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Es sind unglaubliche Äußerungen zweier ganz verschiedener Persönlichkeiten, die sich aber beide jeweils auf zentrale Vorhaben der gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen beziehen. Eine stammt von einer linken Kolumnistin und war in der "Presse" zu lesen. Die andere von der ÖVP-Parlamentspräsidentin und war gleich in mehreren Medien zu lesen.
Die "Presse"-Kolumnistin behauptete, die Abschaffung der Zwangskammer-Mitgliedschaften und Zwangsbeiträge wäre schlecht für die kleinen Leute. Begründung: Wenn die Wirtschaftskammer nicht mehr den Zugang zu einzelnen Tätigkeiten regulieren könnte, dann würden viel mehr neue Konkurrenten in diese Berufe drängen. Oder wörtlich: "Die Abschaffung der Wirtschaftskammer und der Gewerbeordnung würde die Zahl der Mitbewerber mit einem Schlag vergrößern, und jeder einzelne Kleinunternehmer würde sofort den Preisdruck spüren."
Ja eh. Hoffentlich zumindest. Aber gerade das ist doch gut für die Konsumenten, also die kleinen Leute! Denn bei mehr Konkurrenz werden die angebotenen Waren und Dienstleistungen absolut immer billiger! Schlecht ist es nur für jene Klein- und Großunternehmer, die jetzt offensichtlich unter dem Schutz der Kammer gegen neue Konkurrenten stehen und so dem bösen "Preisdruck" entgehen können!
Es ist absolut erstaunlich, dass man auch noch Jahrhunderte nach dem Mittelalter eine solche total ans Zunftwesen erinnernde Einstellung hören kann. Damals war ja der Zugang zum Bäcker-, Schuster- oder Schneider-Beruf streng reglementiert. Nur Zunftangehörige durften diese Gewerbe ausüben. Da kam kein anderer hinein. Daher konnten sie ihre Produkte viel teurer verkaufen, als wenn es viele Konkurrenten gegeben hätte.
Noch viel schlimmer für die kleinen Leute ist, dass ihnen die Arbeiterkammer auf Grund des Kammerzwanges heimlich, still und leise ein halbes Prozent ihres Lohnes stehlen kann. Ohne dass das am Gehaltszettel auch nur vermerkt werden dürfte. Aber so etwas stört halt eine linke Publizistin nicht. Das erwähnt sie nicht einmal.
Ich hätte nicht geglaubt, dass man noch im 21. Jahrhundert so denken kann. Auch wenn ich mir zugegeben von sogenannten Intellektuellen – welchen Geschlechts immer – schon lange nicht mehr allzu viel erwarte.
Mittelalterlich sind aber auch die Argumente, mit denen sich die ehemalige ÖVP-Generalsekretärin und jetzige Parlamentspräsidentin vor den Zug der direkten Demokratie wirft. Diese dürfe nur "behutsam" kommen. Und sie müsse so gestaltet werden, dass millionenschwere Kampagnen, radikale Kräfte oder das Ausland keinen Einfluss auf Referenden nehmen könnten. Weil diese sonst "schnell in die falsche Richtung ziehen" könnten. Köstinger outet sich als "echte Verfechterin der repräsentativen Demokratie".
Es ist wirklich unglaublich, wie schnell Politiker umdenken und das Volk wieder entmündigen wollen, sobald sie selbst an der repräsentativen Macht sind. Und dann wundern sie sich, dass die Menschen total politikverdrossen werden.
Liebe Frau Köstinger: Wenn Sie auch nur halbwegs einen Rest an Fairness in Ihrem Denken haben, dann müssten Sie diese Bedenken, mit denen Sie gerade die direkte Demokratie abzuwürgen versuchen, ja auch für die Wahl des Parlaments gelten lassen! Das wird nämlich durch haargenau das gleiche Volk gewählt, das Sie für unfähig zur direkten Demokratie halten! Wenn Sie dies aber bei Parlamentswahlen nicht wollen, dann sollten Sie auch die Direkte Demokratie nicht zu knebeln versuchen!
Und Sie sollten schon gar nicht versuchen, das Vergeben von Vorzugsstimmen als direkte Demokratie auszugeben. Das ist einfach Schwachsinn.
Zu Ihren einzelnen "Argumenten":
Ad "millionenschwere Kampagnen": War es nicht gerade die ÖVP, die im Wahlkampf die meisten Millionen von allen Parteien für Inserate und Plakate ausgegeben hat? Ich kritisiere das nicht – schließlich hat ihr Spitzenkandidat im Vergleich zu den anderen Parteien auch ein Vielfaches an freiwilligen Spenden angezogen. Während die anderen praktisch nur jenes Geld ausgeben konnten, dass sie selbst (also der "repräsentative Gesetzgeber") sich zuerst aus den Steuergeldern geholt haben.
Aber begreifen Sie nicht, dass viele Spender der ÖVP nur deswegen Geld gegeben haben, weil sie den Worten dieses Spitzenkandidaten geglaubt haben? Und wissen Sie nicht, dass sich dieser zumindest früher vehement für die direkte Demokratie ausgesprochen hat – auch wenn er jetzt seltsam still dazu geworden ist?
