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Kerns schnell vergorener Vollholler

Und schon wieder hat der SPÖ-Vorsitzende eine 180-Grad-Wendung versucht. Aber es sollte niemand die Wende merken. Sie erfolgte zwar in die richtige Richtung, sie ist aber unernst, nebulos und widersprüchlich. Und vor allem wird die Glaubwürdigkeit von Christian Kern durch all seine vielen Haken und Rückzieher nicht gerade größer. Insbesondere dann nicht, wenn er zugleich den überhaupt größten außenpolitischen Fehler seiner Amtszeit begeht.

Der Anlass der Wende ist klar: Irgendjemand muss dem SPÖ-Chef offenbar endlich beigebracht haben, dass die Themen Massenmigration und Mittelmeerroute für ihn desaströs sind. Aber wie kann man das glaubwürdig machen?

Hat der Mann doch selbst noch vor wenigen Tagen das seit Jahr und Tag von ÖVP-Chef Kurz (und noch länger von diesem Tagebuch und den Freiheitlichen) geäußerte Verlangen nach einer Unterbrechung dieser Route wörtlich als "Vollholler" bezeichnet. Wie soll da glaubwürdig eine Wende gelingen?

Diese Formulierung konnte ja keineswegs als unbeabsichtigter und isolierter Lapsus linguae heruntergespielt werden. War es doch in den letzten Jahren eindeutige Mehrheitslinie der SPÖ, allen "Hilfesuchenden" Aufnahme und Asylmöglichkeit zu gewähren und gegen die Sperre der Mittelmeerroute aufzutreten.

Vor allem wird Kern auch persönlich mit dieser Welcome-Linie identifiziert. Aus gleich drei jedem Österreicher erinnerlichen Gründen:

  1. Sein Vorgänger Faymann hat ihm ja gerade deshalb den Sessel freigeben müssen, weil Faymann in den letzten Wochen davor genau dasselbe versucht hatte, nämlich von der bisherigen Welcome-Politik abzugehen. Und genau das hat die SPÖ-Basis nicht akzeptiert (siehe 1. Mai 2016). Wie soll man da jetzt glaubwürdig noch deutlicher als Faymann gegen die Massenmigration sein?
  2. Kern und seine Hilfstruppen haben gerade in diesem Themenkomplex den ÖVP-Konkurrenten Sebastian Kurz ständig wegen seiner "harten" Linie kritisiert und attackiert.
  3. Kern hat darüber hinaus vor allem in seiner früheren Funktion als ÖBB-Chef eine noch viel persönlichere Verantwortung für die Massenmigration auf sich geladen. Denn allein zwischen September 2015 und April 2016, also in acht Monaten, haben die ÖBB unter seiner Verantwortung (und laut seinen eigenen früheren Angaben) nicht weniger als 300.000 solcher Flüchtlinge transportiert! Kern hat dafür 674 Sonderzüge und 1.335 Busfahrten der ÖBB in Bewegung gesetzt, sowie 70.000 Übernachtungen in Gebäuden und Hallen der ÖBB organisiert.
    Die Verantwortung für all das hätte Kern neuerdings zwar gerne aus seinem Lebenslauf gestrichen. Aber vorerst sind die Beweise noch durchaus auffindbar. Diese Vergangenheit ist für Kern doppelt unangenehm, als er als ÖBB-Chef der Republik damals von den entstandenen Gesamtkosten von 15 Millionen Euro bloß fünf Millionen Euro in Rechnung gestellt hat!
    Hätte der Chef eines privaten Unternehmens, oder ein Oppositionspolitiker so gehandelt, hätten beide heute mit Sicherheit ein Untreue-Verfahren wegen eines Millionenschadens für das Unternehmen am Hals, sowie einen Schlepperei-Prozess.
    Aber auch dieses Delikt gilt nur für kleine Taxi-Chauffeure, und natürlich nicht für einen amtierenden SPÖ-Politiker (im übrigen gar nicht zu reden von dem seltsamen und ebenfalls von Kern zu verantwortenden Maulkorb, der damals den ÖBB-Mitarbeitern umgehängt worden ist – dadurch konnten diese immer nur hinter vorgehaltener Hand über die in den Zügen entstandenen Zerstörungen informieren).

Jetzt hat Kern offensichtlich entdeckt, dass all das für ihn am Wahlabend zur Katastrophe werden dürfte, dass seine Partei möglicherweise nur Nummer Drei werden könnte, und dass er dann deshalb wohl umgehend zurücktreten müsste.

