Für die Südtiroler Volkspartei (SVP), die den von Italien 1918 annektierten Teil des alten Habsburgerkronlands seit 1945 ununterbrochen mit absoluten Mehrheiten regiert, waren Elogen auf den „Duce“ – wie sie Michaela Biancofiore, die Bozener Statthalterin Silvio Berlusconis, und auch er selbst vor den italienischen Parlamentswahlen anstimmten – stets von Vorteil. Das stärkte ebenso wie kalte Winde aus dem römischen Süden den Zusammenhalt zwischen Brenner und Salurner Klause. So auch diesmal, die überraschenden und jedwede demoskopischen Vorwahlfühlungnahmen Lügen strafenden Ergebnisse der italienischen Wahlen in Südtirol waren vor allem für die Politiker der italienischen Rechten ernüchternd.
Die Minniti-, Urzí-, Seppi- und Holzmann-Klüngel-Klientel von „Fratelli d’Italia“, „Alto Adige nel cuore“, „Unitalia“ und anderen aus dem „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) sowie der „Alleanza Nazionale“ (AN) hervorgegangenen Splittergruppen der „Kampfzone Alto Adige“ – wo der „schwarze“ Bodensatz des (Neo-)Faschismus nicht auf Wahlkampfzeiten beschränkt bleibt, sondern auch im politischen Alltag stets ausgeprägt in Erscheinung tritt – hatten ebenso das Nachsehen wie die „interethnischen“ Grünen. An ihrer Statt erzielte, wie in ganz Italien, wo ihr jeder vierte Wähler erlag, auch unter den ethnischen Italienern Südtirols die Klamauk-Bewegung der „Grillini“ des Komikers Beppe Grillo (mit gut acht Prozent der Stimmen) auf Anhieb einen achtbaren Erfolg.
Umfragen besagten, dass die SVP bei den Parlamentswahlen bis auf 32 Prozent abstürzen und damit keinen Abgeordneten mehr in die Kammer entsenden könnte, denn dafür waren mindestens 40 Prozent notwendig. Nun hat sie, was einem „Wunder an Eisack und Etsch“ gleichkommt, diese mit 44,2 Stimmenprozenten nicht nur überwunden, sondern auch ihre drei Kammerkandidaten Albrecht Plangger, Daniel Alfreider – er gehört der ladinischen Minderheit an – und Renate Gebhard (allesamt Neulinge) durchgebracht. Und sie kann mit Hans Berger, Karl Zeller und dem gemeinsam mit dem linken Partito Democratico (PD) im Wahlkreis Bozen-Unterland aufgestellten Parteilosen Francesco Palermo, einem ethnischen Italiener, sogar drei Senatoren nach Rom entsenden.
Dieses Ergebnis verdankt die „Sammelpartei“ – die längst nicht mehr die Anhänger der Landeseinheit hinter sich versammelt, sich mit dem Südtirol aufgezwungenen Italianitá-Korsett abgefunden und mit den römischen Umtrieben arrangiert zu haben scheint – ihrem angstmacherisch-flehentlichen Wahlslogan: „Achtung! Autonomie in Gefahr – Autonomie schützen wählen!“ Mit diesem Slogan vermochte sie ihre Anhänger noch einmal zu mobilisieren.
Die SVP ist also diesmal mit dem sprichwörtlichen „blauen Auge“ davongekommen. Denn die Freiheitlichen, die von Ulli Mair und Pius Leitner – einst ein SVP-Mann – geführte stärkste Oppositionspartei rechts von ihr, erzielte 16 Prozent der Stimmen, hat damit ihr voriges Kammerwahl-Ergebnis nahezu verdoppelt und gegenüber der Landtagswahl 2008 noch einmal um 1,2 Prozentpunkte zugelegt, womit sie sich, als zweitstärkste Partei Südtirols, weiter im Aufwind befindet. Das lässt sie für die im Herbst stattfindende Landtagswahl hoffen, die politische Macht der noch über die absolute Mehrheit (der Sitze) im Bozener Landhaus verfügenden SVP zu brechen: Leitner spricht schon von „großer Abrechnung“.
