Rückkehr zur Energie aus dem Wald – mehr als ein Holzweg?
Teil 1: Energiewende und Klimaschutz

Auf Grund des globalen Wachstums der Bevölkerung, des Wirtschaftswachstums, der fortschreitenden Urbanisierung und des steigenden Bedarfs an energieabhängigen Leistungen wird erwartet, daß sich der globale Energieverbrauch bis 2050 verdoppelt. Der Waldökologe Gerhard Glatzel reflektiert über Klimaschutzpolitik im Allgemeinen, über Energiesparen und über die Rolle von Wäldern als Energiequelle und Kohlenstoffspeicher im Speziellen [1].

Gerhard Glatzel für den Science-Blog

Der Begriff „Energiewende“ war der Titel einer vom deutschen Öko-Institut erarbeiteten, wissenschaftlichen Prognose zur vollständigen Abkehr von Kernenergie und Energie aus Erdöl. Das Konzept wurde auch als Taschenbuch veröffentlicht [2]. Ursprünglich war der Ausstieg aus der Kernenergie die vorherrschende Motivation. Mit zunehmenden Erkenntnissen über die Klimaerwärmung wurde das Thema „Klimaschutz“ immer aktueller. Die unausweichliche Erschöpfung fossiler Energiequellen und die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten aus politisch instabilen Weltgegenden sind weitere starke Argumente für die Energiewende.
Da die Gefahren von Atomkraftwerken in verschiedenen Ländern unterschiedlich dargestellt und wahrgenommen wurden, war es nicht möglich, globale Abkommen über den Ausstieg aus der Kernenergie zu erzielen. Daher wurde die Erderwärmung durch die Emission von Treibhausgasen sehr bald zum beherrschenden Element der Energiewende-diskussion.

Das Kyoto-Protokoll

1997 wurde von den Vereinten Nationen das „Kyoto-Protokoll“ (ein Zusatzprotokoll zur United Nations Framework Convention on Climate Change) beschlossen, das alle Vertragspartner verpflichtet, regelmäßige Berichte zu veröffentlichen, in denen Fakten zur aktuellen Treibhausgasemission  und Trends enthalten sein müssen. Das Hauptgewicht liegt auf der Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen, insbesondere von CO2 aus fossilen Energieträgern. Allerdings wurde das Protokoll von einer Reihe von Staaten nicht unterzeichnet oder ratifiziert (darunter die USA, die für etwa ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind). Kanada hat sich 2011 aus dem Kyoto-Prozeß zurückgezogen.

Für jene Teilnehmer, die das Protokoll unterzeichnet und ratifiziert haben, sind die darin festgelegten Ziele bindend. In der Praxis bedeutet das, daß die vereinbarten Ziele eingehalten werden müssen, andernfalls treten Sanktionen in Kraft. Die Kyoto-Staaten haben beispielsweise vereinbart, daß Staaten, die ihre Emissionsziele nicht einhalten, eine doppelte Strafe erhalten: Sie müssen dann nämlich in einem neu vereinbarten Zeitraum nicht nur das alte versprochene Ziel erreichen, sondern ihren Ausstoß darüber hinaus noch um zusätzliche 30 % verringern.
Bereits am 19. Oktober 2011, hat der österreichische Nationalrat ein Klimaschutzgesetz  (Bundesgesetz zur Einhaltung von Höchstmengen von Treibhausgasemissionen und zur Erarbeitung von wirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz; BGBl. I Nr. 106/2011) verabschiedet, das den  einzelnen Wirtschaftssektoren ab 2012 verbindliche Einsparziele für  CO2-Emissionen vorschreibt. Österreich verpflichtet sich, seine Treibhausgasemissionen bis 2012 um 13 Prozent (gegenüber 1990) sowie bis 2020 um 16 % (gegenüber 2005) zu senken.

