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So etwas darf politischen Profis nicht passieren. Da produziert das ÖVP-Generalsekretariat eine ungewöhnliche Broschüre mit teils berechtigten, teils absurden Angriffen auf den Koalitionspartner – aber bis auf ein paar gewundene Worte des Generalsekretärs identifiziert sich niemand mit ihr.
In so einer Lage wäre ein Parteichef gefordert. Er muss bei jedem Wetter an der Spitze stehen. Aber Reinhold Mitterlehner ist wieder einmal nicht vorhanden. Längst hat man das Gefühl, es freut ihn schon seit Jahr und Tag nicht mehr, Bundesparteiobmann zu sein. Er will lieber heim ins Mühlviertel, so wie am 1. Mai ein Altersheim besuchen und sonst unsichtbar bleiben.
Was hätte er denn tun sollen, werden manche fragen. Nun, da gibt es genau zwei Möglichkeiten.
Die erste geht davon aus, dass der ÖVP-Generalsekretär die Broschüre hinter dem Rücken des Parteiobmanns bei den jammervollen, aber teuren PR-Menschen in Auftrag gegeben hat, welche die ÖVP unter Vertrag genommen hatte, welche geistig und kreativ irgendwo in den 70er Jahren steckengeblieben sind. In diesem Fall müsste sich Mitterlehner umgehend einen neuen Generalsekretär suchen.
Die zweite Alternative geht davon aus, dass Mitterlehner die Broschüre sehr wohl abgesegnet hat. Dann hat er zwar einen Fehler gemacht. Aber dann muss er sich dennoch in einer Vorwärtsstrategie mit der Broschüre und ihren ja überwiegend durchaus legitimen Texten identifizieren. Öffentlich, überzeugt, und ohne das übliche Herumknödeln. Er muss das auch unabhängig davon tun, dass sich die meisten VP-Landesparteien wieder einmal feige in die Büsche geflüchtet haben, sobald der mediale Medienwind eingesetzt hat.
Eine Partei kann jedoch nicht gleichzeitig in zwei völlig verschiedene Richtungen fahren: einmal innigstes Mauscheln mit der SPÖ, um ein grottenschlechtes Arbeitsprogramm zu erstellen, und ein andermal eine massive Attacke auf sie, aber ohne jeden rhetorischen Begleitschutz.
Mitterlehner sollte nach England schauen. Dort ist der Premierminister und Konservativenchef sofort zurückgetreten, als er merkte, dass sich der Zug in eine andere Richtung in Bewegung setzt als jene, in die er selber fahren wollte. Hingegen ist ein Parteichef, der sich in einer grundlegenden Strategiefrage schweigend versteckt, wirklich das Gegenteil von Leadership.
Der ÖVP-Obmann könnte sich aber auch an der SPÖ ein Vorbild nehmen. Dort ist die Politik der Partei die des Parteichefs. Und die des Parteichefs die der Partei.
Aber ist die Broschüre nicht wirklich missglückt? Vor allem von der äußeren Aufmachung her ist sie das sicher. Ihre vor einer Generation geistig steckengebliebenen Schöpfer beweisen durch das Coverbild eines SPÖ-Vorsitzenden mit Hammer und Sichel, dass sie überhaupt keine politische Ahnung haben.
Denn weder Rotgrün noch der SPÖ-Chef sind Kommunisten, wie diese Darstellung zu suggerieren versucht. Es gibt weder Anzeichen, dass sie Millionen Menschen ermorden wollen, noch dass sie hunderte Millionen hinter einem Eisernen Vorhang einsperren wollen, noch dass sie alles verstaatlichen oder alle anderen Parteien verbieten wollen. Im Grund ist daher dieser Cover eine genauso üble Verharmlosung des Kommunismus, wie es der Vergleich des Bundespräsidenten zwischen islamistischen Kopftüchern und Judenstern in Hinblick auf den Nationalsozialismus gewesen ist.
Da wie dort: Blanke historische Ahnungslosigkeit. Der einzige Unterschied ist allerdings die Reaktion der jeweiligen Parteigänger.