Wenn Sie aber glauben sollten, dass diese Millionenausgaben die Nationalratswahl nicht beeinflusst haben: Warum haben Sie als genau dafür verantwortliche Generalsekretärin dann überhaupt diese Millionenausgaben getätigt?
Oder meinen Sie, wenn es um die Wahl von Abgeordneten geht, wäre das Ausgeben von Geld ja legitim? Wenn Bürgerinitiativen um eine Sachentscheidung kämpfen, aber nicht?
Ist Ihnen nicht klar, dass genau das Geldargument gegen den in den Koalitionsverhandlungen bezogenen Standpunkt der ÖVP zur direkten Demokratie spricht? Denn wenn die Hürde für ein Volksbegehren so hoch angesetzt wird, wie die ÖVP jetzt will, dann hat das eine klare Folge: Dann braucht es zum Unterschriftensammeln wirklich viel Geld oder einen mächtigen Apparat, wie ihn nur große Parteien haben. Je niedriger diese Schwelle hingegen ist, umso weniger Geld braucht es.
Jeder Schweizer wird Ihnen sagen, dass die Eidgenossenschaft genau aus diesem Grund seit Generationen die Schwelle, ab der es ein Referendum geben muss, so niedrig angesetzt hat, nämlich mit höchstens 100.000 Stimmbürgern (Das ist sogar weit niedriger als das, was die FPÖ will). Diese 100.000er Schwelle kann auch mit wenig Geld und einem kleinen Apparat geschafft werden.
Die eigentliche Volksabstimmung und die Monate der Information davor laufen dann in der Schweiz in einer überaus ruhigen und sachlichen Atmosphäre. Alle Zeitungen bringen Gastkommentare von ALLEN Seiten. Die Regierung gibt ein Abstimmungsbüchlein mit Auflistung ALLER Pro- und Kontra-Argumente heraus. Daher hat noch nie das Geld entschieden.
Im Übrigen verhalten sich gerade wegen der drohenden Möglichkeit, nachher von den Stimmbürgern eines Besseren belehrt zu werden, Regierung und Parlament schon antizipativ viel disziplinierter und vernünftiger, als wenn sie wie bei uns de facto allmächtig wären.
Ad "Gruppen aus dem Ausland": Das klingt ja ganz wie Putin oder Hillary Clinton, die jeweils das finstere Ausland als schuldige Drahtzieher attackieren. Was bitte, fürchten Sie da bloß? Meinen Sie mit diesen Worten etwa den Vatikan (der sich bei einer Abstimmung über Ehe oder Abtreibung deutlich äußern könnte)? Die Freimaurer? Die Juden? Die Bilderberger? Soros? Chemtrails? Die Konrad-Adenauer-Stiftung? Vorträge einer deutschen Feministin? Gastauftritte eines ausländischen Politikers? Kleine grüne Männchen? Vor wem fürchten Sie sich?
Und wissen Sie nicht, dass die ÖVP (wie auch andere Parteien) einst durchaus direkte Unterstützung aus dem Ausland bekommen hat, als es ihr und Österreich noch recht schlecht ging? Sollen alle Ausländer Rechtsbrecher werden, die sich für die Wahl von Sebastian Kurz ausgesprochen haben? Wollen Sie katholischen Orden, Greenpeace oder Amnesty das Reden verbieten, die alle unter ausländischem Kommando stehen? Wollen Sie den Empfang von Phönix, BBC, CNN oder Euronews verbieten, die alle aus dem Ausland senden? Ebenso wie den Vertrieb von NZZ und FAZ, wenn sie eine Meinung zu Österreich äußern? Haben Sie als EU-Abgeordnete noch nicht mitbekommen, dass es laut EU zumindest unter den 27 EU-Ländern eigentlich kein Ausland geben sollte? Und dass sich auch etliche Abgeordnete Ihrer Partei für die Bildung gesamteuropäischer Parteien ausgesprochen haben?
Glauben Sie wirklich, dass die Österreicher zu blöd sind, um sich ihre eigene Meinung bilden zu können, auch wenn in einem Wahlkampf die eine Stimme aus dem Ausland dieses, die andere jenes sagt? Ganz abgesehen davon, dass weltweit gesetzlich ermöglichte Referenden viel sachlicher und ruhiger ablaufen als Parlamentswahlen. Wenn man nur alle vier, fünf Jahre wählen darf, eskaliert regelmäßig die Hysterie und der Schmutz.
Ich hätte wirklich nicht gedacht, wie schnell das Denken in Verschwörungstheorien um sich greifen kann. Muss ein Virus sein.
Ad "radikale Kräfte": Was ist denn das nun wieder? Unter den österreichischen Parteien sind in den Augen der Bürger die Grünen die eindeutig radikalsten, wie sich aus den langjährigen Imas-Studien ergibt. Sollen die bei einem Referendum nicht mehr aktiv werden dürfen? Oder meinen Sie Ihren künftigen Koalitionspartner FPÖ, der zumindest für "Falter", "Standard" und die Künstlerblase taxfrei als radikal oder gar extremistisch gilt?
