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Michael Häupl begreift die Zeit nicht mehr

Der Wiener Bürgermeister hat im Grund Recht: Er hatte mit der Erwähnung seines im Winter bevorstehenden Rücktritts eigentlich nur etwas wiederholt, was er schon Monate zuvor gesagt hat. Und dennoch hat diesmal seine zweite Ankündigung viel höhere Wellen geschlagen als die erste, hat ihm insbesondere innerparteilich heftige Kritik eingebracht. Jetzt versteht er die Welt nicht mehr. Dem Mann kann geholfen werden. Er hat zwar in vielem Recht – nur sollte er sich dennoch nicht über die Welle der Kritik an seiner neuerlichen Rücktrittsankündigung wundern.

Es gibt mehrere Gründe, die klarmachen, warum diese für so viel Aufregung sorgt.

Der erste: Unendlich langer Übergang. In der Wiener SPÖ findet alles andere als eine geordnete Übergabe stattfindet. Während in allen anderen Bundesländern völlig harmonisch inszenierte Personalwechsel die Regel sind, war Häupl nicht imstande, auch einen solchen zu inszenieren. Vielleicht hat er dies aber auch gar nie versucht, sondern lieber stets alle potenziellen Nachfolger gegeneinander ausgespielt.

Daher hat die neuerliche Ankündigung des Häupl-Rücktritts jeden in der SPÖ primär daran erinnert: Im Jänner geht es dann wirklich ums Ganze. Denn das Rathaus ist für die SPÖ die wichtigste Bastion, wichtiger als das Bundeskanzleramt (nicht zuletzt, weil man von dort viel mehr Geld und Jobs verteilen kann). Jetzt heißt es: Ring frei, keine Energie auf den Nationalratswahlkampf verschwendet.

Der zweite: zwei verfeindeten Parteiflügel. In der Wiener SPÖ marschieren jedenfalls seit Jahr und Tag der linke und der rechte Parteiflügel gegeneinander los. Und zwar mit voller Emotion.

Der linke Flügel ist in Wien stärker als anderswo. Hier geben die ideologischen, feministischen und studentischen Szenen, verstärkt durch die Bobos aus einigen Wiener Nobelbezirken und Kultursubventionsempfänger stark den Ton an. Dieser Flügel kann insbesondere in Zeiten einer Koalition mit den Grünen das große Wort führen. Und er hat auch in dem bis in Alter sehr links denkenden Häupl immer einen schützenden Paten gehabt.

Der rechte Parteiflügel hingegen, der früher in Wien dominiert hat, hat sich unter Häupl erst mühsam von der Basis her neu organisieren müssen. Diese Basis ist erst wirklich aktiv geworden, als sie gemerkt hat, dass die ob der Migrationspolitik, aber auch ob des Feminismus-Gequatsches verärgerten Stammwähler im Eilschritt die Partei verlassen.

Der Mann dieses Flügels ist Wohnbaustadtrat Ludwig. Er hat als einziger offenes Interesse am Bürgermeisterposten deponiert, noch dazu, ohne Häupl um Erlaubnis zu fragen. Das wird von diesem als doppelte Majestätsbeleidigung angesehen. Ludwig will den Linkskurs Häupls stoppen und mit den beiden Parteien auf der Rechten wieder ins Gespräch kommen, auch mit der FPÖ.

Sein Flügel ist aber nicht nur über den Links- und Welcomekurs empört. Er ist auch deshalb auf den Linksflügel böse, weil dieser 2016 öffentlich (siehe 1. Mai) gegen den damaligen Parteichef Werner Faymann rebelliert hat. Das ist eigentlich ein Kapitaldelikt in der Sozialdemokratie. Jetzt beobachtet man bei den rechten Sozialdemokraten mit insgeheimer Schadenfreude, wie wenig erfolgreich der von den Linken installierte Christian Kern ist.

Der dritte: Häupl ist eine lahme Ente geworden. Jedenfalls ist das Aufeinanderprallen dieser beiden Flügel ein schweres Führungsversagen Häupls. Er hat schon in seinen starken Zeiten die Flügel nicht zusammenführen können (oder wollen). Und ab Ankündigung des Rücktritts ist er nun auch viel zu schwach dazu. Der einst stärkste und klügste Mann der Partei ist mit seinen Rücktrittsankündigungen schlagartig Vergangenheit, eine "Lahme Ente" geworden, ein Dead Man Walking. Das hätte Häupl wissen müssen. Denn das passiert jedem abtretenden Politiker.

