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Sebastian Kurz ist es gelungen, sein Kandidatenteam mit ein paar Gustostückerln zu einem sehr eindrucksvollen zu machen. Er hat vier spannende und kompetente Quereinsteiger gefunden, womit er alle anderen Parteien, und erst recht auch die ÖVP der letzten Nationalratswahlen weit übertrifft. Dennoch darf man keineswegs verschweigen: Das Kurz-Team hat eindeutige Defizite, und jetzt schon erkennbare Problemzonen.
Tatsache ist, dass Josef Moser, Rudolf Taschner, Efgani Dönmez und Martin Engelberg tolle Bereicherungen sind. Sie sind so ziemlich das Beste, was derzeit an spannenden Persönlichkeiten in Österreich auftreibbar ist. Vor allem der ehemalige Rechnungshofpräsident Moser und der Wissenschaftler Taschner sind fast Pflichtbesetzungen für einschlägige Ministerämter. Sie übertreffen an Intelligenz und Sachkompetenz das meiste, was man derzeit in dieser Regierung sieht.
Moser ist die fast letzte Hoffnung, dass es doch noch zu einer substanziellen Verwaltungsreform kommt. Das qualifiziert ihn für das Finanzministerium, aber auch für ein neues Verwaltungsreform-Ressort. Er ist nicht der Typ, der sich dabei von Beamten, Bundesländern oder Sozialpartnern bremsen ließe.
Taschner wiederum ist geradezu prädestiniert, nach den jämmerlichen Vorstellungen der diversen Minister in den letzten Jahren ein großes Bildungsressort zu führen, in dem alle Bildungsstufen zusammengeführt, in dem wieder auf Qualität und Vielfalt statt auf Gleichmacherei und Masse geschaut wird. Das immer tiefere Absinken der heimischen Unis in internationalen Rankings ist nur eine aktuelle Bestätigung für diese Notwendigkeiten. Taschner ist nach langem auch wieder ein echter Intellektueller im Parlament, dem zuzuhören echte Freude macht.
Kurz ist hoffentlich so viel Klugheit zuzutrauen, dass er die beiden nicht im Parlament verhungern lassen wird, wo ja noch jeder Quereinsteiger abgestürzt ist, sondern in die Regierung holt (sofern die ÖVP bei der Regierungsbildung mit dabei ist und nicht durch eine rot-blaue Achse ausgespielt wird).
Auffallend ist, dass der ÖVP-Chef sowohl einen prominenten Ex-Grünen wie einen prominenten Ex-Blauen auf seiner Liste hat. Das ist ein klares Willkommens-Signal an Wähler dieser beiden Lager. Damit verhindert er aber auch, dass man ihm einen einseitigen Grün- oder Blau-Ruck anhängen kann.
Gescheitert ist er hingegen beim Versuch, den pinken Schellhorn anzulocken. Auch bei den Neos will Kurz ja Wähler anlocken. Bei SPÖ-Politikern hat er es wohl gar nicht versucht. Wen sollte man dort auch einladen, der nicht mehr Wähler abschreckt als anzieht?
Auch der Moslem Dönmez und der Jude Engelberg sind ein interessanter Kontrast. Die beiden sind aber vor allem weit jenseits der Religion von Bedeutung.
Der aus der Türkei abstammende Dönmez steht für einen klaren Akzent auf echte Integration der Zugewanderten, die sich total von der gescheiterten Multikulti-Ideologie, vom islamistischen Fundamentalismus und vom türkischen Erdogan-Chauvinismus unterscheidet. Er steht in offener Konfrontation mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft und den Moslembrüdern (diese sind auf Grund der geheimen Mitgliedschaft zwar nicht deklariert, aber deutlich erkennbar vielerorts eingesickert). Engelberg wieder ist einer der mutigsten Exponenten einer leistungsorientierten Marktwirtschaft, der weiß, was da international alles los ist.
Zu diesem Quartett ist Kurz zu gratulieren. Gratulation auch dazu, dass er mit diesen Kandidaten den anfänglich entstandenen Eindruck ausradiert hat, er mache seine "Bewegung" zur Außenstelle der Jungen ÖVP. Ebenso dazu, dass er zwei Altlasten der bisherigen ÖVP-Regierungsmannschaft sanft, aber energisch entsorgt hat. Die Minister Karmasin und Brandstetter finden sich auf keiner Kandidatenliste. Das ist eindeutig gut so – sofern nicht Brandstetter am Ende ohne Umweg über ein Parlamentsmandat wieder Justizminister werden sollte. Was wieder eindeutig schlecht wäre.
