Eine gleichzeitige Optimierung mehrerer Kriterien ist komplex und führt zu einer Vielzahl an nicht-vergleichbaren Ergebnissen. Entscheidungen hinsichtlich dieser Ergebnisse müssen dann an Hand weiterer Kriterien getroffen werden. Allerdings sind rigorose Formalismen zur Optimierung im praktischen Leben häufig nutzlos, wenn Entscheidungen rasch und daher mit begrenzter Rationalität zu treffen sind.
Peter Schuster für den Science-Blog
Jeder, der einmal in der Oberstufe eines Gymnasiums gesessen ist, hat gelernt, wie man das Maximum oder Minimum einer mathematischen Funktion bestimmt. Wie man optimiert, erscheint einem großen Teil unserer Bevölkerung – Wissenschafter miteingeschlossen – daher ein recht einfaches Unterfangen zu sein.
Wer sich mit dem Problem der Optimierung aber näher befaßt, findet sehr schnell heraus, daß die im Lehrbuch aufgezeigte Lösung nur sehr wenig mit der realen Welt zu tun hat, in welcher ja gleichzeitig Optimierungen hinsichtlich mehrerer Parameter erforderlich sind. Mit eben mit diesem Problem beschäftigt sich ein kürzlich von einer Projektgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften veröffentlichter Band [1]: „Wie erfolgt eine Optimierung im Fall mehrerer Kriterien, mehrerer Ziele und wie können wir derartige Situationen erfolgreich bewältigen?
Optimierungsprozeß unter Einbeziehung mehrerer Kriterien
Verständlicherweise führt ein Optimierungsprozeß unter Einbeziehung mehrerer Kriterien zu widersprechenden Lösungen – außer die Kriterien sind voneinander völlig unabhängig, was ja ein in der Realität höchst seltener Fall ist. Ein simples Beispiel einer derartigen Optimierung soll hier angeführt werden:
Mit einem Auto von A nach B zu fahren braucht Zeit und man benötigt Benzin. Natürlich möchte jeder so schnell wie möglich B erreichen, natürlich sollten der Benzinverbrauch und damit die Kosten minimal sein. Klar ist auch, daß jedes Auto mehr Benzin verbraucht, wenn es schneller fährt. Wir haben es hier also mit zwei Pseudo-Optima zu tun: mit der kürzesten Zeit um von A nach B zu kommen und der wirtschaftlich günstigsten Geschwindigkeit diese Strecke zurückzulegen; es muß nicht erwähnt werden, daß die beiden Optima unterschiedlich ausfallen.
Um das Beispiel Autofahren weiter zu spinnen: Jeder Autokäufer ist daran interessiert, die Produkte verschiedener Autohersteller zu vergleichen. Falls der Kunde nun alle anderen Kriterien außer Geschwindigkeit und Benzinverbrauch unberücksichtigt läßt, kann dafür ein einfaches Preis- Leistungs-Diagramm erstellt werden, das sogenannte Pareto-Effizienz aufweist; das heißt, einen Zustand angibt, in dem es nicht möglich ist, ein Kriterium zu verbessern, ohne zugleich das andere zu verschlechtern. Abbildung 1
Abbildung 1. Pareto-Set: Autofahren als Beispiel der Optimierung hinsichtlich zweier gegensätzlicher Kriteria, Geschwindigkeit und Kosten. Die inverse Geschwindindigkeit aufgetragen gegen die Fahrtkosten zeigt Pareto-effiziente Fahrzeuge (schwarze Sterne). Der rote Stern ist Pareto-ineffizient und kann hinsichtlich maximaler Geschwindigkeit und minimaler Kosten weiter optimiert werden.
In diesem Plot liegen die Produkte der meisten Autohersteller nahe dem Pareto-Optimum – einer hyperbelartigen Funktion, die quasi eine Grenze zwischen Möglichem und Unmöglichem darstellt. Jeder einzelne dieser Punkte resultiert aus den unterschiedlichen individuellen Preferenzen, beispielsweise wieviel Geld es dem Käufer wert ist, schneller zu fahren.
Ein Produkt in dieser Darstellung (mit rotem Stern gekennzeichnet) erscheint Pareto-ineffezient, d.h. seine Leistung in einem Kriterium kann gesteigert werden ohne das andere negativ zu beeinflussen – beispielsweise kann der Kraftstoffverbrauch gesenkt werden ohne negative Auswirkungen auf die maximale Geschwindigkeit zu haben und vice versa. Zwei Gerade, parallel zu den Achsen begrenzen die Kurve und beschreiben die beiden extremen Situationen: i) das schnellste Auto zu wählen unabhängig von seinen Kosten, ii) das wirtschaftlichste Auto unbhängig davon, wie langsam es dahinzottelt.
In realen Situationen sieht man sich mit wesentlich mehr als zwei Kriterien konfrontiert, zudem ist der Raum persönlicher Präferenzen mehrdimensional anzusetzen. Ein Auffinden von Lösungen für eine zwei-Kriterien Optimierung ist rechnerisch billig, vorausgesetzt, gute Daten stehen zur Verfügung. Für hochdimensionale Probleme kann der rechnerische Aufwand enorm hoch werden.