Da die in den Kyoto-Prozeß gesetzten Erwartungen hinsichtlich der globalen Verringerung der Emission von Treibhausgasen bislang nicht erfüllt wurden, bemüht man sich auf den UN-Klimakonferenzen neue Ziele zu formulieren sowie neue Mitglieder zu gewinnen und zu bindenden Vorgaben zu verpflichten. Dazu schrieb am 26. November 2011 „Die Presse“ als Schlagzeile auf ihrer Titelseite: „Klimapolitik ist klinisch tot – Die Verhandlungen über ein globales Klimaschutzabkommen stecken in einer Sackgasse. Ein Ausweg ist auch bei der UN-Konferenz in Dubai nicht in Sicht“. Die nächste Klimakonferenz im November 2012  war kaum erfolgreicher: „Die große UN-Klimakonferenz von Doha hat ganz den – geringen – Erwartungen entsprochen, die man in sie gesetzt hat: Als das Treffen am Wochenende zu Ende ging, hatten die teilnehmenden Staaten kaum Fortschritte erzielt. Als Minimalergebnis wurde lediglich das Kyoto-Protokoll, das eigentlich heuer ausgelaufen wäre, bis ins Jahr 2020 verlängert.“(Die Presse, 9. Dezember 2012)
Dieser irritierende Widerspruch veranlaßt den emeritierten Waldökologen einmal mehr über Klimaschutzpolitik im Allgemeinen, über Energiesparen  und über die Rolle von Wäldern als Energiequelle und Kohlenstoffspeicher im Speziellen zu reflektieren.

Klimaschutz: Faktum – Fiktion – Illusion

Faktum Klimaerwärmung

Faktum ist, daß sich unser Planet gegenwärtig in einer Phase markanter Klimaerwärmung befindet und diese mit dem Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre aus anthropogenen Quellen, insbesondere aus der Verbrennung fossiler Energieträger sowie aus industriellen und agrarischen Aktivitäten, gut korreliert. Faktum ist auch, daß sich der Kyoto Prozeß bislang als nicht sehr effizient erwiesen hat. Der 17. UN-Klimagipfel in Durban im November 2011 ebenso wie der 18. Klimagipfel in Doha im November 2012, deren Ziel es war, eine wirksame Nachfolgeregelung zum Kyoto-Prozokoll zu finden und global verpflichtende Vorschriften für die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen zu beschließen, brachte letztendlich eine weitere Verschiebung. Erst  2015 soll ein Weltklimavertrag erarbeitet werden.

Fiktion „Leben in Harmonie mit der Natur“

Fiktion ist, daß es genügen würde, die Klimaerwärmung zu verhindern, um uns und künftigen Generationen ein Leben in Frieden und Wohlstand zu sichern. Eine sehr verbreitete, aber falsche Vorstellung geht vom „Gleichgewicht der Natur“ aus, das durch die industrielle Entwicklung und die damit verbundene Ausbeutung der Natur gestört wurde. Die Meinung, daß sich ohne Störung durch den Menschen in der Natur alles im Gleichgewicht befindet, ist ein naives Idealbild. Auch das „Leben in Harmonie mit der Natur“ ist eine Fiktion romantischer Naturvorstellung. Daß Goethes „Aber die Natur versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge; sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind die des Menschen“ (Goethe zu Eckermann; Gespräche II) immer wieder zitiert wird, entspricht vermutlich unserem inneren Harmoniebedürfnis. Wir verdrängen dabei, daß alles Leben das Ergebnis von Evolution ist, die auf Selektion durch sich laufend ändernde Bedingungen der unbelebten und belebten Umwelt beruht. Aus Goethes Worten die Vorstellung einer harmonischen, im Gleichgewicht befindlichen Natur abzuleiten, die nur vom Menschen gestört wird, ist ein Trugschluß, der von ihm selbst widerlegt wird: „Gleich mit jedem Regengusse/ Ändert sich dein holdes Tal, / Ach, und in dem selben Flusse / Schwimmst du nicht zum zweitenmal.“ Das auf den griechischen Philosophen Heraklit zurückgeführte „panta rhei“ („alles fließt“) ist eine Metapher für die Prozessualität der Welt. Das Sein ist demnach nicht statisch, sondern als ewiger Wandel dynamisch zu erfassen. Einer der Gründerväter moderner Naturwissenschaft, Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) betonte in seinen biologischen und geologischen Konzeptionen die Dynamik aller Naturvorgänge.

Natürlich gibt es in der Natur Lebensgemeinschaften, die uns aus der Zeitperspektive eines Menschenlebens überaus stabil und gefestigt erscheinen. Wir wandern durch denselben Wald, den wir schon als Kinder mit dem Vater besucht haben, und er erscheint uns genau so dicht und grün wie damals. Wenn wir das Glück haben, mehr als tausend Jahre alte Mammutbäume bestaunen zu können, verstärkt sich der Eindruck der Dauerhaftigkeit. Innere Harmonie, nach der wir uns so sehr sehnen, gibt es aber auch in diesen Wäldern nicht. Es herrscht ein gnadenloser Wettbewerb um Ressourcen, es gibt Unterdrückung und Vernichtung. Aber auch als Ganzes sind Wälder nicht  unveränderbar stabil, sondern können durch Sturm, Feuer, Lawinen oder Erdbeben, um nur einige der möglichen Umwelteinflüsse zu nennen,  zerstört werden. Wir sprechen dann von „Naturkatastrophen“, die den „Waldfrieden“ jäh gestört haben.

