Die rasanten Fortschritte in der Molekularbiologie, Genetik und Biotechnologie haben die Biologie zu einer Leitwissenschaft des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts gemacht. Auf dieser aufbauend ist in den letzten Jahren die Synthetische Biologie entstanden, welche als Anwendung der Prinzipien von Ingenieurswissenschaften auf die Biologie zu verstehen ist. Dieses interdisziplinäre Fachgebiet birgt ein beispielloses Potential an Einsatzmöglichkeiten, nicht nur zur Erfüllung dringender Bedürfnisse unserer Gesellschaften, sondern auch zur Enträtselung fundamentaler Fragen in der Beschreibung der Biosphäre. Vergleichbar mit den an Künstler gestellten Anforderungen, verlangt die Synthetische Biologie von ihren Forschern vor allem Kreativität und Gestaltungskraft.
Uwe Sleytr für den Science-Blog
Was versteht man unter Synthetischer Biologie?
Synthetische Biologie ist vor allem ein interdisziplinäres Fachgebiet, das eine enge Zusammenarbeit von Biologen, Chemikern, Physikern, Materialwissenschaftern, Ingenieuren und Informationstechnikern voraussetzt. Unterschiedliche weitere Definitionen hängen von dem jeweiligen Fachgebiet ab, aus dem die Antwort kommt.
Auf eine kurze Formel gebracht, beschäftigt sich die Synthetische Biologie
- Mit dem Nachbau und der Manipulation von natürlichen biologischen Systeme (Biomimetik) in Hinblick auf nutzbringende Anwendungen
- Mit dem Design von Strukturen, Systemen und Prozessen, die in der Natur nicht vorkommen
- Mit dem Ziel „Leben“ zu erzeugen um vor allem die biologischen Voraussetzungen für lebende Materie zu verstehen, aber auch um hocheffiziente zelluläre Fabriken zu konstruieren
Das Design komplexer Systeme erfolgt dabei auf der Basis modularer biologischer Bausteine (Biobricks), welche – vergleichbar mit LEGO-Bausteinen - zusammengesetzt werden können. Derartige Biobricks können beispielsweise natürlich vorkommende Stoffwechselwege und Signalkaskaden sein, aber auch künstlich hergestellte Module mit erwünschten neuen Funktionen.
Anwendungen der Synthetischen Biologie
Baukästen mit standardisierten Biobricks, die unterschiedlich kombinierbar sind (mix and match), versprechen ein gigantisches Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten. Zelluläre Fabriken, welche imstande sind dringende Bedürfnisse unserer Gesellschaften abzudecken, können eine neue industrielle Revolution auslösen.
Abbildung 1 gibt einen groben Überblick über wesentliche z.T. bereits erfolgreich erprobte Anwendungsgebiete der Synthetischen Biologie zur Herstellung von Biomaterialien, Biokraftstoffen, Biosensoren, Arzneimitteln und Produkten der Nanobiotechnologie.
Beispielsweise
- Lassen sich Biokraftstoffe der 2.ten Generation durch geeignete Mikrobenkulturen kostengünstig aus Abfall-Biomasse erzeugen, kann Photosynthese aus rein chemischen Ausgangsstoffen nachgebaut werden
- Können (toxische) Stoffe in der Umwelt mittels hochempfindlicher und selektiver Biosensoren detektiert werden (z.B. Arsen mittels des Arsenic Biosensor, iGEM 2006, Edinburgh Team)
- Können Arzneimittel mit Hilfe von zellulären Fabriken hergestellt werden: z.B. Artemisinin – ein hochwirksames Arzneimittel gegen Malaria. Artemisinin, das in zu kleinen Ausbeuten aus einem Beifuß-Gewächs isoliert wird, wird bereits effizient und kostengünstiger in einen Bakterien (Escherichia coli) Stamm produziert, in den der komplette Stoffwechselweg der Artemisinin Synthese eingeschleust wurde.
