Unser Organismus reagiert auf ein Implantat, indem er um diesen Fremdkörper eine zarte und weiche Kapsel aus Bindegewebe aufbaut und ihn damit im umgebenden Gewebe verankert. Allerdings kann daraus in Folge einer verstärkten Körperreaktion eine exzessive, krankhafte Vermehrung und Verhärtung des Bindegewebes – eine sogenannte Fibrose - entstehen. Die Grundlagen für die Entstehung und Entwicklung derartiger Fibrosen werden hier am Beispiel der relativ häufig an Silikon-Brustimplantaten auftretenden Komplikation „Kapselfibrose“ aufgezeigt.
Georg Wick für den Science-Blog
Der Wunsch nach Schönheit und „ewiger Jugend“ hat in unserer Zeit einen Boom in der plastischen Chirurgie ausgelöst. Eine vorrangige Rolle spielt dabei die Vergrößerung der weiblichen Brust, ebenso wie deren Wiederaufbau nach Tumoroperationen. (Laut einer Statistik der American Society of Plastic Surgeons unterzogen sich im Jahr 2010 beispielsweise in den USA 296 203 Frauen einer Brustvergrößerung und 93 083 einer Brustrekonstruktion [1]; die jährliche Gesamtzahl an Brustimplantaten liegt in der westlichen Welt bei rund 3 Millionen). Patientinnen mit Silikon-Brustimplantaten entwickeln allerdings relativ häufig um das Implantat herum verdickte, verhärtete Bindegewebskapseln – sogenannte Fibrosen -, die zur Kapselkontraktur führen und neben ästhetischen Problemen auch Schmerzen bereiten.
Derartige Fibrosen finden sind nicht nur bei Brustimplantaten, sondern können sich auch um andere Silikon- (überzogene) Implantate entwickeln, wie beispielsweise um Herzschrittmacher, Cochleaimplantate, Insulinpumpen, etc. und um sogenannte passive Medizinprodukte wie Drainageschläuche, Kontaktlinsen oder Magenbänder (zur Gewichtsreduktion).
Da Brustimplantationen weltweit an großen Gruppen von Frauen ausgeführt werden, liegen hier auch die umfangreichsten epidemiologischen Studien zu Silikon-Nebenwirkungen vor. Der vorliegende Artikel beschränkt sich nur auf die durch Brustimplantate bei ansonsten gesunden Frauen ausgelöste Kapselfibrose, die aber als Paradigma für Reaktionen auf andere Typen von Silikon-Implantaten gelten kann. Im weiteren werden neue Erkenntnisse zur Entstehung dieser Fibrosen aufgezeigt und verbesserte Möglichkeiten zur Abschätzung des Risikos ihrer Entstehung und zur frühzeitigen Diagnose. Zur besseren Verständlichkeit dieses pathogenen Prozesses erfolgt einleitend eine kurze Charakterisierung des Bindegewebes, aus welchem heraus sich Fibrosen entwickeln und eine vereinfachte allgemeine Beschreibung von Fibrosen.
Was ist Bindegewebe?
Bindegewebe ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedlichste, überall im Organismus anzutreffende Gewebetypen, welche die Zellzwischenräume – das sogenannte Interstitium - bilden.
Bindegewebe bestehen aus einem dichten fachwerkartigen Maschenwerk von Proteinfasern, der extrazellulären Matrix, die in eine dem Serum vergleichbare Flüssigkeit eingebettet ist. In dieser Matrix finden sich in lockerem Verband Gewebszellen – sogenannte Fibroblasten –, welche u.a. die kollagenen und nicht-kollagenen Matrixproteine aufbauen. Im Bindegewebe verlaufen auch Nervenbahnen, Blutkapillaren und Lymphgefäße. Sauerstoff und Nährstoffe, welche aus den Blutgefässen austreten versorgen die umliegenden Zellen, metabolische Produkte werden in Blut- und Lymphkapillaren abtransportiert. Neben den Fibroblasten finden sich im Bindegewebe mobile Zellen, wie u.a. Fresszellen – Makrophagen – und Mastzellen, welche essentielle Rollen in der körpereigenen Abwehr spielen und dem angeborenen („innate“) Immunsystem zuzurechnen sind. Eine stark vereinfachte Darstellung des Bindegewebes ist in Abbildung 1 gegeben.