Die Vernichtung bestehender Strukturen bietet aber für viele Lebewesen neue Chancen, und aus dem Wettstreit der Pioniere erwachsen allmählich wieder Wälder, die wir wider besseres Wissen, als ausdauernde Endstadien ansehen. Der Vergleich mit der Geschichte von Imperien drängt sich auf – nach außen mächtig und auf Dauer konzipiert, innen von Machtkämpfen, Ausbeutung und Unterdrückung geprägt, aber in der Realität meist jäh endend und für Neues Platz machend. Auf den Stoffhaushalt von Wäldern werde ich im Zusammenhang mit dem Sparen noch zu sprechen kommen.

Erhebliche Probleme verursacht für die Klimaschutzdiskussion die vereinfachte Argumentation eines für die künftige Entwicklung der Menschheit unverzichtbaren und  daher unbedingt zu erhaltenden Gleichgewichtzustandes. Weil die Klimaforschung in immer größerer Detailliertheit zeigt, daß extreme natürliche Klimaschwankungen in der älteren und jüngeren Vergangenheit relativ häufig waren, wird von vielen Bürgern die gesamte Klimaschutzargumentation  (zu Unrecht) angezweifelt. Es rächt sich auch, daß Klimaschutz meist sehr isoliert und singulär existenzbedrohend diskutiert wurde und nicht – im Gesamtkontext aller – die gedeihliche künftige Entwicklung der Menschheit bedrohlicher Limitationen und Gefahren.

Illusion – einvernehmliche Nutzung von Ressourcen

Illusion ist die Umsetzbarkeit globaler Vorgaben für Treibhausgasemissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger. Während auf Klimakonferenzen über verbindliche Nachfolgeregelungen für das auslaufende Kyoto-Protokoll diskutiert wird, sehen wir im Fernsehen Bilder von der Erschließung der Kohlevorkommen in der Mongolei und in Mosambik sowie den Einsatz von „Hydraulic-Fracturing“ in überaus ergiebigen Shale-Gas-Feldern. Auch im österreichischen Weinviertel wollte die ÖMV Probebohrungen zur Erschließung der dort vorhandenen Schiefergaslager durchführen. „Global Governance“ als Basis für die einvernehmliche und gerechte Nutzung der Umwelt und der Ressourcen der Erde ist noch immer Utopie, wahrscheinlich sogar Illusion.

Der große oberösterreichische Heimatdichter Franz Stelzhamer (1802 – 1874) hat es vor 150 Jahren auf den Punkt gebracht: „Oana is a  Mensch, mehra hans Leit, alle hans Viech.“ (Einer ist ein Mensch, mehrere sind Leute, alle sind Vieh.)

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[1] Der Artikel basiert auf dem gleichnamigen Essay des Autors in: Qualitatives Wirtschaftswachstum – eine Herausforderung für die Welt. (H.Büchele, A. Pelinka Hsg; Innsbruck University Press, 2012), p 27.

[2] Krause F., Bossel H., Müller-Reißmann K.F.: Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran. Frankfurt am Main, 1980.

Der 2.Teil des Artikels („Energiesicherheit statt Klimaschutz und Energiesparen“) erscheint voraussichtlich in 14 Tagen.

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Emer. Univ. Prof. Dr. Gerhard Glatzel war Vorstand des Instituts für Waldökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seit 2010 ist er Vorsitzender der IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis)-Kommission, 2011 wurde er zum Mitglied der „Biodiversity Targets“ des Science Advisory Council of the European Academies (easac) ernannt.

Forschungsschwerpunkte: Waldernährung, Waldökosystemdynamik und Sanierung von Waldökosystemen, historische Landnutzungssysteme.

Details unter: http://www.science-blog.at/Autor/Gerhard+Glatzel

Weiterführende links:

World Energy Council: 2010 Survey of Energy Resources (618 pages; 11,7 Mb)

2013 World Energy Issues Monitor (40 pages; 3 Mb)

Doha Climate Change Conference November 2012

 

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