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Demokratie: Wenn ein System in die Krise kommt

Monarchie, Demokratie, Feudalherrschaft, Einparteiensystem, Diktatur, Klassenherrschaft, Nationalstaat, Gottesstaat, Anarchie, Herrschaft der Weisen und Alten, Kolonialregierung: Die Menschheitsgeschichte ist voll der ständigen Suche nach dem "richtigen" politischen System und geprägt von der Auseinandersetzung zwischen all diesen so unterschiedlichen Herrschaftsformen. Das Faszinierende: Praktisch jede davon ist eine Zeitlang als die einzig richtige, als legitim, ja sogar als gottgegeben angesehen worden.

Aber früher oder später ist auch jede von ihnen auf Überdruss gestoßen, aus innerer Schwäche ins Kriseln gekommen, von Revolutionen hinweggefegt worden, obwohl man die Menschen oft mit Gewalt gezwungen hat, ans jeweilige System zu glauben, obwohl jeder Dissens unterdrückt worden ist. Zu Umstürzen ist es vor allem dann immer gekommen,

  1. wenn ein Staat Recht und Ordnung nicht mehr aufrechterhalten konnte, also seine Hauptaufgaben nicht erfüllt hat;
  2. wenn verheerende Kriege getobt haben;
  3. oder wenn arge wirtschaftliche Not geherrscht hat (egal, ob die Machthaber nun schuld daran waren – etwa weil sie eine sozialistische Wirtschaftsordnung eingeführt haben –, oder schuldlos – etwa bei Naturkatastrophen).

Am Anfang jedes Herrschaftssystems stand fast immer eine logisch wirkende Begründung. So wurden einst die stärksten und besten Kämpfer, die ein Volk, einen Stamm am besten schützen konnten, nicht nur Heeresführer, sondern bald auch politische Chefs. Das Problem entstand immer erst später, sobald sie ihre Macht auch an ihre eigenen Nachkommen weiterzureichen versucht haben, selbst wenn diese unfähig und degeneriert waren. Der Drang von Herrschern, die Macht an die eigenen Kinder zu übertragen, stand nicht nur am einstigen Beginn der Aristokratie, sondern zieht sich bis in die unmittelbare Gegenwart: Siehe etwa die nordkoreanischen Diktatorenfamilie Kim.

Schon die Antike hat immer wieder nach Alternativen gesucht. Man denke an die Anläufe der alten Griechen Richtung Demokratie. Man denke an die Römer, die längere Zeit das System der Adoptivkaiser praktizierten. Dabei hat der Kaiser eben nicht seine leiblichen Kinder als Nachfolger eingesetzt, sondern den Fähigsten und Tüchtigsten. Dieses hochintelligente und konfliktreduzierende System wurde aber dann wieder durch den biologischen Drang, die eigene Brut zu bevorzugen, und durch die Diadochen-Rivalitäten zwischen einzelnen Heeresführern gekippt.

Wir in Europa glauben heute, nach mühsamer Entwicklung und furchtbaren Rückschlägen das beste aller denkbaren Systeme zu haben, die repräsentative Demokratie. Letztlich hat der Weg seit der Aufklärung über mehr als zwei Jahrhunderte zu einem guten Ende geführt. So ist die herrschende Lehre.

Dies schien vor einem Vierteljahrhundert wirklich der Fall zu sein. Ganz Osteuropa wandte sich damals jubelnd von der Einparteiendiktatur ab. Auch in der Dritten Welt wurden reihenweise Diktatoren hinweggefegt. Es waren nicht die Allerdümmsten, die damals voll Zufriedenheit das Ende der Geschichte erreicht sahen.

Doch etwa seit der Jahrtausendwende wächst wieder das Unbehagen mit der Demokratie. In der Dritten Welt ebenso wie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (bis auf die drei baltischen Staaten) ist es vor 20 Jahren eindeutig demokratischer zugegangen als heute. Aber auch in den scheinbar besser fundierten Demokratien in Westeuropa sind die Krisensymptome nicht zu übersehen:

  • Bei vielen Wahlen sinkt die Wahlbeteiligung (auch wenn es Ausnahmen gibt);
  • die Mitgliedszahlen aller Parteien gehen zurück;
  • Umfragen zeigen in vielen Ländern einen rapiden Verlust des Vertrauens in die Regierungen;
  • die repräsentativ Herrschenden sind emotional weit von den Beherrschten entfernt, sodass in den Augen der Bürger die Ähnlichkeit zu Feudalstrukturen immer größer wird;
  • das Volk spürt immer deutlicher, wie sehr die Machthaber sie mit PR, Propaganda und Tricks zu manipulieren versuchen;
  • immer stärker blühen auf dem Boden der wachsenden Unzufriedenheit mit dem Bestehenden ganz neue Parteien und Bewegungen auf – was nicht nur auf die sogenannten Rechts- und Linkspopulisten zutrifft, sondern etwa auch auf den neuen französischen Präsidenten. Aber auch all diese Kräfte haben natürlich keine Zauberformel zur Erfüllung ihrer wilden Versprechungen und lösen daher bald noch mehr Frust der Menschen aus.

