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Und schon wieder hat der SPÖ-Vorsitzende eine 180-Grad-Wendung versucht. Aber es sollte niemand die Wende merken. Sie erfolgte zwar in die richtige Richtung, sie ist aber unernst, nebulos und widersprüchlich. Und vor allem wird die Glaubwürdigkeit von Christian Kern durch all seine vielen Haken und Rückzieher nicht gerade größer. Insbesondere dann nicht, wenn er zugleich den überhaupt größten außenpolitischen Fehler seiner Amtszeit begeht.
Der Anlass der Wende ist klar: Irgendjemand muss dem SPÖ-Chef offenbar endlich beigebracht haben, dass die Themen Massenmigration und Mittelmeerroute für ihn desaströs sind. Aber wie kann man das glaubwürdig machen?
Hat der Mann doch selbst noch vor wenigen Tagen das seit Jahr und Tag von ÖVP-Chef Kurz (und noch länger von diesem Tagebuch und den Freiheitlichen) geäußerte Verlangen nach einer Unterbrechung dieser Route wörtlich als "Vollholler" bezeichnet. Wie soll da glaubwürdig eine Wende gelingen?
Diese Formulierung konnte ja keineswegs als unbeabsichtigter und isolierter Lapsus linguae heruntergespielt werden. War es doch in den letzten Jahren eindeutige Mehrheitslinie der SPÖ, allen "Hilfesuchenden" Aufnahme und Asylmöglichkeit zu gewähren und gegen die Sperre der Mittelmeerroute aufzutreten.
Vor allem wird Kern auch persönlich mit dieser Welcome-Linie identifiziert. Aus gleich drei jedem Österreicher erinnerlichen Gründen:
Jetzt hat Kern offensichtlich entdeckt, dass all das für ihn am Wahlabend zur Katastrophe werden dürfte, dass seine Partei möglicherweise nur Nummer Drei werden könnte, und dass er dann deshalb wohl umgehend zurücktreten müsste.
Daher versucht er nun zusammen mit seinem Verteidigungsminister Doskozil verzweifelt eine Wende, die aber niemand als solche merken soll. Weil Fehler zuzugeben ist unter Kerns Würde (ja wirklich, für so blöd hält man in der SPÖ die Österreicher).
Aber schon der erste Versuch der Wende war stümperhaft vorbereitet worden und musste von Kern selbst abgebrochen werden. Das war die aus heiterem Himmel erfolgte Doskozil-Ankündigung der Vorbereitung einer Entsendung von Panzern und 750 Mann an den Brenner. Diesen von keinerlei Konzept begleiteten Vorstoß hat Kern nach 48 Stunden zur Gänze selbst sofort zurückgepfiffen, als Italien wild zu protestieren begann (außerdem stand ja ein paar Tage später eine Kern-Reise nach Italien auf dem Programm ...).
Der zweite Versuch der Wende wurde nun großspurig "Sieben-Schritte-Plan" getauft. Und die Ankündigung klingt auch gut und lobenswert, dass damit die illegale Migration auf "Null" gedrückt werden solle.
Freilich erst 2020. Aber das ist noch gar nicht der größte Haken an dem neuen Kern-"Plan" (beim wievielten inszenierten Kern-"Plan" sind wir eigentlich?). Viel schlimmer ist, dass kein einziger der sieben Punkte auch nur annähernd imstande ist, dieses "Null"-Ziel zu erreichen.
Denn es wimmelt darin nur so von hohlen Politiker-Vokabeln wie "verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern Westafrikas", "Marshall-Plan für Nordafrika", "Intensivierung von Informationskampagnen an Migranten", oder Verlangen nach einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in Afrika ...
An zwei Stellen ist auch von "verstärkten Rückführungen" nach Afrika und von "Aufnahmezentren" die Rede. Aber ohne irgendwelche Details. Daher deutet absolut nichts darauf hin,
In Wahrheit will Kern also nur den Anschein erwecken, einen klaren Plan zu haben. Er will zwar seine Vergangenheit als einer der wichtigsten (und auf der Linken auch hochgelobten) Migrations-Helfer und Schlepper verwischen. Er will gleichzeitig auch den beiden Rechtsparteien streitig machen, dass sie die einzigen Antimigrationsparteien sind – aber gleichzeitig will er den eigenen linken Parteiflügel und linke Wähler nicht wirklich verärgern (die gerade angesichts des grünen Multiorganversagens auf Orientierungssuche sind).
Eine solche Doppelstrategie kann nicht funktionieren, sondern macht Kern nur noch zusätzlich unglaubwürdig und lässt ihn als unsicher und wankelmütig erscheinen (deswegen hat er ja auch mehrfach versucht, Doskozil vorzuschicken).
Am verräterischsten aber ist rund um den ganzen Plan folgender Satz Kerns: "Es muss eine Figur geben, die die gesamte Verantwortung übernimmt". So stellt er sich also in Wahrheit die Lösung des derzeit größten Problems Europas und Österreichs vor: Man kann alle Schuld und Verantwortung auf eine noch zu findende "Figur" abschieben. Dann hätte er das so unangenehme Thema endlich vom Hals. Dann könnte niemand mehr ihm oder der SPÖ die Verantwortung geben. Dann könnten sich die europäischen Regierungschefs wieder mit leichteren Fragen begnügen.
Wie sich der kleine Christian Kern die Welt halt so vorstellt oder zumindest wünscht …
Der Vorschlag erinnert übrigens lebhaft an die Politik Bruno Kreiskys: "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ‘ ich einen Arbeitskreis." Das hat damals eine Zeitlang als Ablenkung der Medien von ungelösten Problemen und parteiinternen Widersprüchen auch tatsächlich funktioniert. Das geht heute aber keinesfalls mehr. Auch wenn man das abgenutzte Wort "Arbeitskreis" durch "Figur" – oder "Verantwortlicher" oder "Beauftragter" – ersetzt.
Also alles nur heiße Luft, nur Produktion von Nebel, der verbergen soll, dass Kern halt neuerlich die Wende versucht hat?
Nein, nicht ganz. Kern hat bei seinem missglückten Wende-Versuch vielmehr darüber hinaus massiv außenpolitisches Porzellan zerschlagen. Er hat nämlich gleichzeitig den vier Visegrad-Staaten den Kampf angesagt. Er hat Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn namentlich genannt und ihnen ausdrücklich finanzielle Konsequenzen beim nächsten EU-Budget angedroht, wenn sie Italien und Griechenland keine "Flüchtlinge und Migranten" abnehmen.
Was aus vielen Gründen eine wirkliche Dummheit ist. Weil:
Diese Kampfansage ist damit überhaupt die größte außenpolitische Dummheit, die Kern in seiner bisherigen Politkarriere begangen hat. Sie macht seine politische Bilanz noch trauriger, als sie ohnedies schon war. Es geht von einem Hoppala zum nächsten. Er hat auch keine geeigneten Berater.
Aber das ist das klare Ergebnis, wenn jemand Regierungschef wird, der zuvor keine einzige Stunde Minister, Abgeordneter, Landesrat oder zumindest Gemeinderat gewesen ist. Bei Verbund und ÖBB hat Kern ja höchstens gelernt, wie eine geschützte Staatswirtschaft funktioniert, aber nichts von der wirklichen Volks- oder Wettbewerbswirtschaft. Und schon gar nichts von der internationalen oder europäischen oder Nachbarschafts-Politik.