Jetzt schimpfen plötzlich auch jene ungehemmt auf Häupl, die ihn bisher immer kritiklos verherrlicht haben. Daran können nicht einmal mehr die vielen Bestechungsinserate aus dem Rathaus-Imperium etwas ändern.

Bezeichnend ist auch, dass Häupl für die bloße Wiederholung der Rücktrittsankündigung kritisiert worden ist, jedoch nicht Ludwig für sein offenes Interesse am Bürgermeister-Posten. Dabei verstößt Ludwigs Verhalten eindeutig gegen die Partei-Etikette. Aber Ludwig ist vielleicht der kommende Mann. Den kritisiert man nicht, wenn man weiterhin Jobs und Inserate haben will.

Der vierte: Häupl ist ein ideales Ersatzobjekt für die Sündenbocksuche. Ganz offensichtlich wird SPÖ-intern schon nach Schuldigen für eine sich abzeichnende Wahlniederlage gesucht. Aber solange Bundesparteichef Kern im Wahlkampf steht, wird er noch halbwegs verschont. Dafür wird von vielen Häupl als Blitzableiter benutzt, was eben in dem eher läppischen Vorwurf mündet, dass seine Rücktritts-Äußerung der Hauptfehler des Wahlkampfs wäre. 

Der fünfte: Kern als Häupl-Erbe? Auch das sich immer mehr verdichtende Gerücht, dass der Bürgermeistersessel insgeheim für Kern als Rückzugsstellung freigehalten wird, trägt erst recht nicht zur Beruhigung der Genossen bei. Die Wiener SPÖ will nämlich mit Sicherheit keinen gescheiterten Loser, keinen abgeschobenen Bundespolitiker im Rathaus haben, sondern einen Mann, mit dem sie Wahlen gewinnen kann.

Häupl auf Distanz zu Kern – und im Recht

Nach außen überbietet sich Häupl zwar mit öffentlichen Loyalitätsschwüren gegenüber Kern. Aber allzu oft wird seine innere Distanz zu Kern erkennbar. Das macht diese Schwüre recht unglaubwürdig. Einige Indizien, auf die auch von Häupls Gefolgsleuten in Privatgesprächen verstärkt hingewiesen wird, beweisen diese Distanz:

  • Häupl hat in der SPÖ als fast einziger bis zuletzt gegen die Nominierung Kerns und für den Medienmanager (und einstigen Sinowatz-Adlatus) Gerhard Zeiler als Parteiobmann gekämpft. Das wäre in der Tat die klügere Entscheidung gewesen, wie sich von Tag zu Tag mehr zeigt.
  • Häupl hat öffentlich als einziger kritisiert, dass die SPÖ jetzt Sebastian Kurz klagt, weil dieser von einer 100.000-Euro-Spende des Neos-Financiers Haselsteiner für eine SPÖ-nahe Wahlkampf-Plattform gesprochen hat. Auch hier wäre es für die SPÖ klug gewesen, auf Häupl zu hören. Denn als Ergebnis der Klage wird der Öffentlichkeit jetzt noch oft in Erinnerung gerufen werden, dass Haselsteiner halt nicht 100.000, sondern 1500 Euro für diese Plattform gespendet hat. Was eben nur ein quantitativer, kein prinzipieller Unterschied ist.
  • Häupl positioniert sich auch offen gegen die Kern-Intention, eine rot-blaue Allianz als Koalitionsmöglichkeit anzusteuern. Das wäre zwar kurzfristig die beste Chance der SPÖ, doch noch an der Macht zu bleiben. Aber Häupl hat langfristig dennoch recht: Das würde die SPÖ, vor allem in den Städten, zerreißen. Ist doch seit 30 Jahren die (angebliche) Anständigkeitshaltung "Niemals mehr mit der FPÖ" zum wichtigsten, geradezu genetischen Kern der Partei-Identität geworden. Diese "Haltung" machte bis vor kurzem den wichtigsten Identitätsanker der SPÖ aus, den letzten Rest dessen, womit sich ein Sozialdemokrat noch einreden konnte, ein besserer Mensch zu sein.
    Sonst hat er ja nichts mehr. Denn alle anderen Fahnenfragen taugen heute nichts mehr: Ob sie "Verstaatlichung!" heißen oder "Karl Marx!" oder "Kuba!" oder "Nikaragua!" oder "Apartheid!" oder "Venezuela!" oder "Gemeindebauten!" oder "ÖBB!" oder "Bawag!" oder "Konsum!" oder "Volkshochschulen!" oder "Kirchenkampf!" oder "Arbeiterabstinenzler-Vereine!" oder "internationale Solidarität!". Das sind alles längst nur noch belächelte Verbal-Ruinen früherer Jahrhunderte.