Dabei würde es inhaltlich unglaublich viel hergeben, wenn sich die ÖVP endlich einmal kritisch, konsequent und abgestimmt mit dem befassen würde, was Rotgrün wirklich an üblen Perspektiven bedeutet. So wie sich diese beiden Parteien heute in Österreich präsentieren. Aber das ist kein tödlicher Sichel-und-Hammer-Kommunismus, sondern ein lähmender Sozialdemokratismus mit all seinen die Zukunft dieses Landes belastenden Aspekten, der von Schweden bis Griechenland noch überall zur Katastrophe geführt hat:
All das könnte und müsste man glasklar anprangern. Wenn man politisch zu denken verstünde. Und wenn, ja wenn nicht in vielen dieser Punkte auch die ÖVP den koalitionären Helfershelfer für den Sozialdemokratismus gespielt hätte, oder etwa beim Strafrecht sogar dessen Vorreiter ist.
Ist aber trotz des widersprüchlichen wie feigen Verhaltens der ÖVP die massive Reaktion der Medien nicht maßlos übertrieben? Natürlich ist sie das. Aber sie war erwartbar.
Denn erstens ist der Cover der ÖVP-Broschüre ein solcher Fehler, den auch jeder durchschnittliche österreichische Journalist intellektuell begreift. Und zweitens waren die Medien in ihrer ideologischen Orientierung ja schon geradezu gierig darauf aus, von den schweren Pannen der Linksparteien möglichst rasch wieder abzulenken. Von Van der Bellens Dummheiten, vom Atomkrieg in der Wiener SPÖ, von der brutalen Geschäftemacherei durch die Hochhaus-Verschandelung des Konzerthaus-Viertels samt Verhöhnung einer „verbindlichen“ Urabstimmung, von der Tatsache, dass Christian Kern seit Amtsantritt nur inhaltsfreien Image-Wahlkampf macht.
Da sollte man sich halt nicht so einen schlimmen Doppelfehler wie diesen Hammer-und-Sichel-Cover und das ständige Wegtauchen des Parteichefs (der sich übrigens auch schon zweimal einen überforderten Generalsekretär ausgesucht hat) leisten.
PS: Übrigens: Wer Politik nicht als inhaltliche Gestaltung der Geschicke dieses Landes, sondern nur als Watschentanz zur Belustigung der Ränge versteht, der muss vor der SPÖ den Hut ziehen. Es war erste Klasse, wie die SPÖ elegant-souverän auf diese Broschüre reagiert hat, wie sie nun sogar das Kern-Bild vom ÖVP-Cover selbst verwendet. Ohne dass irgendjemand in der ÖVP eine einzige flapsige Antwort dazu einfiele.
PPS: Hätte die ÖVP wenigstens ein bisschen Geschick für Taktik und politische Finessen, hätte sie etwas bessere PR-Berater, hätte sie irgendeine Ahnung, wer ihre (letzten) Wähler sind, dann hätte sie auch den wirklichen Fehler an Kerns Pizza-Boten-Selbstinszenierung deutlich thematisiert. Das ist nämlich die Peinlichkeit, wen Kern damit erklärtermaßen als „Mittelschicht“ ansprechen wollte. Bei allem Respekt vor Pizzaboten, von denen mindestens die Hälfte keine Österreicher sind: Aber kein einziger Angehöriger der wirklichen Mittelschicht identifiziert sich mit einem Pizzaboten (es sei denn, man definiert Mittelschicht so, dass 80 Prozent des Landes zur Oberschicht gehören würden). Nur die SPÖ tut das. Sie hat sich damit neuerlich als Interessenvertretung jener positioniert, die eher keine Steuern zahlen, die eher nicht den Weg der Bildungsanstrengung und Ausbildung gegangen sind, die eher nicht Österreichs internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederbeleben.
PPPS: Könnte die ÖVP taktisch denken, würde sie jetzt übrigens auch die Broschüre, statt sie zu verräumen, an alle Haushalte verschicken. Denn der missglückte Cover ist nun dank der ORF-Kampagne ohnedies schon allseits bekannt, der bisher weithin unbekannte Rest des Inhalts würde aber nun riesige Aufmerksamkeit finden. Und durchaus vielen zu denken geben. Motto: „Da haben sie aber eigentlich doch recht.“ Wie beim Ringsport, wo man auch die Energie des Gegners im eigenen Interesse einzusetzen versucht.
PPPPS: Absolut faszinierend ist der Rollentausch in der Koalition: Die SPÖ will seit Ende des Winters plötzlich keine vorgezogenen Neuwahlen, obwohl sie das ein Jahr lang wollte. Dazu sind – siehe Wiener Rathaus – die Aussichten für die SPÖ inzwischen zu schlecht. In der ÖVP wollen das hingegen immer mehr – bis auf Mitterlehner, der sie ebenfalls fürchten muss. Für sich selbst. Als Ergebnis wird es wohl keine Vorverlegung geben.