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Es war weit mehr als eine bloße Mär, dass die Sozialpartner hinter den österreichischen Kulissen lange die wahre Macht hatten, dass vor diesen Kulissen Regierung und Parlament oft nur so tun konnten, als ob sie regieren würden. Dieser Ständestaat ist nun aber endgültig zu Ende gegangen, auch wenn es viele noch nicht wahrhaben wollen. Dieses Ende ist gut so. Der Abgang des Langzeitpräsidenten Christoph Leitl ist nur ein – wenn auch auffallendes – Symbol für dieses Ende.
Das Ende des Ständestaats hat viele Gründe:
Um bei Christoph Leitl zu beginnen. Er hat Österreich gegen Ende seiner Herrschaftsperiode einmal als "abgesandelt" bezeichnet. Das war und ist in vielerlei Hinsicht durchaus richtig.
Nur: Wäre Leitl ehrlich, müsste er auch ein großes Stück eigenes Verschulden daran zugeben. Denn in den letzten 30 Jahren war die Vor-Kurz-ÖVP immer mit an der Macht. Also konnte in dieser Zeit auch nichts gegen den Willen des ÖVP-Wirtschaftsbundes und der Wirtschaftskammer geschehen.
Leitls Verschulden ist aber noch viel konkreter zu benennen: Er hat sich als ÖVP-interner Kritiker der schwarz-blauen Regierung von 2000 bis 2007 profiliert. Und dennoch hat gerade diese Zeit dazu geführt, dass Österreich noch einmal an die Spitze vieler europäischen Rankings geklettert ist, und dass zahllose deutsche Medien Österreich 2006/07 als Vorbild für das damals kriselnde Deutschland hingestellt haben.
Der wirkliche Rückfall passierte dann in den folgenden zehn Jahren, also unter einer von Leitl in seiner sozialpartnerschaftlichen Fixierung immer befürworteten rot-schwarzen Regierung.
Die von Leitl so kritisierte Schüssel-Regierung hat in Wahrheit den Fehler begangen, zu sehr auf Leitl zu hören. Denn eigentlich wollte man schon damals auf Vorschlag der FPÖ die Pflichtbeiträge zur Arbeiterkammer stark kürzen, ähnlich wie es die Wirtschaftskammer (durchaus anerkennenswerterweise) getan hat. Aber Leitl hat Schüssel daran gehindert.
Genauso gravierend, aber weniger bekannt ist die Destruktion der WKO selbst durch Leitl. Er hat sie so abgespeckt, dass mit Ausnahme der sozialpolitischen Abteilung und der Außenhandelsstellen der gesamte Apparat total irrelevant geworden ist.
Vor Leitl war die WKO der wichtigste Brain Trust weit und breit. Politik und Öffentlichkeit bekamen dort jede Menge an höchstwertigem sachlichem, wissenschaftlichem, ökonomischem oder juristischem Knowhow. Seit Leitl findet sich solches Knowhow wenn überhaupt, dann nur außerhalb der WKO. Die weitaus interessantesten Studien produzieren heute neugegründete und ganz ohne WKO von Spenden lebende Think Tanks wie die "Agenda Austria" oder das "Austrian Institute".
Noch schlimmer: Mit Leitl war ein bekennender "68er" an die Macht gekommen, der bis zuletzt von der marxistisch geprägten Studentenrevolution seiner Studentenjahre schwärmte. Genau aus diesem Ungeist heraus hat Leitl auch die fundamentale Grundlage des bürgerlichen Österreich zerstört: Das war die Notwendigkeit einer Achse zwischen den konservativ Denkenden, also der Mehrheit, und jener Minderheit, die weiß, wie Wirtschaft funktioniert (also den Wirtschaftsliberalen).
Leitl hat das nicht begriffen und alles Konservative verachtet. Ob es unter Kurz zurückkommt, ist vorerst nur eine Hoffnung.
Die provozierende Werbekampagne des Kammerapparats mit dem schwul-bärtigen Transvestiten Conchita Wurst ist ein gerade in diesen Tagen auffallender Höhepunkt dieser Verachtung.