Aber was soll kommen? Was soll man sich wünschen? Zu Recht bangen ja viele vor einer Rückkehr des Typus "Starker Mann". Das Modell "Wunderwuzzi" hat außer in der Propaganda noch nie funktioniert und hat immer übler geendet, als es begonnen hat.

An vielen Ecken wird daher derzeit herumgebastelt, wie man Staaten, Verfassungen, den Machtprozess besser organisieren könnte, ohne aber den grundsätzlichen Fortschritt über Bord zu werfen, den die Demokratie darstellt.

Parteiinterne Urabstimmungen, Volksbegehren, Zweitstimmensystem, Basisdemokratie, Vorzugsstimmen, Petitionen, Mehrheitswahlrecht, Liquid democracy, Vorwahlen, Aufhebung der Klubdisziplin, Referenden: Für all diese Ideen finden sich ein paar gute Argumente und viele begeisterte Anhänger. Aber mit einer Ausnahme greifen alle viel zu kurz und können die Demokratiekrise nicht wirklich beheben.

Petitionen: Deren Einführung auf nationaler wie europäischer Ebene war ein reines Ablenkungsmanöver, war bloße Beschäftigungstherapie für die Bürger. Petitionen wurden von den Mächtigen von Anfang an nur instrumentalisiert oder ignoriert.

Basisdemokratie: Grüne und andere Linksaußenparteien entwickelten diese ursprünglich an Unis entstandene Methode, bei der nach oft unendlich langen Versammlungen mit meist ungeordneter Teilnehmerschaft die entscheidenden Abstimmungen jeweils immer erst am Ende durchgeführt werden. Das führte aber dazu, dass sich fast immer jene durchsetzten, die genug Zeit und Sitzfleisch dafür hatten. Grünlinke Versammlungen dauern oft bis tief in die Nacht hinein, bis irgendeine radikale Gruppe die Mehrheit im Saale hatte, weil die anderen frustriert heimgegangen waren.

Liquid democracy: Das war der eine Zeitlang von Piraten und etlichen Sozialwissenschaftlern propagierte Versuch, Gesetze kollektiv via Internet zu bauen. Dabei können einzelne Bürger etwa einem Vertrauensmann das Recht übertragen, für sie am Text weiterzubasteln. Je mehr Stimmen auf einen Vertrauensmann übertragen waren, umso mächtiger wurde dieser, bis ihm dann das Vertrauen aber oft wieder entzogen wurde. Alles war viel zu kompliziert und zeitaufwendig. Auch hier setzten sich wie bei der Basisdemokratie jeweils die Allerradikalsten durch und jene, die als Arbeitslose oder Studenten das größte Kontingent an beliebig einsetzbarer Zeit (und Nerven) hatten.

Urabstimmungen (unter Parteimitgliedern): Diese hätten das theoretische Potenzial, zumindest die innerparteiliche Demokratie in Sachfragen zu beleben und damit die Mitgliedschaft in den Parteien wieder attraktiv zu machen. Allerdings haben SPÖ (Ceta-Abstimmung) und Grüne (Urabstimmung über das Wiener Spekulations-Hochhaus am Heumarkt) das Instrument total ruiniert, indem sie sich über jeweils eindeutige Abstimmungsergebnisse einfach hinweggesetzt haben.

Vorwahlen: Sie sind ein weiteres Instrument zur Stärkung bloß der innerparteilichen Demokratie. Bei Vorwahlen können die Parteimitglieder (oder Sympathisanten) bei der Kandidatenaufstellung mitbestimmen. Das hat gewaltige Nachteile, wie sich jetzt bei den Grünen gezeigt hat: Parteiintern können sich nämlich winzige, aber schlagkräftige Pressure groups durchsetzen und ihre Leute an die Spitze bringen. So wurden bei den Grünen viele qualifizierte Politiker abgewählt. Das bringt oft ganz andere Personen an wählbare Stellen, als die potenziellen Wähler dieser Parteien wünschen würden, was den jeweiligen Parteien schwer schadet. Das ist überdies wie viele andere Modelle eine rein auf die Personalfragen beschränkte Mitsprache.