Wenig Vorhersagekraft für Landtagswahl im Herbst
Indes feiert die SVP ihren (Pyrrhus-?)Sieg auf dünnem Eis. Denn bei Parlamentswahlen zünden Geschlossenheitsparolen – der „Feind“ im Süden, der kalte Wind aus Rom – noch immer. In der Landtagswahl am 27. Oktober zählt dies weniger. Dann dürften die Defizite der SVP, vor allem die personellen, zum Tragen kommen: Sie ist ausgelaugt, führungsschwach, von Flügelkämpfen durchgeschüttelt und durch Skandale angeschlagen.
Derlei hatte es unter Silvius Magnago, dem „Vater der Autonomie“, nie gegeben. Die Betrugsaffäre rund um die Landesenergiegesellschaft SEL belastet Landeshauptmann Luis Durnwalder, den mächtigsten Mann in der Partei, ohne den in der Südtiroler Politik seit 1989 nichts läuft. Durnwalder ist auch wegen ziemlich freihändiger Griffe in üppige Sonderfonds im Visier der Staatsanwaltschaft. Er will mit Ende der Legislaturperiode abtreten. Die Parteibasis soll demnächst auch mit Blick auf die Neuwahl des Landtags im Herbst einen Nachfolger bestimmen.
All das und anderes mehr hat das Vertrauen in die Sammelpartei der Deutsch(süd)tiroler und Ladiner demoskopisch messbar erschüttert. Schließlich weigert sich die SVP, über politische Alternativen zur angeblich „weltbesten Autonomie“ auch nur nachzudenken. Sie fühlt sich nach dem Wahlergebnis vom vergangenen Wochenende darin geradezu bestärkt. Trotz deren von Rom aus betriebener Aushöhlung propagiert sie deren Ausbau zur „Vollautonomie“. Von Silvio Berlusconi über Mario Monti bis zum Ex-Kommunisten Pierluigi Bersani ist stets die Rede davon, den Provinzen und Regionen mit Sonderstatut (Autonomie-)„Privilegien“ zu nehmen.
Und ihr Neu-Senator Palermo, den sich Parteichef Richard Theiner aufgrund seines – in der SVP umstrittenen – Wahlabkommens mit Bersanis PD quasi wie eine Laus in den Pelz setzen ließ, bekundete, die Südtirol-Autonomie sei vom „ethnischen Ballast zu befreien“. Solche Aussagen müssten eigentlich alle Warnlampen aufleuchten lassen. So wie es schon davor Montis unsägliche Einlassung getan haben sollte, wonach es sich hinsichtlich der Südtirol-Autonomie „um eine rein inneritalienische Angelegenheit“ handle. Weit gefehlt.
Stattdessen ignoriert die SVP, dass Rom nicht nur seine vertraglich verbrieften Verpflichtungen gegenüber Südtirol nicht einhält, sie nimmt offenbar auch ungerührt zur Kenntnis, dass Italien – wie die gesamte „Südschiene“ – zu den Fußkranken Europas gehört. Und Südtirol ist mit Italien selbst Teil dieses Pilzbefalls.
Schließlich: Wer 1915 die Seite wechselte, 1943 zu den Alliierten überlief – stets aus „sacro egoismo“ – auf den ist kein Verlass. Wie es in Italien politisch weitergeht, steht noch nicht fest, gleichwohl weiß man’s. Für Südtirol gilt indes für diesmal: „Alea iacta est“. Die Würfel sind gefallen. Doch das „Los von Rom“ wird stärker, folglich werden die Befürworter von Selbstbestimmungsrecht, Freistaats- oder Wiedervereinigungsidee wohl weiter Zulauf erhalten.
Herrolt vom Odenwald ist deutsch-österreichischer Historiker und Journalist