Ein anderer Teil dieses Hasses richtete sich gegen alle, die für das Leistungsprinzip in einem differenzierten Schulsystem kämpfen; Leitl hatte immer wieder nach der (nivellierenden und eindeutig leistungsverschlechternden) Gesamtschule verlangt.
Eigentlich sollte sich schon aus diesen Gründen die organisierte Wirtschaft nicht mehr wundern, dass sie heute weitgehend die – eigentlich dringend benötigte – Unterstützung vieler Konservativer verloren hat.
Die Macht von Wirtschafts- und Arbeiterkammer beruht auf einem uralten Klassen- und Stände-Denken. Dieses hat freilich schon in den 30er Jahren nicht funktioniert, obwohl damals fast die gesamte arbeitende Welt noch in klassisch Gewerbetreibende, Arbeiter, Bauern und Beamte eingeteilt werden konnte.
Ein historischer Strukturwandel hat diese gesellschaftliche Grundlage seither total verändert. Die Zahl der Arbeiter ist dramatisch zurückgegangen. Die neue große Schicht aus dem Angestellten- und gut verdienenden Facharbeitermilieu fängt mit dem gewerkschaftlichen Denken der Arbeiterkammer überhaupt nichts mehr an. Sie hat ganz andere Anliegen, sie hat viel zu verlieren, und sie fühlt sich vor allem nicht mehr als einheitliche Klasse, die sich in einer "Kammer" (welch bedrohliches Wort!) zusammensperren lassen will.
Die hunderttausenden Einzelpersonenunternehmer, die zahllosen Programmierer, PR-Macher, Berater, Therapeuten oder Lebenshelfer, fangen mit der WKO schon überhaupt nichts an. Sie fühlen sich von dieser nur durch Gewerbeschein-Bürokratie und Zwangsbeiträge schikaniert. Diese Unternehmer haben in der Großzahl gar keine Angestellten, sondern nur externe Zulieferer. Sie sind auch oft selbst so von einem einzigen Auftraggeber abhängig, dass die Gewerkschaft sie sogar als Mitglieder gewinnen will.
Die Außenhandelsstellen sind zweifellos auch heute noch ein großes Asset der Wirtschaftskammer, das nicht zerstört werden sollte. Nur: Es geht einfach nicht mehr an, dass die heute so zahlreichen Einzelpersonenunternehmer, von denen die allermeisten nie exportieren, satte Kammerumlagen dafür zahlen müssen.
Gerechterweise dürften die Kosten für den einzig sinnvollen WKO-Bereich nur den davon profitierenden Exportunternehmen angehängt werden. Oder als Förderung von Arbeitsplätzen und Deviseneinnahmen dem Staatshaushalt.
Der angebliche Haupteffekt der Gewerbeordnung, Kunden vor unfähigen Gewerbetreibenden zu schützen, ist weitgehend eine Schimäre. Denn:
Die Gewerbeordnung ist also in mehrfacher Hinsicht eine frontale Verletzung der Wirkung und Vorteile eines funktionierenden Marktes. Wirklich notwendig zu reglementieren sind lediglich alle jene Tätigkeiten, die gesundheitsrelevant sind.
Noch viel weniger als die WKO besitzt die Arbeiterkammer Berechtigung. Dabei kostet sie jeden Arbeitnehmer monatlich ein halbes Prozent seiner Bezüge – ohne dass das auf dem Gehaltszettel überhaupt ausgewiesen werden darf.
Die meisten Arbeitnehmer erfahren für das viele ihnen abgenommene Geld nie irgendeine Gegenleistung der Arbeiterkammer. Die bisweilen erfolgende gerichtliche Vertretung könnte genauso gut (und meist besser) direkt durch einen Rechtsanwalt erfolgen. Ansonsten macht die Arbeiterkammer nur Selbstbeschäftigung, Ideologie, Wahlkampfhilfe und Finanzhilfe für die SPÖ.
Die derzeit oft von Verteidigern der Sozialpartner genannten Kollektivverträge sind absolut kein Argument für die Pflichtmitgliedschaften. Denn außer in Österreich besteht nur in Luxemburg ein Zwang zur Kammermitgliedschaft. Und dennoch gibt es auch in den anderen Ländern Tarifverträge. Und auch in Österreich kann ein Kollektivvertrag immer schon auch von einem ganz außerhalb von WKO und Pflichtmitgliedschaft stehenden Branchenverband abgeschlossen werden.
