Arbeiterkammer und Abstiegsangst: Wie man eine Gesellschaft zu Wutbürgern erzieht

Neunzig Prozent der Österreicher finden generell, dass es ungerecht im Lande zugeht, die Armenzahlen würden steigen. Mit dem eigenen Leben (sehr) zufrieden sind hingegen achtzig Prozent der Menschen, fast siebzig Prozent auch in materieller Hinsicht (Kurier, 1.11.). Und laut EU wird die Armut hierzulande immer kleiner. Damit dieser eklatante Widerspruch so bleibt, impft die Arbeiterkammer (AK) die heimischen Redaktionen wöchentlich mit einer Dosis „Gift“: Danach werde es seit Jahren ungerechter, teurer und ungleicher.

In den 1920ern war die Taktik, das System so zu ändern, entsetzlich gescheitert.

  • „Noch nie so viele Arbeitslose im Pinzgau!“, lässt Siegfried Pichler von der AK Salzburg die Salzburger Nachrichten titeln. Im Kleingedruckten erfährt man von 5,3 Prozent, und dies auch nur im Oktober. In den meisten Regionen dieser Welt gelten 5 Prozent als Vollbeschäftigung – noch dazu in einer abgelegenen Gebirgsregion. Oder anders gesehen: 95 Prozent der Menschen haben gut(e) Arbeit.
  • „Kühle Zeiten am Arbeitsmarkt!“, behauptet die AK OÖ (SN, 9.11.) in ihrem Arbeitsklima-Index. Diesen erstellt das (eher SPÖ-nahe) SORA Institut u.a. auf der Basis von Internet-Eingaben auf der AK-Homepage. Das Ergebnis: Die Zufriedenheit mit Arbeitsklima, Vorgesetzten oder Karrierechancen nimmt ab. Beauftragt man hingegen unabhängige Institute wie das Market mit einer repräsentativen Umfrage (14.11.), sieht die Sache anders aus: 80 Prozent sind mit ihren Vorgesetzten zufrieden, 82 Prozent mit dem Arbeitsklima, 67 Prozent mit dem Verdienst.
  • „Die Manager haben ihre eigenen Bezüge um 13 Prozent erhöht – die ihrer Angestellten aber um 5 Prozent gekürzt!“, behauptete Wiens Arbeiterkammer (23.5.2008). Das trieb den Hass der Menschen auf Konzerne oder Manager in dunkle Höhen.?Dabei hatte die AK geschickt den Absturz osteuropäischer Währungen gegenüber dem Euro während der Finanzkrise ausgenutzt: Beim Umrechnen Hunderttausender Löhne von in Osteuropa beschäftigten Mitarbeitern österreichischer Konzerne aus den lokalen Währungen hatte dies zu niedrigeren Euro-Beträgen in heimischen Konzernbilanzen geführt. Aber niemand hatte die Löhne gekürzt – im Gegenteil!
  • „Die Manager verdienen das 48fache ihrer Mitarbeiter!“, schrie die AK damals wütend in die Welt. Auch dieser Vorwurf stand auf schwachen Beinen. Auf 1:48 kam nur, wer ukrainische Schalterbeamte mit österreichischen Vorständen verglich. Verglich man österreichische Beschäftigte mit ihren österreichischen Top-Managern, kam man nur auf 1:11.

In ihrer Gerechtigkeitskampagne schwört die AK die Österreicher auf die Ungerechtigkeit des Systems ein. „Alles“ würde teurer werden, das Leben immer schwerer und ungerechter. In Wahrheit können sich die Menschen heute aber in vielen Bereichen doppelt so viel leisten wie noch vor 30 Jahren (Gewinn 4a/12). Nie zuvor waren persönliche Freiheiten, Berufschancen oder Lebenserwartung höher.

„Kommunistische Rhetorik“: Wie in den 1920ern?

Für den Arbeiterkämmerer Pichler sind an der Finanzkrise nur Banken („irgendwelche G`fraster“) oder Spekulanten schuld, die Kleinen müssten für die Krise zahlen. Kein Wort, dass 97 Prozent von Österreichs Schulden schon vor der Krise bestanden hatten. Und dass diese auf ein marodes Pensionssystem zurückzuführen sind, deren Reform die AK schon seit Jahrzehnten zu verhindern weiß. 18 Milliarden schießt die Republik Jahr für Jahr aus Steuermitteln zu. Ohne sie hätte Österreich kein Defizit von 13 Milliarden – sondern einen Überschuss von 5 Milliarden. Und es würde sich weitere 8 Milliarden für die Zinsen sparen – denn das Land wäre komplett schuldenfrei.