Abbildung 1. Anwendungsgebiete der Synthetischen Biologie. Synthetische Biologie umfaßt die Anwendungen: Protein Engineering = Design und Manipulation von Proteinen, Gentechnik = gezielte Eingriffe in das Erbgut, Gewebe Engineering = künstliche Herstellung von Gewebe durch Zellkultivierung, Metabolic Engineering: Optimieren von zellulären Prozessabläufen
Synthetische Biologie – künstliches Leben
Ein Großteil der Erfolge in der Synthetischen Biologie ist bis jetzt im „top-down“ Verfahren erhalten worden, das heißt man ging von einem bereits existierenden lebenden System aus, welches dann für die gewünschte Anwendung entsprechend manipuliert wurde. Als „top-down“ Prozedur ist beispielsweise auch die 2007 von der Gruppe um Craig Venter publizierte und als „Erzeugung künstlichen Lebens“ gefeierte, sensationelle Transplantation eines kompletten Genoms eines Bakteriums in ein anderes Bakterium zu sehen, welches die Umwandlung der ursprünglichen Spezies zur Folge hatte (Science 2007, 317:632-8).
Gegenwärtig laufen in vielen Labors Versuche mittels Synthetischer Biologie organisches Leben aus unbelebten Bausteinen in „bottom-up“ Ansätzen zu designen. Die dazu angewandten Strategien gehen von einem Minimalorganismus aus, d.h. die Komplexität einer Zelle hinsichtlich ihrer Gene, Stoffwechselwege und Signalketten ist auf ein Mindestmaß beschränkt. Derartige sogenannte „Protozellen“ werden unter Verwendung von aus natürlichen Biomolekülen bestehenden Biobricks konstruiert. (Zum Thema der Protocells siehe auch: http://www.science-blog.at/2012/02/zum-ursprung-des-lebensbr-konzepte-und-diskussionen/) Ebenso gibt es auch „xenobiologische“ Ansätze, in welchen veränderte biochemische Strukturen (z.B. der DNA) eingesetzt werden, die zu einer „parallel-biologischen Welt“ führen sollen.
Es ist klar, daß „top-down“ und „bottom-up“ Strategien sich in der Folge mehr und mehr mischen werden um die Komplexität der Systeme adäquat behandeln zu können.
Synthetische Biologie und ihr Eingriff in den Evolutionsprozeß
Die Synthetische Biologie eröffnet den „Ingenieuren der Biologie“ die Möglichkeit bereits in absehbarer Zeit neue Arten von Lebewesen zu konstruieren. Natürlich liegt die Kreation von neuen Tierarten noch in ferner Zukunft und als ultimativer Schritt die Schaffung eines „Geschöpfs“, das als nächste Evolutionsstufe des Menschen gesehen werden könnte. Also, gleichsam eine Extrapolation unserer Existenzform in die Zukunft.
Die Utopie, daß der Mensch in einem bisher nicht erahnbaren Ausmaß in die Evolution eingreifen kann, ist damit zur plausiblen Wahrscheinlichkeit geworden. Das Design neuer Spezies führt ja über deren (zumindest in natürlichen Organismen zwangsläufig immer fehlerhafter) Reproduktion zu deren Evolution Während allerdings über Fossilienfunde eine immer genauere Rekonstruktion der Wege der Evolution zu den heute existierenden Lebensformen, einschließlich des Menschen in seiner gegenwärtigen Ausprägung möglich wird, ist eine seriöse Vorhersage der weiteren Entwicklung des Lebens nicht einmal ansatzweise möglich.
Wir Menschen von heute betrachten die Primaten mit einer Distanz, mit der die von uns ableitbaren späteren Evolutionsstufen uns betrachten werden. Ich kann einen Primaten bezüglich seines Abstraktionsvermögens nicht über eine gewisse „Grenze der Erkenntnis“ bringen oder fördern. Einem Schimpansen ist beispielsweise die Quantenphysik und die moderne Kosmologie nicht zu vermitteln. Ähnlich sollte es einem Menschen ergehen, der in eine Zeit verschoben wird, in der die nächste (höhere?) Stufe der Evolution – mit oder ohne Synthetische Biologie - stattgefunden hat. „Instinkt“, „abstraktes Denken“ – was kommt als nächstes? Wir können dafür so wenig einen Begriff bilden, wie der Schimpanse eben keinen Zugang zu Mathematik, Physik und Kosmologie hat und benötigt – wie sie möglicherweise auch der Neandertaler nur in eingeschränktem Maße hatte..