Optimierung oder knappe und schnelle Entscheidungen?
Bis jetzt haben wir einen wichtigen Faktor noch nicht berücksichtigt, nämlich die für die Optimierung benötigte Zeitdauer, die ebenfalls optimiert werden muß. Schnelle Entscheidungen sind aber im täglichen Leben definitiv wichtig: Ein Autolenker, ein Pilot, ein Steuermann auf einem Schiff – sie alle müssen momentane Entscheidungen treffen; die Zeitdauer, welche sie für eine optimale Antwort benötigen, spielt eine essentielle Rolle. Aus gutem Grund wird hier die Qualität der Antwort – sie erfolgt „knapp und schnell“ – häufig zugunsten Sicherheitsaspekten geopfert. Zwei einfache – bei Entscheidungsträgern wohlbekannte – Fälle sollen als Beispiele dienen:
Der erste Fall setzt nichts anderes voraus wie die Fähigkeit, Objekte zu beobachten. Ein Pilot sieht ein anderes Flugzeug sich nähern und fürchtet einen Zusammenstoß. Ein „knappes und schnelles“ Vorgehen ist hier einen Kratzer oder Fleck an der Windschutzscheibe anzuvisieren und zu beobachten, ob sich das entgegenkommende Flugzeug relativ dazu bewegt. Wenn dies nicht der Fall ist, ist raschestes Ausweichen unumgänglich. Der zweite Fall – auch Erkennungs-Heuristik genannt – wird von vielen Menschen unbewußt im Alltagsleben angewandt. Beispielsweise lautete eine 1-Million $ Frage in einem Fernseh-Quiz: Welche von den beiden Städten Detroit oder Milwaukee hat mehr Einwohner? Für Amerikaner erscheint die korrekte Antwort Detroit relativ leicht und wurde von zwei Drittel der undergraduate-Studenten an der Universität Chikago richtig gegeben. Als dieselbe Frage an Deutsche gerichtet wurde, war das Ergebnis aber höchst erstaunlich: es gaben praktisch alle die korrekte Antwort. Wie dies zu erklären war? Definitiv wußten die Deutschen über die Bundesstaaten Michigan und Wisconsin nicht besser Bescheid als die Amerikaner, intuitiv (unbewußt) wandten sie aber eine erfolgreiche Heuristik an: Städte mit einer höheren Einwohnerzahl sind eher bekannt als solche mit einer kleineren Einwohnerzahl. Dementsprechend hatten die Deutschen von Detroit eher gehört als von Milwaukee. Dieser Erkennungstest wurde mit vergleichbarem Erfolg auch für andere Städte angewandt, für Fußballmannschaften und einer Reihe anderer Objekte.
Lassen wir die Psychologie beiseite und kommen wir zu den Optimierungsverfahren zurück, so sehen wir zwei wesentliche Ergebnisse:
- Eine gleichzeitige Optimierung mehrerer Kriterien ist komplex und führt zu einer Vielzahl an nicht-vergleichbaren Ergebnissen. Entscheidungen hinsichtlich dieser Ergebnisse müssen dann an Hand weiterer Kriterien getroffen werden – zusätzlichen Gesichtspunkten und individuellen Präferenzen. Der rechnerische Aufwand für die entsprechenden mathematischen Formulierungen kann sehr hoch und zeitraubend sein.
- Rigorose Formalismen zur Optimierung sind im praktischen Leben häufig nutzlos, wenn Entscheidungen rasch und daher mit begrenzter Rationalität zu treffen sind. Über lange Zeit hin wurden Entscheidungen auf der Basis eines heuristischen Ratens anstelle exakter Methoden als armselige mentale Krücken betrachtet, als irrationale Illusionen [2]. Innerhalb des letzten Jahrzehnts ist ein neues Programm entstanden, welches basierend auf einer wirtschaftlichen Rationalität Instrumente zur Optimierung untersucht und entwirft und zu einem Konzept der knappen und raschen Entscheidung geführt hat [3].
Alles in allem ist ja der menschliche Geist das Produkt eines langdauernden Evolutionsprozesses, in welchem die richtigen Entscheidungen rasch und (gerade) ausreichend für das Überleben gefällt wurden.
Einzelnachweise und Links:
[1] Lucas K, Roosen P. (2010) General Aspects of Optimization in Emergence, Analysis, and Evolution of Structures (Lucas K, Roosen P. eds, Springer Heidelberg)
[2] Piattelli-Palmarini, M. Inevitable Illusions: How Mistakes of Reason Rule our Mind. Wiley: New York 1994.
[3] Goldstein, D.G., Gigerenzer, G. Models of ecological rationality: The recognition heuristic.
Psychological Review 2002, 109, 75-90.
Das Paretokriterium und Paretoverbesserungen (5,35 min)
Der Autor
Peter Schuster wird hier vorgestellt.