Gut ist hingegen jedenfalls, dass der sich kompromisslos und mutig schlagende Innenminister Sobotka wieder kommen wird (der sich als erster in der feigen Mitterlehner-ÖVP gegen Christian Kern zu stellen gewagt hat und darauf fast gekillt worden wäre). Das gilt im Wesentlichen auch für Landwirtschaftsminister Rupprechter.
Bei Finanzminister Schelling ist ein Comeback hingegen fraglich: Er redet zwar gut, ist aber inhaltlich dann zu oft umgefallen und auch Opfer von schlechten Legisten in seinem Ministerium. Auch der derzeitige Wissenschaftsminister Mahrer würde niemandem abgehen.
Gleichzeitig ist Kurz aber auch Beileid auszusprechen. Denn kein einziger der vier zuvor gelobten Quereinsteiger-Stars wird so bequem zu führen sein, wie es normalerweise Parteichefs bei ihren Parlamentariern gerne hätten. Jedem von ihnen ist sogar ein offener Konflikt mit dem Parteiobmann zuzutrauen, wenn es zur Sache geht. Denn alle Vier sind weit außerhalb der Volkspartei zu erfolgreichen Persönlichkeiten herangewachsen, sind also der Partei im Unterschied zum traditionellen Abgeordnetentypus zu keinem Dank verpflichtet. Sie sind auch ohne Partei etwas.
Moser wie Taschner sind überdies schon über 60 Jahre alt. Das gibt ihnen die absolute Freiheit des Alters. Sie brauchen um keinen Anschlussjob zu betteln, wenn es in der nächsten Legislaturperiode zum Krach kommen sollte. Und Dönmez hat sogar schon einmal gezeigt (bei seiner früheren Partei, den Grünen), dass er lieber geht, als sich einer von ihm abgelehnten Parteilinie unterzuordnen.
Unsinn sind jene Kommentare, die derzeit von einer Zertrümmerung der alten ÖVP schreiben. Denn Kurz hat ja nur die Bundesliste gestaltet und bei einigen Landes-Spitzenkandidaten Einfluss genommen. Die Mehrheit der ÖVP-Abgeordneten kommt hingegen auch künftig auf durchaus traditionellem Weg ins Parlament, also über Länder und Bünde. Kurz verweigert der bisherigen ÖVP-Mannschaft nur den Joker eines Bundeslistenmandats: Wer schon bisher in der Politik aktiv gewesen ist, soll sich jetzt daheim in der Region vor den Wählern beweisen.
Dabei sind nur zwei ÖVP-Bereiche offensichtlich unter die Räder gekommen. Das eine ist jene ÖAAB-Strömung, die geglaubt hat, die ÖVP müsse die SPÖ links überholen. Das andere ist die Sozialpartner-WKO, also Mandatare, die wie Christoph Leitl ständig an Packelei denken und nicht begreifen, dass der Wirtschaftsliberalismus nur dann reüssieren kann, wenn er mit den Konservativen kooperiert. Statt dessen wird die ÖVP-Wirtschaftspolitik künftig von ganz neuen, viel weniger glattgeschliffenen Exponenten wie Hörl, Krenn und eben auch Moser sowie Engelberg geprägt werden.
Kurz wird wohl bald entdecken, dass er die wenigen guten Routiniers in der ÖVP noch dringend brauchen wird, obwohl er sie bisher eher brüsk behandelt hat. Denn die Arbeit im Parlament und im politischen Alltag erfordert sehr viel einschlägige Erfahrung. Dort lauern viele Fallen. Daher sollte er dankbar sein etwa für die Herrn Lopatka und Amon, die über Regionallisten ins Parlament kommen dürften. Denn gerade im Hohen Haus werden die neuen Strahlemänner – so kompetent sie in ihren Bereichen auch sind – noch viel zu lernen haben. Dort würden sie ohne erfahrene Kollegen sehr oft auf Glatteis geraten.