Auf dem Weg in das von Menschen geschaffene Neuland ist natürlich eine kritische Abwägung gesellschaftlicher und ethischer Fragen und Risiken unabdingbar, welche mit einem derartigen Eingriff ins „Naturgeschehen“ angedacht werden können. Hier ist aber auch die Phantasie des Wissenschafters gefordert, der mit Hilfe einer Visualisierung des Wandels die Gesellschaft auf zu erwartende Veränderungen vorbereitet und dafür zu sensibilisieren versucht. Mit dem Versuch Anschaulichkeit zu gestalten dringt der Wissenschafter in einen Bereich vor, der zumeist nur Künstlern vorbehalten bleibt.
Synthetische Biologie und Evolution - Versuch einer Visualisierung
In dem Bestreben, das durch die Synthetische Biologie geschaffene Paradigma künstlerisch aufzuarbeiten, entstanden morphologisch vielfältige Skulpturen. Symbolisch für die uns nicht vorhersehbare Weiterentwicklung des Menschen, habe ich in den Skulpturen die Sinnesorgane - beispielsweise die Augen, Nasen - vervielfacht sowie Skelettkomponenten und Schädeldimensionen verändert. Dies auch vor dem Hintergrund, daß sich die ästhetische Beurteilung von Morphologien, die eine natürliche aber auch eine vom Menschen beeinflußte Evolution hervorbringen kann, völlig von den heutigen Auffassungen und Beurteilungen abkoppeln wird. Ein Beispiel einer derartigen Skulptur ist in Abbildung 2 wiedergegeben
Abbildung 2. Uwe Sleytr: „Erweiterung des Wissens“ aus dem Zyklus Evolution. Schütttechnik: Fritz Simak; Foto mittels hochauflösender Digitalkamera. Beschreibung: siehe Text. (Vergoldete Skulptur aus gebranntem Ton. Künstlerische Gestaltung des Gebäudes Muthgasse III / VIBT (Vienna Institute of BioTechnology))
Die unvorhersehbare morphologische Vielfalt und die Möglichkeiten, die aus der Synthetischen Biologie erwachsen, habe ich versucht durch die Wechselwirkung der statischen Skulpturen mit dem Medium Wasser zu reflektieren. Weiters sollen diese Darstellungen die mit der Synthetischen Biologie assoziierte explosionsartige Zunahme, Verfügbarkeit und Verbreitung des Wissens symbolisieren. Abbildungen 2, 3.
Abbildung 3. Uwe Sleytr: „Erweiterung des Wissens“ aus dem Zyklus Evolution Schütttechnik: Fritz Simak Foto: mittels hochauflösender Digitalkamera. Beschreibung: siehe Text. (Vergoldete Skulptur aus gebranntem Ton; künstlerische Gestaltung des Gebäudes Muthgasse III / VIBT (Vienna Institute of BioTechnology))
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Die Statik und morphologische Differenzierung der Skulpturen entsprechen dabei nur Momentaufnahmen von Entwicklungsstufen in einer hypothetischen durch die Synthetische Biologie geschaffenen Lebenswelt. Ab einem bestimmten Entwicklungsstadium bleibt uns diese auf Grund unserer intellektuellen Limitierung für immer unvorstellbar und somit auch unzugänglich.
Wenn auch auf inadequate Weise kann nur mit den Mitteln der Kunst versucht werden, die Sprachlosigkeit zu überwinden, die uns beim Denken über das Unvorstellbare befällt.
Anmerkungen der Redaktion
Weiterführende links
„Synthetische Biologie, Ein neuer Weg der Evolution“ Uwe Sleytr, Video (3:25 min.)
Diese site enthält auch viele andere Videos vom „Synthetic Biology Science, Art and Film Festival“ Wien, 13-14.Mai 2011
“Konkurrenz für Gott” J.Grolle. Der Spiegel 1:110-19, 2010
„Synthetische Biologie. Leben – Kunst“ Internationale Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 8 – 9.12.2011: Mediathek, mehrere Vorträge.
V. Rouilly (Imperial Coll. London, Bioengineering Dept): “Introduction to Synthetic Biology“ (PDF; 53 slides)
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Der Autor
Uwe Sleytr wird hier etwas näher vorgestellt.
Erratum
Aus dem Künstler Fritz Simak hatten wir irrtümlich in den Bildunterschriften zu Abbildungen 2 und 3 zuerst einen Franz Simak gemacht. Für den mittlerweile korrigierten Fehler bitten wir um Entschuldigung.