Auf Arbeitnehmerseite sind es sowieso die Gewerkschaften, also Vereine mit freiwilliger Mitgliedschaft, die solche (für alle verbindlichen!) Verträge aushandeln und unterzeichnen.
Das derzeit dauernd getrommelte Argument "Kollektivverträge brauchen Pflichtmitgliedschaften" ist also nicht nur brüchig, sondern zeigt in Wahrheit, wie schwach die Argumentationsbasis geworden ist, wenn einem nichts Besseres mehr einfällt.
Aus den Kollektivverträgen der letzten Jahre kann auch keinerlei Verantwortungsbewusstsein der Gewerkschaften mehr abgelesen werden. Denn im Gegensatz zu den Epochen Benya und Verzetnitsch waren die Abschlüsse zu hoch und haben dadurch viele Arbeitsplätze ins Ausland vertrieben, wo viele Länder mit den niedrigen Lohnkosten werben. Die WKO hat dem kaum Widerstand entgegengesetzt.
Etwa bei der dringend nötigen Flexibilisierung der Arbeitszeit haben die Sozialpartner zuletzt praktisch in allen Bereichen versagt, wo ihnen die große Koalition Lösungen für das Arbeitsrecht abverlangen wollte. Arbeiterkammern und Gewerkschaften haben ideologisch verhärtet agiert. Und der WKO-Chef hat dabei eine immer lächerlichere Figur abgegeben.
Auch die von den Sozialpartnern kontrollierten Sozialversicherungen sind alles andere als Erfolgsmeldungen. Stellen doch sowohl das Gesundheits- wie das Pensionssystem die größten Baustellen der Republik dar.
Sowohl die neuen Parlamentsklubs von Schwarz und Blau als auch die Zusammensetzung der Verhandlungsteams zeigen: Da gibt es weit und breit keine relevante Persönlichkeit mehr, welche die Sozialpartner repräsentieren würde. Auch im Wahlkampf spielten diese zumindest bei den beiden Siegerparteien keine Rolle. Die dominierenden Themen wie Sicherheit, Migration oder Bildung haben mit den Sozialpartnern nichts zu tun (oder sind von diesen sogar kontraproduktiv behandelt worden).
Bei der FPÖ hat es ohnedies nie eine nennenswerte Sozialpartner-Dimension gegeben. Und Sebastian Kurz hat sich ganz eigenständige Finanzierungsquellen aufgerissen; er ist daher weit unabhängiger von der WKO als seine Vorgänger. Auch Harald Mahrer als neuer Wirtschaftschef wird daher mit Sicherheit nicht mehr die frühere Bedeutung eines Raab oder Sallinger erlangen können.
Einst sind die Chefs der Sozialpartner legibus solutus, also im Himmel über den Gesetzen geschwebt – zusammen nur noch mit Bundespräsident, Bundeskanzler, Kardinal und Landeshauptleuten. Heute ist das total anders - spätestens seit Verzetnitsch um Millimeter an einer strafrechtlichen Verurteilung im Bawag-Skandal herumgekommen ist.
Gerade angesichts der heutigen Hysterie um Männer, die in anderen Ländern in den Orkus gestürzt werden, weil sie einst die Hand auf das Knie einer daneben sitzenden Journalistin gelegt haben, fällt einem da auch ein (verstorbener) Sozialpartner-Präsident ein, bei dem alle weiblichen Redakteure gebeten haben, nicht mehr zu seinen Terminen und Reisen eingeteilt zu werden. Aber keine hätte es gewagt, an die Öffentlichkeit zu tragen, was auch immer vorgefallen sein mag. "Interessant" war auch der WKO-Präsident, der einem mitreisenden Redakteur beim Aussteigen aus dem Flugzeug in Saudi-Arabien im allerletzten Moment eine Whisky-Flasche ins Handgepäck gestopft hat, damit gegebenenfalls dieser und nicht der Präsident damit erwischt wird.
Das entscheidende Prinzip für die künftige Gestaltung des Sozialpartner-Bereichs muss die Subsidiarität werden, wenn Österreich einen Schritt nach vorne machen soll.