Vorzugsstimmen: Diese beziehen sich ebenfalls nur auf das politische Personal. Die Vorzugsstimmen könnten aber immerhin einen Teil der Frustration der Wähler abbauen, die – auch! – dadurch entstanden ist, dass sie in der Regel nicht einmal über die einzelnen Personen bestimmen können, die von den Parteien ins Parlament entsandt werden. Die meisten Bürger wissen freilich, dass es nirgendwo den idealen Kandidaten gibt, der in allen Fragen die Meinung des jeweiligen Wählers vertritt. Dass sie also auch dann ihre Stimme im Wortsinn "abgeben". Vorzugsstimmen sind daher meist eine bloße Sympathiebekundung, bei der insbesondere Sachexperten unter die Räder kommen. Überdies ist die Hürde ohnedies fast überall viel zu hoch, um mit Vorzugsstimmen wirklich eine personelle Änderung der Parlaments-Zusammensetzung durchsetzen zu können. Die ÖVP hat diese Hürde für Vorzugsstimmen zwar gesenkt, aber in den meisten Bundesländern nur unzureichend.

Volksbegehren: Diese waren seit den 60er Jahren eine Zeitlang populär und haben funktioniert. Insbesondere beim Rundfunkvolksbegehren, das die ÖVP mit ihrer Mehrheit dann realisiert hat. Inzwischen hat die SPÖ dieses ORF-Gesetz aber längst wieder revidiert und es gibt wieder vollen politischen Durchgriff beim ORF. In den Folgejahren sind weitere Volksbegehren im Parlament immer öfter unbeachtet geblieben. Sie finden daher immer weniger Unterstützer.

Zweitstimmensystem: In Deutschland hat jeder Bürger zwei Stimmen, eine für einen Kandidaten, eine für eine Partei. Das System ist freilich für viele zu kompliziert und hat die gleichen (begrenzten) Vor- und Nachteile wie das Vorzugsstimmensystem.

Mehrheitswahlrecht: Dieses gilt vor allem in Frankreich, Großbritannien und den USA. Es ist zumindest in einer Hinsicht besser als das in Österreich geltende Proporzsystem. Denn es führt fast immer dazu, dass eine Partei ohne den Zwang zu lähmenden Koalitionen regieren kann. Dieses System ist daher effizienzfördernd, aber wie in den meisten anderen angeführten Modellen bleiben die Rechte der Bürger reduziert: auf ein Kreuzchen alle paar Jahre.

Aufhebung der Klubdisziplin: Da es diese rechtlich ohnedies nicht gibt, bedeutet ihre Aufhebung lediglich den Istzustand, also dass einzelne Abgeordnete rein rechtlich natürlich gegen ihre Partei stimmen können. Wenn sie das freilich öfters tun, werden sie halt von ihrer Partei hinausgeworfen. Das "Freie Mandat" bringt aber den Wählern selbst ohnedies nichts, außer medialem Spektakel. Es macht Entscheidungsvorgänge nur unübersichtlicher und die "Wilden Abgeordneten" zahlreicher.

Verbindliche Referenden: Die Direkte Demokratie hingegen ist der  einzige wirklich funktionierende Weg, die siechen Demokratien zu retten. Freilich darf man sie nicht halbherzig einführen, sie nur alle paar Jahre für taktische Parteispiele einsetzen. Sondern man muss sie wirklich voll und ehrlich als Instrument der Bürger einführen wie in der Schweiz: Dort gibt es in dichter Regelmäßigkeit, aber gut organisiert an mehreren Wahltagen im Jahr zusammengefasst, Abstimmungen auf allen staatlichen Ebenen. Solche Referenden finden immer dann statt, wenn genügend Unterschriften der Bürger danach begehren. Vor allem aber: Das Ergebnis eines Referendums ist absolut bindend.