Daher versucht er nun zusammen mit seinem Verteidigungsminister Doskozil verzweifelt eine Wende, die aber niemand als solche merken soll. Weil Fehler zuzugeben ist unter Kerns Würde (ja wirklich, für so blöd hält man in der SPÖ die Österreicher).

Aber schon der erste Versuch der Wende war stümperhaft vorbereitet worden und musste von Kern selbst abgebrochen werden. Das war die aus heiterem Himmel erfolgte Doskozil-Ankündigung der Vorbereitung einer Entsendung von Panzern und 750 Mann an den Brenner. Diesen von keinerlei Konzept begleiteten Vorstoß hat Kern nach 48 Stunden zur Gänze selbst sofort zurückgepfiffen, als Italien wild zu protestieren begann (außerdem stand ja ein paar Tage später eine Kern-Reise nach Italien auf dem Programm ...).

Kern sieben Schrittlein

Der zweite Versuch der Wende wurde nun großspurig "Sieben-Schritte-Plan" getauft. Und die Ankündigung klingt auch gut und lobenswert, dass damit die illegale Migration auf "Null" gedrückt werden solle.

Freilich erst 2020. Aber das ist noch gar nicht der größte Haken an dem neuen Kern-"Plan" (beim wievielten inszenierten Kern-"Plan" sind wir eigentlich?). Viel schlimmer ist, dass kein einziger der sieben Punkte auch nur annähernd imstande ist, dieses "Null"-Ziel zu erreichen.

Denn es wimmelt darin nur so von hohlen Politiker-Vokabeln wie "verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern Westafrikas", "Marshall-Plan für Nordafrika", "Intensivierung von Informationskampagnen an Migranten", oder Verlangen nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in Afrika ...

An zwei Stellen ist auch von "verstärkten Rückführungen" nach Afrika und von "Aufnahmezentren" die Rede. Aber ohne irgendwelche Details. Daher deutet absolut nichts darauf hin,

  • dass Kern wenigstens jetzt den entscheidenden Schritt hin zum "australischen Beispiel" gehen würde (wie es ÖVP und FPÖ schon lange als entscheidend angesprochen haben);
  • dass er die unmittelbare und zwangsweise Rückführung sämtlicher Schlepper- und NGO-Schiffe mit "Flüchtlingen" an die afrikanische Küste verlangen würde (wie es ÖVP und FPÖ tun);
  • dass er zugeben würde, dass man die Asylrechtspraxis fundamental ändern und rechtlich auch gegen die bisherige Judikatur von europäischen Höchstgerichten durchsetzen müsste (was ÖVP und FPÖ tun);
  • dass er verlangen würde, allen afrikanischen Staaten, die nicht alle Migranten wieder zurückzunehmen, die gesamte Entwicklungshilfe zu streichen und sie auch zu boykottieren (wie es bisher nur die FPÖ getan hat);
  • oder dass er gar aussprechen würde, dass es für unfreiwillige Rückführungen und für die Sicherung von Lagern in Nordafrika, wohin alle Migranten zurückzubringen wären, auch robuste Militäreinsätze bräuchte, wo sich auch Österreich nicht hinter der Neutralität verbergen dürfte (worüber freilich auch  ÖVP und FPÖ nicht so deutlich reden, was vor allem der in letzter Zeit wieder sehr Neutralitäts-dogmatisch gewordenen FPÖ schwerfallen würde, aber was unvermeidlich wäre, wenn Europa die Millionen-Invasion wirklich stoppen will).

In Wahrheit will Kern also nur den Anschein erwecken, einen klaren Plan zu haben. Er will zwar seine Vergangenheit als einer der wichtigsten (und auf der Linken auch hochgelobten) Migrations-Helfer und Schlepper verwischen. Er will gleichzeitig auch den beiden Rechtsparteien streitig machen, dass sie die einzigen Antimigrationsparteien sind – aber gleichzeitig will er den eigenen linken Parteiflügel und linke Wähler nicht wirklich verärgern (die gerade angesichts des grünen Multiorganversagens auf Orientierungssuche sind).

Eine solche Doppelstrategie kann nicht funktionieren, sondern macht Kern nur noch zusätzlich unglaubwürdig und lässt ihn als unsicher und wankelmütig erscheinen (deswegen hat er ja auch mehrfach versucht, Doskozil vorzuschicken).

