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Die Freiheitlichen haben einst mit solchen Unsitten angefangen. Dann haben andere Parteien sie übernommen. Jetzt ist es vor allem die SPÖ, die das Instrument einsetzt. Das Absurde: Die gleichen Politiker beschweren sich anderntags, wie sehr das Ansehen der Politik und des Parlaments abgenommen hat. Dabei sind es sie selber, die Hauptschuld daran tragen.
Fast in jeder Parlamentssitzung ist es zu sehen: Auf Kommando halten alle Abgeordneten einer Fraktion Tafeln oder auch große Demonstrations-Transparente hoch, auf denen ein politischer Slogan steht. Das scheint auf den ersten Blick harmlos, zumindest wenn man mit den Parlamenten jener Länder vergleicht – von Taiwan bis Lateinamerika –, wo sich Abgeordnete regelmäßig Boxkämpfe liefern. Bei eingehender Analyse wird jedoch eindeutig klar: Solcher Primitivaktionismus zerstört das Ansehen auch des österreichischen Parlamentarismus.
Die Taferl-Aktionen haben natürlich einen leicht durchschaubaren Zweck: Die agierende Partei kommt solcherart mit hoher Wahrscheinlichkeit in alle Zeitungen und ins Fernsehen. Denn deren Redaktionen sind wie der berühmte Pawlowsche Hund konditioniert. Dem beginnt der Speichel zu triefen, sobald er die Glocke hört, die jedes Mal bei der Futterausgabe ertönt. Und der Speichel trieft weiter, auch wenn zum Läuten der Glocke gar kein Futter mehr verabreicht wird.
Genauso rücken Medien automatisch jedes Mal jene Partei ins Bild, die ihnen solche Taferl-Aktionen liefern. Auch wenn auf den Taferln noch so dumme Sprüche oder abgedroschene Forderungen stehen. Aber die Medien wollen halt immer Action-Bilder und nicht bloß Bilder von Männern oder Frauen, auch wenn diese noch so Kluges oder Interessantes sagen sollten. Die Parteien ersparen sich solcherart, ihre Slogans zu plakatieren oder inserieren.
Ein sehr simpler Mechanismus, der aber immer funktioniert. Entwickelt ist er von Greenpeace & Co worden: Kaum haben sie ein Plakat an einem spektakulären Gebäude angebracht, bringen alle Zeitungen ein Photo davon – selbst wenn weniger als 20 Mann an der ganzen Aktion beteiligt waren. Neuerdings allerdings praktizieren solches nicht nur die weit links stehenden NGOs, sondern auch die weit rechts stehenden Identitären. Bei diesen sind die linken Mainstream-Medien nun etwas verunsichert und in ihrer Photo-Manie zurückhaltender geworden.
Parlamentarier sollten aber vor allem begreifen: Wenn sie solchen Aktionismus üben, wenn sie sich auf das Niveau von Greenpeace & Co hinunter begeben, werten sie sich damit selbst ab. Sie haben nichts mehr zu sagen, sie sind in den Augen der Bürger bloße Schilder-Wachler.
Genau aus diesem Grund sind solche Aktionen auch in vielen anderen Parlamenten völlig undenkbar, angefangen von der Mutter aller Volksvertretungen, dem britischen Parlament in Westminster. Würde sich dort ein Abgeordneter solcherart betätigen, müsste er sofort mit strengen Strafen des "Speakers", des Vorsitzenden, rechnen.
Es wäre auch noch in manch anderer Hinsicht toll, würden sich die österreichischen Abgeordneten an Westminster ein Vorbild nehmen. Dort ist nicht nur jeder Taferl-Aktionismus völlig ausgeschlossen, sondern auch das Ablesen einer Rede. Dort spricht jeder frei. Das hat erstens den Vorteil, dass die Wortmeldungen viel kürzer sind. Und zweitens – noch wichtiger: Zuhörer sind bei einer freien Rede viel besser imstande, dem Gesagten auch zu folgen! Vorgelesene Texte hingegen rauschen an Freund und Feind völlig reaktionsfrei vorbei.
Gewiss: Bei uns tun sich manche Abgeordnete sogar mit dem bloßen Ablesen eines Textes schon schwer. Diese Politiker wären wohl chancenlos, wenn sie frei reden müssten. Aber sie müssen ja nicht reden. Weder Nation noch Parlament würden etwas versäumen.
Es wäre eine geradezu nationale Aufgabe, in Österreich die Kunst der freien Rede auf internationales Niveau zu bringen. Denn es ist eben so, dass man Zuhörer nur dann erreicht, wenn man etwas zu sagen hat. Und man hat nur dann etwas zu sagen, wenn man es im Kopf hat und nicht extra ablesen muss. Dafür würden es Zuhörer übrigens liebend gerne in Kauf nehmen, wenn hierzulande Redner darauf verzichten könnten, bei allen Reden zuerst einmal dutzendweise vermeintliche Prominenz einzeln zu begrüßen.
