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Angela Merkel wird zwar vorerst deutsche Bundeskanzlerin bleiben. Dass sie aber auch bei den nächsten Wahlen noch an der Spitze von Land und CDU stehen wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Es ist erstens durchaus fraglich, ob sie überhaupt eine Koalition zusammenbringen wird. Und zweitens wird schon seit Sonntagabend in zahlreichen internen CDU-Zirkeln über ihren Abgang diskutiert. Deshalb preschen umgekehrt ihre persönlichen Vasallen schon panisch in der Öffentlichkeit mit der – Merkel-typischen – Behauptung vor, die Kanzlerin wäre alternativlos.
Am wichtigsten an den Änderungen im deutschen Bundestag ist eine, die erst auf den zweiten Blick deutlich wird. Dort hat es bisher trotz einer klaren Bevölkerungsmehrheit rechts der Mitte eine klare Abgeordnetenmehrheit links der Mitte gegeben (als Folge der Fünfprozent-Klausel, an der FDP und AfD bei der vorletzten Wahl jeweils knapp gescheitert waren). Künftig hingegen gibt es auch im Parlament eine klare Mehrheit rechts der Mitte.
Solche Mehrheitskonstellationen sind relevant – selbst wenn in der Koalition höchstwahrscheinlich auch künftig eine linke Partei sitzen sollte.Für Merkel fällt jetzt nämlich die beliebteste Erklärung für ihren katastrophalen Linkskurs in den zentralen Themenbereichen Flüchtlinge/Überfremdung und Euro/EU/Griechenland weg. Diese bestand im Verweis auf die linke Mehrheit im bisherigen Bundestag, deren Aktivierung Merkel immer fürchten musste. Trotz dieser nunmehrigen Schwerpunktverlagerung will Merkel aber dennoch an ihrem Linkskurs keine Änderung vornehmen. "Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten", erklärte sie nun auch nach der Wahl.
Daher bleiben nur zwei andere Erklärungen für Merkels Kurs:
Mit ihrer Haltung in diesen zwei zentralen Themenbereichen dürfte es ihr aber schwerfallen, eine Koalition zu bilden und im Amt zu verbleiben. Zu diesen beiden Hauptthemen des Merkelschen Versagens könnte man auch noch den von ihr über Nacht verhängten Atomausstieg, die ebenso plötzliche "Ehe für alle" sowie die Abschaffung der Wehrpflicht als Punkte nennen, wo sie ebenfalls jeweils scharf nach links abgebogen ist.
Es kann ihr mit diesem Kurs sicher nicht gelingen, den weiteren Abstieg der Unionsparteien in der Gunst der deutschen Bürger zu verhindern. Denn diese wollen entschieden weit mehr als das, was Merkel jetzt ankündigt: "Auf die Menschen zugehen und das Gespräch suchen".
Nein danke, die Bürger brauchen und wollen keine substanzlose Gesprächstherapie bei einer Psychotante. Eine Mehrheit der Deutschen verlangt vielmehr eine fundamental andere Politik. Die Menschen haben sehr gut ganz ohne Merkels "Gespräche" mitbekommen, was in Deutschland passiert, auch wenn das die Medien (vor allem die öffentlich-rechtlichen) zu verschweigen versucht haben. Und viele wollen diese Politik nicht – auch solche, die noch einmal CDU gewählt haben.
Gewiss: Kein Politiker ist bereit, am Wahlabend eine grundsätzliche Änderung seiner Politik zu verkünden, weil das ein Eingeständnis von Fehlern wäre. Daher bleibt die (sehr) kleine Hoffnung, dass Merkel angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse sehr wohl ihre Politik ändern wird, dies aber – getreu ihrer bisherigen Einschläferungs-Taktik – nicht öffentlich zugeben will.
Eine solche Strategie wird aber nicht gelingen. Denn Merkels potenzielle Koalitionspartner werden auf der deutlichen Verkündigung eines politischen Kurswechsel bestehen, wollen sie selbst halbwegs glaubwürdig bleiben. Setzen sie eine solche Änderung nicht durch, gehen sie beim nächsten Mal selber total unter. Dies trifft ganz besonders auf die Schwesterpartei CSU zu. Denn diese muss sich schon 2018 im von ihr derzeit mit absoluter Mehrheit regierten Bayern der Wiederwahl stellen.