Wenn sich diese Kräfte nicht bei Referenden äußern dürfen, warum bitte sollen sie dann bei Parlamentswahlen reden und sogar kandidieren dürfen? Sind denn gefährliche Gruppierungen, so es sie wirklich geben sollte, im Parlament nicht noch viel gefährlicher?
Oder wenn Sie andere Kräfte als Grüne und FPÖ meinen, vor denen man sich fürchten müsse: Warum sollten die bei einem Referendum plötzlich zum Problem werden, wenn sie normalerweise nicht einmal einen Gemeinderat durch die Wahl bringen? Ist Ihnen nicht klar, dass mit Ihrem Argumentarium auch gleich die repräsentative Demokratie abgeschafft werden kann? Dass das Feudalsystem vor 1867 auch genauso gedacht hat wie Sie, wenn Sie meinen, dass es viel besser sei, wenn die gesamte Macht bei den 183 Abgeordneten liegt? Damals war es halt die Aristokratie. Was im Übrigen sogar relativ demokratischer war, hat es doch weit mehr als 183 Kaiser, Erzherzöge, Fürsten, Grafen, Barone und Freiherrn gegeben, die fast alle irgendwo etwas zu reden hatten.
Ad "falsche Richtung": Gewiss, niemand will, dass die Dinge in die falsche Richtung gehen. Nur: Wer, verehrte Frau Köstinger, definiert, was "falsch" ist? Religiöse Menschen könnten zwar im Prinzip beim lieben Gott erfragen, was richtig und falsch ist – nur haben sie leider nicht seine Telefonnummer (und die Päpste und Bischöfe sagen halt alle paar Jahre etwas ganz anderes).
Sollten Sie nicht vielleicht doch etwas selbstkritischer über Ihre plebiszitäre Elite denken? Kennt diese von Ihnen so geschätzte Elite etwa die richtige Richtung? Gibt es etwas Falscheres als eine Staatsverschuldung von über 80 Prozent des BIP? Die ja in Wahrheit weit über 300 Prozent liegt, wenn man korrekt bilanzieren und auch all die Pensionsverpflichtungen einberechnen würde, die der Staat eingegangen ist und für die er schon das Geld kassiert (und verbraucht) hat? Das alles ist rein repräsentativ zustandegekommen.
Sie genieren sich nicht zu behaupten, dass eine repräsentative Demokratie richtig entscheidet, die drei Tage vor jeder Wahl Milliarden an Wahlgeschenken beschließt. Die zulässt, dass jedes Jahr 200 Millionen an eigentlich kriminellen Bestechungsinseraten aus Steuergeldern an Medien fließen. Die ein Sozialsystem geschaffen hat, das eindeutig die Zukunftschancen der gesamten Generation unter 40 schwer reduziert. Die für eine der höchsten Belastungsquoten der Welt gesorgt hat. Die nichts Effizientes gegen den Ansturm der neuen Völkerwanderung unternommen hat.
Und dennoch wagen Sie es zu sagen, dass sie "kein besseres Modell auf der Welt kennengelernt" haben als die repräsentative Demokratie. Sollten Sie das wirklich ernst gemeint haben, darf ich Ihnen eine Fahrkarte in die Schweiz schenken. Sie werden staunen, für wieviel Vernunft dort die Bürger bei ihren vier Mal jährlichen ständigen Abstimmungen gesorgt haben. Viel weniger Schulden. Viel weniger Steuern. Viel weniger Aufregung. Und das Land funktioniert exzellent.
Oder glauben Sie am Ende gar, die Schweizer wären klüger und anständiger als die Österreicher? Dann sollten sie diesen das auch offen sagen und sich nicht hinter Scheinargumenten verbergen.
Eine letzte Frage: Warum haben Sie solche Aussagen nicht schon vor der Wahl gemacht, als die ÖVP noch ins Wahlprogramm geschrieben hat, sie wäre für die direkte Demokratie? Ist das nicht auch eine üble Form von grober Wählertäuschung? Oder auf gut Englisch: von Dirty Campaigning?
PS: Apropos, Frau Köstinger, waren Sie nicht bis vor wenigen Tagen noch ÖVP-Generalsekretärin? Und damit auch irgendwie zuständig für den Internet-Auftritt Ihrer Partei? Dann sind Sie auch irgendwie mitschuld daran, dass der Informationsstand der ÖVP-Homepage vor 14 Tagen aufhört, dass die neuen Einigungen über das Bildungspaket überall anders, aber nur nicht bei der Partei des künftigen Bundeskanzlers zu finden sind. Dass die Seite auch vorher viel Layout, aber wenig Inhalt hatte. Eine gewaltige "Leistung", für die früher ein paar Leute hochkant hinausgeflogen wären. Aber freilich: Jetzt braucht man sich ja fünf Jahre nicht um die Wähler zu kümmern. Die sind eh so blöd. Und die 183 Abgeordneten samt Präsidentin wissen alles viel besser als sie.