Buchempfehlung: Die Ethik der Umverteilung

Frankreich war und ist kein Hort des Liberalismus. Die Zahl der liberalen französischen Denker und Autoren – insbesondere solcher des 20. Jahrhunderts – ist klein. Einer von ihnen ist der 1903 in Paris geborene Ökonom und Philosoph Bertrand de Jouvenel. Er ist im deutschen Sprachraum nahezu unbekannt, dennoch hochinteressant.

Mehr als 20 Jahre nach der englischsprachigen Ersterscheinung liegt seine Auseinandersetzung mit der Frage einer „distributiven Gerechtigkeit“ nun auch in deutscher Sprache vor. Hardy Buillon trifft in seinem Vorwort den Nagel auf den Kopf: Er stellt fest, dass es in dem aus zwei Vorlesungen resultierenden Buch nicht so sehr um die Ethik, sondern eher um die Ökonomie der Umverteilung geht.

De Jouvenel wählt das Beispiel Großbritanniens, um Absichten, Kosten und Konsequenzen redistributiver Maßnahmen zu untersuchen. Vater des Gedankens ist der Wunsch, Gerechtigkeit durch Ergebnisgleichheit herzustellen. De Jouvenel: „Die sozialistische Lösung besteht nun in der Zerstörung des Privateigentums an sich.“ Denn ohne einen „neuen Menschen“ hervorzubringen, der nicht von Eigennutz getrieben wird, sondern „der sein Entzücken in der Wohlfahrt seiner Brüder findet“, ist die Erreichung dieses Ziel unwahrscheinlich.

Der Autor deckt den Widerspruch auf, der sich zwischen dem Wunsch ergibt, eine Verbesserung der materiellen Lebensumstände für die breite Masse herbeizuführen, und der zu diesem Zweck vorgenommenen Belastung der Bezieher höherer Einkommen. Die Schaffung negativer Anreize für die Letztgenannten führt nämlich zu einer Verringerung des Gesamtausstoßes der Volkswirtschaft. Das steht dem angestrebten Ziel offenkundig entgegen. „Gerechtigkeit“ durch Gleichmacherei herstellen zu wollen, bedeutet demnach, „anstatt mit unterschiedlich großen Löffeln aus einer großen Schüssel, mit gleich großen Löffeln aus einer kleinen Schüssel zu essen.“

De Jouvenel hält die moderne Gewohnheit für problematisch, „all das als „gerecht“ zu bezeichnen, was emotional für wünschenswert gehalten wird.“ Eine egalitäre Einkommensverteilung zu erzwingen bildet da keine Ausnahme. Wünschenswert erscheint es den Sozialreformern, sowohl Unter- als auch Obergrenzen für ein „gerechtes“ Einkommen zu definieren und politisch durchzusetzen.

In seiner Analyse dieser Forderung und der daraus resultierenden Maßnahmen kommt der Autor zum ernüchternden Schluss, dass es mit einer simplen Umverteilung von Einkommensspitzen zu den „Ärmsten“ nicht getan ist. Die auf diese Weise disponiblen Beträge reichen nämlich bei weitem nicht aus, um dieses Ziel zu verwirklichen. Es bedarf daher massiver zusätzlicher Griffe in die Brieftaschen der Angehörigen der Mittelschicht, was vom Ziel einer vertikalen Umverteilung wegführt.

Den Reichen durch ein am Ziel der Redistribution orientiertes Steuersystem ihre Möglichkeiten zu „exzessivem Konsum“ zu entziehen, bedeutet zudem Hemmnisse im Hinblick auf die Entwicklung und Herstellung von gesellschaftlich wünschenswerten Gütern und Dienstleistungen. So wären zum Beispiel Kulturschaffende davon massiv betroffen. Der Staat müsste vom Ziel distributiver Gerechtigkeit wieder abweichen, um direkte Zuwendungen an bestimmte Gruppen verteilen zu können.

Der Umstand, dass der Luxuskonsum der Reichen die Voraussetzungen für eine später folgende Massenproduktion bestimmter Güter schafft, die dann auch den unteren Einkommensklassen zugänglich werden (man denke etwa an Telefone, Autos, Fernsehgeräte oder Computer), darf keinesfalls übersehen werden.

Das gerne vorgebrachte Argument, „ein wenig mehr“ für die Armen wäre ungleich bedeutsamer und wichtiger als „etwas weniger“ für die Reichen, ist nicht zu halten. Nutzen und „Disnutzen" können nämlich unmöglich objektiv bewertet, addiert und saldiert werden.

Ein ganz besonders schwerwiegender Effekt der Belastung der Reichen besteht darin, dass deren durch progressive Steuern reduzierten Möglichkeiten, Investitionen vorzunehmen, nunmehr vom Staat ausgeglichen werden müssen. De Jouvenel erkennt folglich, dass „… Umverteilung in Wahrheit weniger eine Umverteilung von freiem Einkommen von den Reicheren zu den Ärmeren bedeutet (…) sondern eine Umverteilung von Macht, weg von den Individuen und hin zum Staat.“ Eine hoheitlich erzwungene Einkommensumverteilung verbindet sich notwenig und zwingend mit kaum zu kontrollierendem Staatswachstum und ist daher aus liberaler Sicht grundsätzlich abzulehnen.

De Jouvenel ist ein Anwalt des klassisch-liberalen Minimalstaates. Um es mit den Worten des Herausgebers Gerd Habermann zu sagen, der eine zusammenfassende Würdigung des Gesamtwerks vornimmt: „Sein Ideal fordert den Verzicht auf den Ehrgeiz, eine Gesellschaft nach dem Modell „sozialer Gerechtigkeit“ oder einer anderen Sozialutopie formen zu wollen.“

Das Buch bietet in Zeiten des ungebremsten Gleichheitswahns eine zugleich wohltuende und hochinformative Lektüre.

Bertrand de Jouvenel
Die Ethik der Umverteilung
Verlag Olzog, 2012
143 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-7892-8100-6
€ 24,90,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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