Systematisch schürt die SPÖ-geführte Arbeiterkammer die Wut unserer Mitmenschen mit der immer gleichen Meta-Botschaft: „Dieses System ist ungerecht – und es muss weg!“ Weil sich eine reiche Clique auf Kosten aller Anderen bereichern würde. Österreichs Bürger sind heute aufgehetzt und hasserfüllt wie seit den 1920ern nicht mehr.

„Ich war auf dem 42. Parteitag der SPÖ und ihre Rhetorik ähnelt jener der Kommunistischen Partei in der Ukraine“, so Ukraines Botschafter Andrii Bereznyi in der „Presse“. Von einem neuen, gerechteren (und sozialistischeren) Wirtschaftssystem war auch Europas Linke in den 1920ern elektrisiert. Unendlich wütend waren die kommunistischen Hasstiraden gegen Reiche, Millionäre, Banker oder Kapitalisten gewesen.

Spiel mit der geschürten Wut

Die Situation ist heute höchst gefährlich. Das lässt Richard Nicolaus Coudenhove-Kalergis Buch „Judenhass von heute“ ahnen. Damals in den 1920ern, so der Onkel der gleichnamigen Journalistin, hätten die Rechten bald erkannt, dass sie den „Volkszorn in Form von allgemeinem Hass und Neid gegen die Reichen in einen besonderen Hass und Neid gegen die reichen Juden umlenken konnten“.

Obwohl es wie heute letztendlich die Sozialpolitiker waren, die mit der staatlichen Notenpresse Wahlen gewinnen bzw. Schuldenprobleme (nach dem Weltkrieg) lösen wollten, schob die Linke Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation Banken oder Spekulanten in die Schuhe. Die Nazis brauchten den Sündenböcken dieser Zeit dann nur mehr das nationale Element zu verleihen – und plötzlich waren es „jüdische" Banken und „jüdische" Spekulanten.

Die Linke hatte Europa aufgestachelt, um ein neues, anderes – und vor allem antikapitalistisches – System zu erzwingen. „Abkassiert“ hatten aber die Rechten, die ihre Botschaften nur mit dem Adjektiv „sozialistisch“ zu schmücken brauchten, um quasi über Nacht als Heilsbringer verstanden zu werden.

25-Punkte-Programm der NSDAP – Auszug

Viele Phrasen, mit denen Hitler das Wutbürgertum seiner Zeit zu ködern wusste, werden auch heute wieder gerne verwendet. So forderte man schon 1920:

  • Abschaffung von Arbeits- u. mühelosem Einkommen, Brechung der Zinsknechtschaft (Art. 11).
  • Verstaatlichung aller bereits vergesellschafteten Betriebe („Konzerne“) (Art. 13).
  • Gewinnbeteiligung an Großbetrieben (Art. 14).
  • Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke. Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation (Art. 17).
  • Ersatz der materialistischen Weltordnung durch deutsches Gemeinrecht (Art. 19).
  • Und generell: Gemeinnutz vor Eigennutz (Art. 24).

Mitschuld an der Wut

Die Österreicher sollen Nörgler sein? Wenn man ihnen täglich sagt, dass ihre Welt ungerechter, ungleicher und kälter würde – und dass dies nur an einer kleinen Clique läge, die sich auf Kosten „von ihnen, den 99 Prozent“ bereichern würde-, dann kann man von Glück sprechen, wenn nur genörgelt wird. Wie sich eine Gesellschaft radikalisiert, merkt man zuallererst immer an der Sprache.

Wer sich bei Wahlen durch das Schüren von Abstiegsängsten als „gerechter“ Retter zu positionieren sucht, verhält sich nicht besser als jemand, der dies mit Ausländer-Ängsten macht.

Wenn unsere Gesellschaft nicht umkehrt und den Weg von Ausgleich, Pluralität und Demokratie verfolgt, dann wird unser gesellschaftliches Gefüge immer noch labiler. Dann werden immer weitere und immer radikalere Kräfte an die Oberfläche kommen. Käme es zur Verschlimmerung der Finanzkrise – und sei es auch nur für ein, zwei Jahre – könnte das dann wieder in die Katastrophe führen.

Oder auf den Punkt gebracht: Wer in unserer aufgeheizten Stimmung Meldungen, die nur Ängste schüren sollen, unkritisch und ungeprüft publiziert, der macht sich (mit)schuldig.

Michael Hörl ist Wirtschaftspublizist aus Salzburg. In seinem aktuellen Buch „Die Gemeinwohl-Falle“ beschäftigt er sich mit den Thesen Christian Felbers, Jean Zieglers, der Arbeiterkammer und der Caritas. Zentrales Thema ist bei Hörl „die geschürte Abstiegsangst“.

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