Davor kann CSU-Chef Seehofer absolut nichts mehr riskieren. Davor kann er keinerlei Kompromisse mit Merkel eingehen, wenn er überleben will. Haben doch die Wähler zuletzt von ihm stark dem Eindruck eines Dackels gewonnen, der zwar ständig laut bellt, der sich aber jedes Mal von Merkel brav wieder an die Leine legen lässt. Seehofer hat dadurch deutlich mehr an Glaubwürdigkeit verloren als Merkel. Daher ist die Durchsetzung einer schärferen Migrationspolitik für ihn unabdingbar.
In der Sache selbst mag dahingestellt bleiben, ob Seehofers Insistieren auf einer "Obergrenze" wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. In Wahrheit braucht es andere, viel konkretere und konsequentere Maßnahmen (dazu müsste viel von dem gehören, was Sebastian Kurz seit längerem vorschlägt: eine "australische" Lösung des Rücktransports aller illegalen Migranten, eine radikale Reduktion der Wohlfahrtsleistungen für Migranten, eine hundertprozentige Abschiebung aller abgewiesenen Asylwerber sowie die Reduktion der Asylgewährung auf die konkreten Einzelfälle der Genfer Flüchtlingskonvention).
Genauso schwierig wird aber auch die Einbindung der FDP werden. Diese hat ja das traumatische Erlebnis, beim letzten Mal vor allem deshalb aus dem Bundestag geflogen zu sein, weil Merkel die Partei davor in der Koalition politisch erdrückt hat. Die FDP wird daher vor allem in Sachen EU, Griechenland und Euro eine ganz andere Politik durchsetzen wollen. Und müssen, will sie sich nicht selbst endgültig atomisieren.
Dabei geht es nicht nur um den falschen Kurs der letzten vier Jahre. Dabei geht es seit einigen Monaten überdies auch darum, den europapolitischen Wünschen des französischen Präsidenten Macron ein großes Stoppschild entgegenzusetzen. Dieser hat viele Vorschläge gemacht, welche auf die endgültige Umwandlung der EU in eine Schulden- und Transferunion hinauslaufen. Macrons Ideen würden bedeuten, dass Deutschland nach der teuren Griechenland-Dauerrettung auch für Italien und Frankreich in die Tasche greifen muss – was ein Vielfaches der Belastungen bringen würde. Dennoch hat Merkel schon mehrmals angedeutet, dass sie nach der Wahl viel Verständnis für Macrons Forderungen aufbringen wird.
Das läuft jedoch diametral den Intentionen der FDP zuwider. Das weiß auch Macron und sagte deshalb schon: "Wenn sich Merkel mit den Liberalen verbündet, bin ich tot". Das wissen auch die Griechen: Dort sind die Börsenkurse nach dem FDP-Erfolg steil gefallen.
Angesichts dieser beiden Konfliktzonen mit CSU und FDP sind die Grünen als dritter benötigter Partner für Merkel das relativ geringste Problem. Hat sie doch schon längst viele grüne Kernpositionen übernommen (vom Atomausstieg bis zum Pariser Klimavertrag).
Für die CSU – in Sachen Migration – und vor allem für die FDP sind die Grünen hingegen nur sehr schlecht verdaulich. Vor dem Wahltag haben sich Grüne und FDP jedenfalls gegenseitig ausgerichtet, keinesfalls miteinander in eine Koalition gehen zu wollen. Die Konfliktzonen reichen vom grünen Kampf gegen die Auto- und Energieindustrie bis zu ihrer Vorliebe für noch mehr Umverteilung. Überall steht die FDP für das Gegenteil. An Österreich erinnert eine weitere grün-gelbe Differenz, nämlich die rund um das Stichwort Mietpreisbremse. Die Grünen wollen diese verschärfen, die Freidemokraten abschaffen.