Wichtig ist auch, dass jedes Referendum eine ausreichende Vorlauffrist hat, in der die Bürger in Ruhe ihre Meinung zu ganz konkreten Abstimmungstexten bilden können. Vorbildlich ist auch das Schweizer Abstimmungsbüchlein, in dem jeweils alle Pro- und Kontra-Argumente sachlich aufgelistet sind. Die Direkte Demokratie hat viele Vorteile:

  • Nur so können die Bürger wieder für den Staat gewonnen werden. Nur so wird dieser wieder Ihr Staat.
  • Nur so kann die Entfremdung zwischen Menschen und herrschender Klasse geheilt werden.
  • Nur so kommt die Entscheidungsgewalt in die Hände der Bürger – und liegt nicht bloß bei Parteimitgliedern, Parlamentariern und Funktionären.
  • Nur so kann auf die Tatsache reagiert werden, dass die politischen Fragen und Probleme immer vielfältiger werden. In Wahrheit kann ja niemand mehr zu 100 oder auch bloß 70 Prozent mit der Linie der von ihm gewählten Partei einverstanden sein.
  • Nur so wird die Lautstärke einzelner Lobbys und NGOs wieder irrelevant, die sich im repräsentativen System so oft wider die Mehrheit der Bürger durchsetzen.
  • Nur die direkte Demokratie kann viele von weltfremden und ideologischen Richtern verursachte Fehlentwicklungen korrigieren.
  • Nur durch mehr Direkte Demokratie kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Bürger heute mehrheitlich eine tertiäre (akademische) Bildung haben, weshalb sie sich nicht mehr mit der bloß repräsentativen Form begnügen wie in Zeiten, da die meisten gerade Lesen und Schreiben konnten.
  • Nur die Direkte Demokratie hätte noch die Kraft, sich der schleichenden und von den Bürgern abgelehnten Islamisierung entgegenzustellen, der gegenüber das repräsentative System weitgehend versagt hat.
  • Nur so kann die Klassenspaltung beendet werden, in der sich die Macht in wenigen Händen konzentriert, was letztlich immer zu Missbrauch, Abgehobenheit und Korruption führt.
  • Nur die Direkte Demokratie – in Verbindung mit echter Meinungsfreiheit, Rechtsstaat, Selbstbestimmungsrecht von Regionen und Minderheitenschutz wäre eine wirkliche Realisierung des Prinzips der gleichen Menschenwürde auf Staats- und Verfassungsebene.
  • Das Schweizer Beispiel zeigt auch, dass es in einer Direkten Demokratie am seltensten zu populistischen Exzessen kommt, also zu Beschlüssen, bei denen die Regierungen bestimmte Wählergruppen mit Steuergeld zu bestechen versuchen.

Hoffnung macht, dass sich immerhin sowohl die FPÖ wie auch Sebastian Kurz mehrmals deutlich für die Direkte Demokratie ausgesprochen haben. Ob sie das auch nach einem Wahlsieg noch in Erinnerung haben werden, also wenn sie selbst die Macht haben, muss freilich offen bleiben.

Gewiss: Es wird immer auch in der direkten Demokratie Entscheidungen geben, die der eine oder andere für falsch halten wird. Nur kann längst niemand mehr glauben, dass es im direkten System noch mehr schlechte Entscheidungen geben würde als im repräsentativen mit seiner Überregulierungs- und Schuldenwut.

Heute kann auch das Gegenargument nicht mehr gelten, dass in der Direkten Demokratie auflagenstarke oder von der Regierung bestochene Medien zu viel Macht bekämen. Die Medienmacht ist durch Internet, Soziale Medien sowie Auflagen- und Leserverluste stark reduziert.

Und vor allem: Wer wäre besser legitimiert zu entscheiden, was richtig und was falsch ist, wenn nicht die Mehrheit der Bürger? Die Adeligen? Ein Gottesgnadenkaiser? Partei-Apparatschiks? Ein Diktator? Die NGOs? Die Universitätsprofessoren? Die Medien? Die PR-Agenturen?

PS: Der größte Hohn über die demokratischen Mitbestimmung der Bürger wird in Wien ausgeschüttet: Dort "dürfen" die Wiener jetzt über die Nummer einer neuen Straßenbahn in Simmering abstimmen! Und schon im Vorjahr hatten sie über die Farbe einer neuen U-Bahn-Linie abstimmen dürfen. Das ist wirklich pure Verhöhnung. Die Bürger werden wie Vorschulkinder behandelt, die auch nur "mitbestimmen" dürfen, ob sie ein blaues oder rotes Zuckerl haben wollen. Noch ärger waren die Wiener Grünen: Sie haben ihre Mitglieder zwar über etwas Wichtigeres abstimmen lassen - aber dann das Ergebnis einfach vom Tisch gewischt, als es "falsch" ausgefallen ist.

Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form in der neuen Vierteljahreszeitschrift Frank&Frei erschienen, an der viele prominente Autoren mitwirken. Probeexemplare können bestellt werden unter:

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