Abbildung 1. Schematische Darstellung eines Bindegewebes. Den Raum zwischen den Epithelzellen eines Organs (Interstitium) nimmt die extrazelluläre Matrix ein, ein Maschenwerk aus Proteinfasern (Kollagen-, Elastinfasern,...), das, eingebettet in eine viskose, wässrige Flüssigkeit, Organen ihre Form und Festigkeit verleiht. Die Gewebeflüsssigkeit ist zusammengesetzt aus stark quellenden Glykoproteinen, Komponenten des Plasmas, die aus den Blutkapillaren austreten und sezernierten Produkten (Metaboliten, Hormonen, Kofaktoren, etc.) benachbarter Zellen. In die Matrix eingelagerte Fibroblasten sind für den Aufbau der kollagenen und nicht-kollagenen extrazellulären Matrix verantwortlich. Zellen des Immunsystems schützen vor Fremdkörpern, Infektionen (Bild: modifiziert nach Wikipedia)
Was sind Fibrosen?
Unter Fibrose versteht man eine krankhafte, exzessive Bildung der extrazellulären Matrix des Bindegewebes, die auf einer unkontrollierten Vermehrung und Aktivierung der Fibroblasten basiert. Der Umbau zu fibrotischem Gewebe kann in praktisch allen Organen auftreten (von Lungenfibrosen, Leberzirrhose bis hin zur Fibrose der arteriellen Innenwand, der Arteriosklerose), zur Einschränkung bis hin zum Verlust der Funktion betroffener Organe führen und stellt damit ein enormes globales Gesundheitsproblem dar. Rund 45 % aller Todesfälle sind durch Fibrosen verursacht. Dementsprechend finden sich zum Thema „fibrosis“ in der größten textbasierten biomedizinischen Datenbank PubMed (www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed) seit 1974 rund 153 000 Veröffentlichungen. Dennoch sind erstaunlicherweise die Prozesse, welche Fibrosen auslösen und deren Pathogenese im Detail noch zu klären, ebenso sind Diagnose und Therapie von Fibrosen noch unbefriedigend.
Fibrosen können spontan, ohne feststellbare Ursache entstehen, häufiger entwickeln sie sich jedoch in Folge verschiedenster pathologischer Bedingungen: Entzündungsprozesse (verursacht durch Infektionen, Autoimmunreaktionen, etc.), Gewebsschädigung/-zerstörung (infolge von Trauma, Chemikalien, Verbrennungen, postoperativen Narben, Leberzirrhose, etc.), Tumore oder Kontakt mit Fremdmaterial (beispielsweise Silikonimplantate) können Fibrosen auslösen.
Unabhängig davon, durch welche der diversen pathologischen Situationen eine Fibrose ausgelöst und perpetuiert wurde, entwickeln sich Fibrosen
- in ihrem weiteren Verlauf völlig stereotypisch und
- sind immer gekennzeichnet durch entzündlich-immunologische Merkmale:
Als Abwehr- und Reparaturmechanismus des Bindegewebes findet um die Blutgefäße herum eine Infiltration mit Zellen des Immunsystems (Monozyten, Lymphozyten) statt, welche vorerst sowohl pro- als auch anti-entzündliche sowie pro- und antifibrotische Botenstoffe (Zytokine) produzieren und die Normalisierung des Gewebes bewirken können. In der Folge kann es aber zu einem Ungleichgewicht der Botenstoffproduktion in Richtung pro-entzündlicher und pro-fibrotischer Mediatoren kommen, die zu einer Vermehrung von Fibroblasten und zu deren verstärkter Ablagerung von kollagenen sowie nicht-kollagenen extrazellulären Matrixproteinen führt. Die Population dieser Fibroblasten (sogenannter Myofibroblasten)ist dabei stark heterogen und unterscheidet sich von der in gesundem Gewebe durch Entstehung, Eigenschaften und Profil der produzierten Botenstoffe.