Am verräterischsten aber ist rund um den ganzen Plan folgender Satz Kerns: "Es muss eine Figur geben, die die gesamte Verantwortung übernimmt". So stellt er sich also in Wahrheit die Lösung des derzeit größten Problems Europas und Österreichs vor: Man kann alle Schuld und Verantwortung auf eine noch zu findende "Figur" abschieben. Dann hätte er das so unangenehme Thema endlich vom Hals. Dann könnte niemand mehr ihm oder der SPÖ die Verantwortung geben. Dann könnten sich die europäischen Regierungschefs wieder mit leichteren Fragen begnügen.

Wie sich der kleine Christian Kern die Welt halt so vorstellt oder zumindest wünscht …

Der Vorschlag erinnert übrigens lebhaft an die Politik Bruno Kreiskys: "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ‘ ich einen Arbeitskreis." Das hat damals eine Zeitlang als Ablenkung der Medien von ungelösten Problemen und parteiinternen Widersprüchen auch tatsächlich funktioniert. Das geht heute aber keinesfalls mehr. Auch wenn man das abgenutzte Wort "Arbeitskreis" durch "Figur" – oder "Verantwortlicher" oder "Beauftragter" – ersetzt.

Also alles nur heiße Luft, nur Produktion von Nebel, der verbergen soll, dass Kern halt neuerlich die Wende versucht hat?

Der außenpolitische Provokateur

Nein, nicht ganz. Kern hat bei seinem missglückten Wende-Versuch vielmehr darüber hinaus massiv außenpolitisches Porzellan zerschlagen. Er hat nämlich gleichzeitig den vier Visegrad-Staaten den Kampf angesagt. Er hat Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn namentlich genannt und ihnen ausdrücklich finanzielle Konsequenzen beim nächsten EU-Budget angedroht, wenn sie Italien und Griechenland keine "Flüchtlinge und Migranten" abnehmen.

Was aus vielen Gründen eine wirkliche Dummheit ist. Weil:

  1. Österreich ja auch selbst nur in symbolischer Dimension und weit unter den Zahlen eines einstigen EU-Beschlusses umverteilte "Flüchtlinge" aufgenommen hat;
  2. auch in diesem Punkt Doskozil zuerst mit einem "Wir nehmen keinen Einzigen" vorgeprescht war und dann zurückgepfiffen werden musste;
  3. keiner der vier Staaten auch nur ansatzweise Migranten aufnehmen wird (höchstens die Slowakei eine Handvoll zum Schein);
  4. die Mehrheit auch der Österreicher in Wahrheit für die vier Länder viel Verständnis hat;
  5. nicht ausgerechnet Österreich vorpreschen muss, um Druck (=Migranten) von Italien und Griechenland zu nehmen, die ja beide lange als primär für den EU-Außengrenzschutz Hauptverantwortliche versagt haben und statt dessen eine links-katholisch-lethargisch-illusionäre Alle-Hereinlassen-Politik verfolgt haben;
  6. von den vier Visegrad-Staaten nicht weniger als drei direkte Nachbarstaaten Österreichs sind;
  7. diese Visegrad-Gruppe fast die einzige sinnvolle Perspektive darstellt, wie sich Österreich endlich außenpolitische Freunde in seiner eigenen Region schaffen könnte (Sozialisten schwärmen freilich lieber von Kuba und Venezuela als von den eigenen Nachbarn, die sie seit Fall des Eisernen Vorhangs insgeheim verachten …);
  8. diese Visegrad-Staaten der dynamischste Wachstumsraum Europas sind;
  9. Österreich mit ihnen wirtschaftlich engst verbunden ist;
  10. die Vier vier Mal so viel Stimmgewicht in der EU haben wie Österreich, sich also sehr leicht revanchieren könnten;
  11. damit Österreich ähnlich wie bei den Brenner-Panzern leere Drohungen ausstößt, die letztlich nicht durchhaltbar sein werden.

Diese Kampfansage ist damit überhaupt die größte außenpolitische Dummheit, die Kern in seiner bisherigen Politkarriere begangen hat. Sie macht seine politische Bilanz noch trauriger, als sie ohnedies schon war. Es geht von einem Hoppala zum nächsten. Er hat auch keine geeigneten Berater.

Aber das ist das klare Ergebnis, wenn jemand Regierungschef wird, der zuvor keine einzige Stunde Minister, Abgeordneter, Landesrat oder zumindest Gemeinderat gewesen ist. Bei Verbund und ÖBB hat Kern ja höchstens gelernt, wie eine geschützte Staatswirtschaft funktioniert, aber nichts von der wirklichen Volks- oder Wettbewerbswirtschaft. Und schon gar nichts von der internationalen oder europäischen oder Nachbarschafts-Politik.

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