damit, dass keine sachlichen Gründe gegen eine Adoption durch Homosexuelle sprächen und dass im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht auf freies Privat- und Familienleben gewährleistet sei. Daraus ergäbe sich zwar kein Adoptionsrecht, es dürfe aber auch keine Diskriminierung hinsichtlich der Elternschaft daraus erwachsen.
Natürlich ist es argumentierbar, dass manche Homosexuelle den Wunsch haben, Kinder zu erziehen und in einer Familie mit zwei oder später sogar drei Generationen leben möchten. Allerdings ist dies immer eine selbstreferenzielle Argumentation, weil nicht zuerst an das Kind, sondern an den eigenen Kinderwunsch gedacht wird, der ja a priori aufgrund einer biologischen Tatsache nicht erfüllbar ist. Eine Erfüllung kann nur durch ein Adoptions-Gesetz oder medizinische Hilfsmittel oder auch Zeugungen außerhalb der gleichgeschlechtlichen Beziehung zustande kommen.
Diese Hürde soll nun durch den VfGH-Spruch genommen werden. Österreich passt sich damit auch vielen anderen Ländern an, wo das Recht der Homosexuellen auf Adoption schon länger gelebt wird.
Fakt bleibt, dass das bestehende Kinderrecht (und wohlgemerkt handelt es sich dabei um ein Recht von bereits lebenden Kindern) hier gegenüber dem nun geschaffenen Recht der Erwachsenen in den Hintergrund gerückt und marginalisiert wird. Anders gesagt: Es wird eine neue Diskriminierung durch die „Reparatur" einer alten erzeugt.
Von den Interessensgruppen, welche die neue Adoptionsregelung seit langem einfordern, wird immer ins Treffen geführt, dass es den Kindern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen tendenziell sogar besser ginge als in Hetero-Elternschaften. Es würde dazu auch Wissenschaft samt Langzeitstudien geben und die Daten würden mehrheitlich in diese Richtung weisen.
Fakt ist, dass es lediglich Fall-Beobachtungen gibt, die „Studien" genannt werden. Die wissenschaftliche Qualität dieser Arbeiten ist naturgemäß kritisch zu betrachten, weil die beobachteten Familien ja wissen, dass sie untersucht und befragt werden. Dieses Wissen beeinflusst logischerweise das Ergebnis. Es gibt aus ethischen Gründen auch nicht die Möglichkeit einer wirklich objektiven Forschung, denn wir können ja keine Dopppelblind-Studien oder anonyme Untersuchungen ohne Einwilligung der Untersuchten durchführen.
Wir sind also auf Meinungen und Stellungnahmen oft ideologisch geprägter Experten angewiesen. Und selbst wenn es stimmt, dass in den untersuchten Regenbogen-Familien der „Outcome" bei den Kindern besser ist, ergibt das keine Garantie, dass es auch in den nicht untersuchten Familien so ist oder dass es in Zukunft so bleiben wird.
Um ein gutes Leben für die ohnehin schon aus schwierigen Situationen kommenden Adoptiv-Kinder zu garantieren, müsste man dem Staat eine Überwachungsrolle zumessen oder ständige Qualitätskontrollen durch Kinderpsychologen einfordern. Das wird wohl niemand wollen und wäre im Grunde auch nicht im Sinne der Kinder oder Eltern. Überwachung von Familien ist keine Option.
Andererseits entsteht durch die neue Adoptionsregel nun ein veritables soziologisches Versuchsfeld mit den Kindern und auch den Eltern als Versuchsobjekten. Wir dürfen trotz aller Propaganda nicht vergessen: Es ist ganz einfach eine gesellschaftlich neue Situation und weltweit sind die Zahlen von homosexuellen Elternschaften im Vergleich zu den Milliarden heterosexuellen Eltern verschwindend gering, sodass valide Rückschlüsse auf die Gesamtqualität der neuen Elternschaft noch gar nicht möglich sind.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Homosexuelle Elternschaft ist nicht gleichbedeutend mit Gefahr für das Kind und es ist durchaus möglich, dass sich homosexuelle Eltern vergleichsweise mehr um ihre Kinder bemühen als manche heterosexuelle, weil diese Form der Vormundschaft immer gut überlegt und vorbereitet werden muss, sonst wäre sie ja nicht möglich.
Allerdings – und das war und ist der Ausgangspunkt – wird sowohl vom Verfassungsgerichtshof wie auch von den Interessensgruppen zu wenig an das langfristige Kindeswohl gedacht: Wir wissen einfach zu wenig über Langzeitentwicklungen von Kindern aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Wir kennen aus den oben zitierten Beobachtungen einige Vorzeige-Paare, wo es offenbar gut funktioniert. Aber sonst wissen wir nichts. Wir begeben uns also auf dem Boden eines neuen, zeitgeistigen und auf die aktuellen Wünsche von Interessensgruppen eingehenden Rechtsverständnisses in gesellschaftliche Versuchsanordnungen, von denen wir nicht genau wissen, was aus den unfreiwilligen Versuchsteilnehmern in 20, 30 Jahren werden wird.
Dr. Marcus Franz ist Arzt und Nationalrats-Abgeordneter des Team Stronach.