Wodurch der Abwehrmechanismus ursprünglich in Gang gesetzt wurde, ist in den meisten Fällen noch ungeklärt. Diesbezügliche, einander nicht ausschließende Hypothesen reichen von Infektionen, Reaktionen des Immunsystems gegen veränderte Proteinstrukturen („altered self“), Überproduktion von reaktivem Sauerstoff bis hin zu mechanischem Streß.
Abbildung 2. fasst in vereinfachter Weise Ursachen und Entwicklung von Fibrosen zusammen.
Abbildung 2. Ursachen und Entwicklung von Fibrosen. Beschreibung: siehe Text. (Bild: modifiziert nach Wick et al., 2010)
Silikon-Implantate
Das Polymer Silikon (Polydimethylsiloxan) ist auf Grund seiner hervorragenden Materialeigenschaften und einer relativ hohen Bioverträglichkeit seit Jahrzehnten das weltweit am häufigsten verwendete Fremdmaterial für medizinische Produkte, darunter auch für Implantate. Entsprechend den behördlichen Auflagen für die Zulassung medizinischer Produkte müssen Silikonimplantate eingehend geprüft werden, in Untersuchungen, die über eine physikalisch-chemische Charakterisierung und Feststellung der mechanischen und biologischen Stabilität ein breites Spektrum an biologischen Studien - in sowohl präklinischen, als auch klinischen Anordnungen - zur Verträglichkeit und Toxizität einschließen. Dennoch erzeugen Silikon-Implantate bei zahlreichen Patienten schädigende Nebenwirkungen.
Ein Silikon-Brustimplantat besteht aus einer äußeren Schale, gebildet aus hochvernetztem Polymer Silikon, die (zumeist) mit einem Gel, einer Lösung von wenig-vernetztem Silikon oder mit einer physiologischen Kochsalzlösung gefüllt ist. Um dieses, wie auch um alle anderen Implantate bildet sich eine körpereigene Hülle aus einer zarten dünnen Schicht von Bindegewebe – diese ist nicht spürbar und „verankert“ das Implantat in dem umgebenden Gewebe. Häufig kommt es dann aber zur exzessiven Bildung von Bindegewebe um das Implantat herum, zur sogenannten Kapselfibrose, die eine Verhärtung und Kontraktion der Kapsel hervorruft (Abbildung 3).
Abbildung 3. Silikonbrustimplantate. Von links nach rechts: vor der Implantation, Entwicklung der Kapselfibrose um das Implantat bis hin zur Kapselkontraktion und verkalktem Implantat, darunter Patientin mit Kapselfibrose.
Wie ensteht die Kapselfibrose?
Unser Team hat die zelluläre und molekulare Zusammensetzung operativ entfernter, fibrotischer Kapseln analysiert und die aus den Befunden resultierenden Hypothesen durch in vitro und in vivo Modelluntersuchungen untermauert. In den fibrotischen Kapseln fanden sich reichlich Zellen des Immunsystems (T-Lymphozyten, Makrophagen, dendritische Zellen, einige B-Lymphozyten) und es zeigte sich klar, daß immunologische Prozesse eine primäre Rolle in der Pathogenese der Fibrosen spielen, deren Ablauf stark vereinfacht etwa so beschrieben werden kann [2, 3]:
Primär lagern sich auf der Oberfläche des Silikonimplantats Proteine aus Serum und Wundbettflüssigkeit an. Ein derartiger Proteinfilm entsteht bereits unmittelbar nach der Implantation, sein Ausmaß nimmt mit zunehmendem Alter des Implantats zu.
Es zeigte sich, dass die Proteine an der Silikonoberfläche quasi als Klebstoff wirken, an den sich dann Fibroblasten, Fresszellen (Makrophagen) und Proteine der extrazellulären Matrix anheften. Die Proteine an der Silikonoberfläche weisen zum Teil biochemische Veränderungen auf und/oder präsentieren Strukturbereiche, welche ansonsten im Innern des Protein verborgen sind („kryptische Strukturen“): diese, als fremd angesehenen Strukturen werden von den Makrophagen aufgenommen (phagozytiert) und bewirken deren Aktivierung. Eine Aktivierung der Makrophagen kann auch durch aufgenommene Silikon-Fragmente erfolgen.