Das alles ist eine durchaus positive Bilanz – sie kann aber überhaupt nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch diese aufgewertete ÖVP-Mannschaft inhaltlich arge Schwachstellen hat. So ist weit und breit niemand zu sehen, der den Bereich Justiz auch nur irgendwie abdecken könnte, obwohl es sich dabei um die eigentliche Hauptaufgabe eines Gesetzgebungskörpers handelt. Eigentlich bräuchte man ja drei Experten, einen für Verfassung und Europarecht, einen fürs Strafrecht, und einen fürs Wirtschaftsrecht. Lediglich Strafrecht und Sicherheit sind durch Sobotka und den neuen Polizei-Mann Mahrer abgedeckt (der nichts mit dem Minister zu tun hat). In den anderen Rechts-Bereichen sind andere Parteien besser aufgestellt (unabhängig davon, ob Kurz in der Regierung selbst wieder auf Brandstetter setzt).
Ein Vakuum stellt auch das ganze, gerade für eine wertkonservative Partei so wichtige, wenn auch schwierige Thema Familie und Familienrecht dar. Gerade hier hat Leitls Anti-Familienlinie viel Schaden angerichtet. Das ist daher auch nicht zufällig der zweite Bereich, in dem ein ÖVP-Minister völlig gescheitert ist.
Ebensowenig gibt es weit und breit niemanden, der sich mit Kompetenz der Kultur annehmen könnte. Diese ist aus ganz anderen Gründen ebenfalls ein für die bürgerliche Partei heikles Thema. Seit die linke Kulturszene den einstigen Staatssekretär Franz Morak in wirklich schäbiger Art total zertrümmert hat, wagt sich offenbar kein Schwarzer, dem sein Leben lieb ist, an diesen Bereich heran. Selbst die in früheren Funktionen so temperamentvolle Maria Fekter hat daher als offizielle Kultursprecherin vor allem geschwiegen.
Auch gibt es weit und breit niemanden in der ÖVP, der den Bereich Zeitgeschichte irgendwie abdecken könnte. Dieser ist ja nur scheinbar unwichtig. Aber gerade bei der zuletzt ungehinderten Umschreibung der österreichischen Zeitgeschichte hat die SPÖ unglaublich viel erfolgreiche ideologische Arbeit getan.
In dieser Liste notwendiger, aber auch weiterhin nicht abgedeckter Sachkompetenz müsste man auch noch die Stichwörter Pensionsproblematik, Gesundheitssystem, Verkehr (ÖBB!) und Energie aufnehmen.
Das Auffallendste an der nun vorliegenden Kandidatenansammlung aber ist die Geschlechter-Komposition: Sämtliche interessanten Kandidaten mit ausstrahlender Sachkompetenz sind Männer. Dennoch hat Kurz an seinem krampfhaften Reißverschlusssystem festgehalten. Das hat ihn gezwungen, jede zweite Position mit ausgedienten Landesstudio-Moderatorinnen, Ex-Missen, Opernballorganisatorinnen oder verunglückten Sportlerinnen füllen.
Keine einzige der weiblichen Kandidatinnen bringt etwas von den beiden Dingen mit, welche die Volkspartei so wie auch jede andere Partei im Parlament brauchen würde: Sachkompetenz oder Wählerattraktivität. Am besten beides.
Dieses Defizit wird sich wohl in den Vorzugsstimmen niederschlagen. Aber damit die Vorzugsstimmen wirklich wirksam werden und weitere spannende Kandidaten am Reißverschluss vorbei ins Parlament bringen könnten, liegt in den allermeisten Bundesländern die Latte doch zu hoch (auch wenn sie bei der ÖVP jedenfalls deutlich niedriger ist als bei den anderen Parteien). Es sei denn, zahlenstarke ÖVP-nahe Organisationen beginnen einen Vorzugsstimmenwahlkampf.
Dieses Defizit hat offenbar Kurz auch selber die Möglichkeit genommen, die oben skizzierten Defizitbereiche durch weitere interessante Quereinsteiger abzudecken.
Hat sich der ÖVP-Chef zumindest insgeheim den Fehler eingestanden, den er als Konzession an den linken Zeitgeist von vorgestern – dem er sonst so tapfer widersteht – durch Zwangsquote und Reißverschluss begangen hat?