Häupl ist nicht der einzige Sozialdemokrat in offener Distanz zu Kern

Es ist aber nicht nur der linke Häupl, sondern auch der rechte SPÖ-Burgenländer Niessl, der in einer ganz anderen inhaltlichen Frage jetzt auf offene Distanz zu Kern gegangen ist, nämlich zu dessen Aussage, dass die SPÖ in Opposition gehen würde, wenn sie nicht Nummer eins werde. Diese Aussage ist für Niessl schlicht "Mist". Kein Wunder, dass gerade er das attackiert: Glaubt doch auch Niessl einen fähigeren Nachfolger bereit zu haben, nämlich Verteidigungsminister Doskozil. Und dieser würde durchaus gerne auch als Nummer zwei in die Regierung gehen.

Auch von der SPÖ-Linken kann man mittlerweile immer öfter – und ganz unabhängig von Häupl – schon direkte Kritik an Kern vernehmen. So wird etwa ein in der Steiermark aufgenommenes neues Video des Parteichefs in sozialen Medien vom linken Flügel öffentlich zerfetzt. In diesem gibt Kern, wenn auch leicht herumredend, zu, dass manche Kritik an der Migration berechtigt sei. Mehr hat er nicht gebraucht: Von seinen Kritikern werden nun sogar schon lange Namenslisten vieler anders als Kern denkender SPÖ-Promis veröffentlicht. Fast noch erstaunlicher ist, dass auch schon jener "Falter"-Redakteur, den man bisher ständig für den heimlichen Pressesprecher der SPÖ halten musste, linke Kritik an Kern übt.

Weder Niessls Äußerungen noch die Attacken von links haben zwar etwas mit Häupl zu tun. Aber alles zusammen zeigt eine schwere Krise der SPÖ, in der immer mehr Wunden aufbrechen, in der niemand mehr an den Parteichef glaubt, dass er den ganzen Verein noch zusammenhalten könnte. Die Partei ist ideologisch in allen Fragen ganz tief gespalten. Nirgendwo ist Energie in Sicht, die diesen Riss noch kitten könnte. Das ist schlimm in einem Wahlkampf. Aber noch viel schlimmer wird es nach der erwartbaren Wahlniederlage zugehen.

Das erinnert übrigens stark an die FPÖ, nämlich jeweils in den Zeiten, nachdem sie in eine (rot oder schwarz geführte) Regierung gegangen war. Der brutale Sturz Stegers durch Haider kommt einem da ebenso wie die Revolution Straches gegen Haider in Erinnerung.

Das alles erinnert genauso stark an den Zustand der ÖVP fast in den ganzen letzten 50 Jahren, mit Ausnahme der Jahres 2002. Da denkt man etwa an die ständigen Busek-Intrigen gegen Alois Mock. Oder an Willi Molterer, wie er 2008 von allen Landesparteien total im Stich gelassen worden ist. Oder an Michael Spindelegger, der beim Abschied offen über "Intriganten" in der Partei klagte, die ihn sabotiert hätten (ganz eindeutig gegen die Herrn Leitl und Mitterlehner gemünzt).

Zwar ist jetzt auch Reinhold Mitterlehner im Unfrieden gegangen. Aber bis auf Christian Kern habe ich noch keinen einzigen gefunden, der ihm eine Träne nachgeweint hätte.

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