Die Komponenten des Proteinfilms konnten diversen Proteinklassen zugeordnet werden - es dominieren Proteine der extrazellulären Matrix, weiters Proteine, welche direkt in die Immunantwort involviert sind, Transportproteine, Proteine, die als Antwort auf Stress gebildet werden, u.a.m. Von besonderer Bedeutung erscheint die vermehrte Ausschüttung des Stressproteins HSP60 (Hitzeschockprotein 60). Dieses Protein wird auch in anderen fibrotischen Erkrankungen, wie beispielsweise der Arteriosklerose, als Antwort auf zellulären Stress an der Zelloberfläche exprimiert, lockt dort als Trigger T-Lymphozyten an und löst die Immunreaktion in der innersten Schicht der Aorta aus.
Aktivierte Lymphozyten in der Kapsel und Makrophagen induzieren dann die Transformation von Fibroblasten in Typen, die mit verstärkter Synthese von Matrixproteinen den Umbau in fibrotisches Gewebe bewirken.
Ausblick
Zweifellos stellt die frühe Identifizierung und Eliminierung – oder zumindest Kontrolle - des auslösenden Faktors einer Fibrose den besten Ansatz zu deren Behandlung dar. Unsere Untersuchungen zur Kapselfibrose beschäftigen mit der Aufklärung der Prozesse, die den entzündlich-immunologischen Reaktionen zugrunde liegen, ebenso wie mit der Identifizierung molekularer Marker, die eine frühzeitige Diagnose der Fibrose ermöglichen und die Effizienz einer Therapie verfolgen lassen.
Basierend auf der Analyse der an Silikonoberflächen anhaftenden Serumproteine wurde ein neues Testsystem – SILISAR - entwickelt, das es erlaubt, das individuelle Adhäsionsmuster (die „Signatur“) dieser Proteine zu bestimmen. Da diese Signatur sich bei Patientinnen mit fibrotischen Komplikationen signifikant von jenem bei Patientinnen ohne derartige Nebenwirkungen unterschied, kann der Test u.a. zur Abschätzung des Risikos von Komplikationen vor der Einsetzung unterschiedlicher Silikonimplantate herangezogen werden. Zusammen mit einem molekularbiologisch bestimmbaren Marker zur Erkennung früher Fibrosestadien, kann SILISAR auch zur regelmäßigen Kontrolle von Implantat-Trägerinnen und damit zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung von fibrotischen Komplikationen eingesetzt werden. Schließlich kann mittels der Tests dazu dienen, dass verträglichere Silikon-implantate (nicht nur zur Brustvergrößerung) entwickelt werden.
Diese Tests sollten zweifellos zu einer Verbesserung der gegenwärtigen Situation bei Brustimplantaten führen, die am besten mit der 2011 erfolgten Feststellung der amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) aufgezeigt wird [1]:
„Erkennen Sie, dass Brustimplantate keine lebenslang haltbaren Produkte darstellen. Beachten Sie, dass Brustimplantate mit erheblichen lokalen Komplikationen assoziiert sind. Je länger Sie Implantate haben, desto wahrscheinlicher wird es notwendig diese entfernen zu müssen.... Lokale Komplikationen und unerwünschte Nebenwirkungen inkludieren Kapselkontraktion, Umoperieren, Entfernung und Reissen des Implantats. Viele Frauen erleiden auch Schmerzen, Faltenbildung , Asymmetrie, Narbenbildung und Infektionen.“
Einzelnachweise und Quellen:
[1] FDA Update on the Safety of Silicone Gel-Filled Breast Implants, June 2011
[2] G.Wick et al., (2009) The immunology of fibrosis: innate and adaptive responses. Trends in Immunology 31: 110-119
[3] Backovic, A. et al. (2007) Identification and dynamics of proteins adhering to the surface of medical silicones in vivo and in vitro. J.Proteome Res. 6, 376–381
Weiterführende links:
Fibrosen: Laboratory of Autoimmunity (Georg Wick)
Was versteht man unter Kapselfibrose und was kann man dagegen tun? 2:12 min
Bindegewebe (Connective Tissue): The Basics 13 min, Englisch
Connective Tissue Lecture 6:21 min, Englisch
Der Autor
Georg Wick wird hier vorgestellt.