Das wäre auch ein großes Projekt für das Bildungssystem. In Österreich lernt man – an guten Schulen – zwar viel, aber nicht die Kunst der freien Rede. Und an den Universitäten lernt man sie erst recht nicht. Viele kommen dort zu einem Studienabschluss, ohne jemals ein freies Referat gehalten zu haben oder sich gar einer harten Sachdiskussion stellen zu müssen. Statt dessen lieben die Professoren Multiple-Choice-Prüfungen und Diplomarbeiten voller Fußnoten ...
Zurück ins Parlament: Sollte man einmal wirklich beginnen, sich an Westminster ein Vorbild zu nehmen, dann müsste auch die Unsitte aufhören, dass viele Abgeordnete – statt dem jeweiligen Redner zuzuhören – in den Laptop blicken oder Zeitung lesen. Und bei Parteifreunden klatscht er dann halt automatisch, wenn andere aus der Fraktion klatschen.
Auch dieses Verhalten ist ein deutliches Signal, das sagt: Es ist eigentlich irrelevant, was im Parlament gesagt wird. Als logische Folge hält sich aber natürlich auch das Interesse der Bürger in engen Grenzen. Dass Entscheidungen meist vorher hinter Polstertüren fallen, ahnt er zwar sowieso – aber wenn ihm nicht einmal die Pro- und Kontra-Argumente dargelegt werden, wird ihm das Hohe Haus völlig egal. Und Landtage erst recht. Würden nicht Schulkassen hingeschleppt, blieben die Tribünen oft ganz leer.
Dabei legt das Parlament in anderer Hinsicht auf die eigene Würde großen Wert. So waren sich alle Fraktionen einig, dass ihre Büros während des (zweifellos nötigen) Parlamentsumbaus den Heldenplatz und damit eine der schönsten Stadtlandschaften Wiens mit Containerbergen verunstalten. Die Alternative einer temporären Übersiedlung in die leerstehende Ex-Wirtschaftsuniversität in der Spittelau haben die Damen und Herren hingegen als unter ihrer Würde angesehen.
Ein anderer Trend ist für das Ansehen der gesamten repräsentativen Demokratie noch viel schädlicher: Professionelle Spin-Doktoren und Dirty-Campaigner haben die politischen Debatten inhaltlich komplett in Schlammschlachten verwandelt. Die Präsentation der eigenen politischen Inhalte, der unterschiedlichen ideologischen, ökonomischen, gesellschaftlichen Konzeptionen rücken immer mehr an den Rand.
Wichtig ist nur noch: Kann man den anderen etwas "anhängen"? Findet man beim Mistkübel-Stierln etwas Anrüchiges? Hat einer vielleicht vor 20 Jahren ein geschmackloses Lied gesungen? Hat einer eine außereheliche Beziehung? Hat einer einer Journalistin einmal ins Dekolletee geblickt, die sich nächtens an einer Bar an ihn gedrängt hat? War einer einst in einen Raufhandel involviert? Hat ein Ehepartner geschäftlichen Misserfolg? All das ist offenbar wichtiger als ein paar Milliarden mehr Schulden.
Und es ist ganz eindeutig die SPÖ unter allen Parteien, welche seit Jahrzehnten auf diesem Niveau Politik betreibt. Freilich wäre es unehrlich, ihr oder der politischen Klasse allein die Schuld an dieser Entwicklung zuzuschieben. Denn wieder sind es die Medien, die sich wie wild an solchen Produkten aus der Mülltonne begeilen, während sie bei jeder komplizierteren Sachfrage geradezu einen Gähnkrampf bekommen.
Diese Vermüllung der Politik ist zum Unterschied vom Taferl-Wacheln sogar ein internationaler Trend. Man schaue nur nach Amerika. Dort hat sich etwa Donald Trump im Wahlkampf mit Vorliebe damit befasst, wie viele Stunden Barack Obama Golf spielt (obwohl er selbst wahrscheinlich noch mehr spielt). Dort hat die Clinton-Kampagne, wie sich jetzt herausstellt, einen hochbezahlten Spion beschäftigt, um Trump Kontakte mit Russland nachzuweisen (ohne dass jemals die viel wichtigere Frage debattiert worden wäre, ob die von Trump offenbar angedachten besseren Beziehungen mit Russland nicht eigentlich besser für Amerika und den Weltfrieden wären).
Diesbezüglich verspricht also auch der Blick ins Ausland keine Besserung. Auch diesbezüglich wäre nur ein Wechsel vom repräsentativen zum direktdemokratischen System eine Besserung. Denn in diesem ist die Persönlichkeit der Parlamentarier und Regierungsmitglieder lange nicht so wichtig wie im System der (Parteien- oder Präsidenten-)Diktatur auf vier Jahre. Denn die Bürger selbst wären durchaus imstande, primär die Sachfragen zu debattieren.