Bei all diesen Streitpunkten wird Merkel wohl nur noch die mütterliche Moderatorin spielen können. Eine eigene CDU-Identität kann es zwischen diesen beiden Polen hingegen nicht mehr geben.
Die Koalitionsfrage wird daher ein gigantisches Problem werden. In einer Vierparteivariante wird jeder jeden zu erpressen versuchen. Daher ist es durchaus nachvollziehbar, wenn Merkel von der ersten Sekunde des Wahlergebnisses an um die SPD wirbt, wenn sie trotz der roten Absage an ein Weiterregieren unbedingt mit den Sozialdemokraten "im Gespräch bleiben" will. Denn sonst ginge Merkel ja "alternativlos", und damit total geschwächt, in die Koalitionsverhandlungen mit Gelb-Grün.
Außerdem weiß sie ja schon, wie mit der SPD umzugehen ist. Merkel könnte bei Schwarz-Rot trotz des Wahlergebnisses alles beim alten belassen. Freilich weiß umgekehrt die SPD, dass für sie als Partei eine neuerliche Koalition mit Merkel geradezu tödlich wäre.
Nun ist guter Rat teuer. Und es ist wohl das erste Mal nach deutschen Nachkriegswahlen überhaupt, dass sofort in vielen Analysen das böse Wort von der Notwendigkeit neuerlicher Neuwahlen vorkommt.
Vorerst will niemand in Berlin von einer Rechtskoalition der CDU mit AfD, CSU und FDP reden. Da gäbe es zwar inhaltlich die geringsten Reibungspunkte – wenn man von der persönlichen Aversion Merkels und ihres Clans absieht. Aber dennoch ist eine Rechtskoalition unwahrscheinlich: Zum einen sieht sich die AfD nicht einmal selber als regierungstauglich an (was etwa auch durch den überraschenden Rücktritt der bisherigen Parteichefin Petry während einer Pressekonferenz der gesamten Parteispitze bestätigt wird). Und zum anderen ist die AfD umgekehrt für den Merkel-loyalen Flügel der CDU unberührbar. Während FDP und CSU damit viel weniger Probleme hätten.
Es ist daher zweifellos nur eine Frage der Zeit, bis auch der erste CDU-Exponent zu fragen wagt: Warum nicht mit der AfD ins Gespräch kommen? Diese Frage wäre freilich auch eine Frontalattacke auf Merkel.
Damit sind wir bei der letztlich unvermeidlichen Frage: Wie lange bleibt Merkel?
Beides heißt normalerweise in jeder anderen Partei der Welt: Der Parteiobmann muss gehen. Insbesondere dann, wenn der schwere Stimmenverlust eindeutig auf schwere persönliche Fehler dieses Parteichefs zurückgeht. Merkel aber will das nicht wahrhaben. Denn vorläufig ist sie sicher. Vorläufig fehlt in der CDU eine sich zwingend anbietenden Alternative. Merkel hat ja in den letzten Jahren fast alle potenziellen Führungsköpfe wie etwa den früheren Fraktionschef Friedrich Merz erfolgreich hinausintrigiert. Daher bieten sich den Merkel-Kritikern in der CDU derzeit nur zwei eher ungewöhnliche Alternativen an.
PS: Bezeichnend für den Hang der politikmedialen Blase zu Nebensächlichkeiten ist die bereits einsetzende Personaldebatte (Der grüne Cem Özdemir als Außenminister? FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister? Kann Merkel Schäuble auf den Posten des Bundestagspräsidenten abschieben?). Das alles verblasst freilich hinter den völlig ungelösten grundsätzlichen Richtungsfragen. Aber Personalspekulationen sind halt immer lustiger als Inhaltsfragen.
PPS: Die gleiche Wahrscheinlichkeit wie bei Angela Merkel, dass wir die gegenwärtigen Parteichefs bei der nächsten Wahl nicht mehr sehen werden, besteht übrigens bei den Vorsitzenden von SPD und CSU. Aber das ist jeweils schon wieder eine ganz andere Geschichte …