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Das Ende des Wohlfahrtsstaates

Die Europäer hatten jahrzehntelang geglaubt, auf ihn als historischen Fortschritt stolz sein zu können. Dieser Glaube war aber ein Irrglaube, weil dieser Fortschritt, nämlich der Wohlfahrtsstaat, leider nicht nachhaltig funktioniert. Und schon gar nicht, wenn er ständig weiterwuchern will.

Das ist nicht das Verlangen nach mehr Herzlosigkeit (was ja sofort jeder Kritik am Wohlfahrtssystem von dessen Profiteuren entgegengeschleudert wird). Es geht vielmehr um die unvermeidlichen Konsequenzen aus zwei Erkenntnissen: erstens, dass jedes System ständig an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst werden muss, will es überleben; und zweitens, dass jeder Systemeingriff ein System an viel mehr Stellen ändert, als man eigentlich geglaubt hat.

Konkret: Wenn der Staat Menschen durch großzügige Unterstützung aus Armut befreien will, dann führt das unweigerlich, wenn auch völlig unbeabsichtigt dazu, dass viel mehr Menschen als vorher versuchen, in die Kategorie der "Armen" zu geraten, nur um an diese Unterstützungen zu geraten. Dass sie sich weniger intensiv um Arbeit bemühen. Dass sie Überstunden oder Wechsel von Teilzeit in Vollzeit ablehnen. Dass sie nur noch illegal, "schwarz" arbeiten. Dass sie dorthin migrieren, wo die Hilfe am üppigsten ist. Dass sie die individuellen oder familiären Bildungsanstrengungen reduzieren, die früher die einzige Strategie zum Ausbruch aus der Armut gewesen sind (Armut ist ja vor den großen Fortschritten von Wissenschaft, Technik und globaler Marktwirtschaft die Conditio humana für den Großteil der Menschheit gewesen ist).

Begonnen mit einschneidenden Reformen des Wohlfahrtssystems haben in Europa Margaret Thatcher in Großbritannien und Gerhard Schröder in Deutschland (Agenda 2010). Beide haben gegen gewaltige Widerstände jene Reformen durchgesetzt, welche die beiden Länder aus einer langen schweren Krise heraus dauerhaft auf die Überholspur gebracht haben. Welche allen Bürgern geholfen haben, nicht nur, wie von Kritikern behauptet, ein paar Superreichen.

Heute finden sich solche Denkansätze vielerorts. Freilich hat die intensive Staatsfinanzierung durch das Gelddrucken der EZB dazu geführt, dass sie im Euroraum oft bloße Theorie geblieben sind. Es geht ja scheinbar auch so ...

Dennoch wird die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform des Wohlfahrtssystems heute auch dort angesprochen, wo man es am wenigsten erwartet hätte, etwa bei den sogenannten Links- und Rechtspopulisten. So peilt in Italien der Spitzenkandidat der erfolgreichen Fünf-Sterne-Bewegung, Di Maio, entgegen früheren Parolen ausdrücklich das Anti-Wohlfahrtssystem "Flexsecurity" an, das Arbeitslose möglichst rasch wieder in Jobs bringen will. "Wir wollen keineswegs den Leuten Geld geben, um nichts zu tun."

Genau dasselbe Ziel hat der ungarische Regierungschef Orban unlängst mit einem englischen Wortspiel umschrieben: Er wolle "Workfare" statt "Welfare". Das bedeutet extrem niedrige Steuern, aber auch extrem niedrige Daueralimentierung von Nichtarbeitenden in Ungarn.

Europaweit ist eine Bewegung in Gang gekommen, die sich auch die neue Wiener Regierung gut anschauen sollte – statt etwa einfach zu sagen, wir rühren das Pensionsantrittsalter nicht ein. Obwohl dieses das weitaus größte schwarze Loch im österreichischen Wohlfahrtssystem ist.

Ich schreibe in jeder Nummer der Finanz- und Wirtschafts-Wochenzeitung "Börsen-Kurier" die Kolumne "Unterbergers Wochenschau".

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