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In den innenpolitischen Zeitungskommentaren der letzten Tage steckt eine zutiefst faschistoide und antidemokratische Haltung. Praktisch alle Medien zeigen sich nämlich derzeit erregt, ja entsetzt über die ungewöhnlich vielen Gegenstimmen beim Parteitag der Wiener Sozialdemokraten.
An der Politik der Wiener SPÖ ist viel zu kritisieren. Die Sozialdemokratisierung dieses Landes (und fast aller seiner Parteien) ist sogar eindeutig die schwerste Gewitterwolke über der Zukunft Österreichs. Jedoch der Hohn über Wahlergebnisse bei parteiinternen Abstimmungen, die unterhalb der 90-Prozent Hürde liegen, ist völlig falsch und verlogen.
Er geht von einem ganz üblen Menschenbild und widerlichen Vorstellungen über das Funktionieren der Demokratie aus. Dieser Hohn tut so, als ob Parteien nach dem Motto funktionieren müssten: Führer, geh uns voran und wir alle folgen dir im Gleichschritt. Was das bringt, hat eigentlich schon die Geschichte gezeigt.
Solange auf staatlicher Ebene in Österreich die Demokratie nur rudimentär vorhanden ist und weniger statt mehr wird, wäre eine funktionierende innerparteiliche Demokratie umso wichtiger. Das begreifen aber die hiesigen Medien nicht. Sie sehen Parteien offenbar lediglich als Bejubelungs- und Flugzettelverteil-Maschinerien im Dienste der jeweiligen Chefs. Sie finden hingegen gar nichts dabei, dass, wenn einmal ein neuer Parteichef zu wählen ist, dieser den jeweiligen Parteitagen von Hinterzimmer-Drahtziehern präsentiert wird, ohne dass es irgendeine Alternative für das Parteivolk geben würde.
So geschehen etwa in der SPÖ nach dem überraschenden Rücktritt von Werner Faymann. Ein paar Tagen kreißten die Telefone und Geheimgespräche, dann hatten die diversen Parteigremien nur noch die Kür von Christian Kern durchzuwinken. Ganz ähnlich ging es in der ÖVP zu, als die Herren Molterer, Pröll und Spindelegger jeweils das Handtuch warfen. Es war – leider – schon extrem ungewöhnlich, als vor einem Jahrzehnt nach dem Abgang Wolfgang Schüssels zumindest im ÖVP-Vorstand eine Kontroverse entbrannte, die an die Öffentlichkeit gedrungen ist, weil Andreas Khol nicht Karl-Heinz Grasser wollte.
Auch in den allermeisten Bundesländern erfolgen Personal-Nominierungen via Hinterzimmer oder via direkter Erbseinsetzung, eine ebensowenig demokratische Methode. Vor allem in der ÖVP erfolgen die Rücktritte und der Jubel über den neuen König immer so schnell, dass die Bürger gar nicht viel von den Hinterzimmer-Vorgängen mitkriegen.
Anders war es lediglich beim SPÖ-Wechsel Gusenbauer-Faymann und bei den FPÖ-internen Machtergreifungen zuerst durch Jorg Haider und dann durch H.C. Strache. In diesen Fällen erfolgten die Wechsel durch einen handfesten Putsch in Form einer monatelang öffentlich ausgetragenen Schlammschlacht.
Ganz gewiss sind auch solche Wechsel nicht gerade das, was man dem zarten Pflänzchen der österreichischen Demokratie wünschen sollte. In Österreich fehlt eine Demokratiekultur zwischen brutalem Putsch und befohlenem Einheitsjubel. In einer solchen sollte es ganz normal sein, wenn Kandidaten für ein hohes Parteiamt halt nur zwei Drittel der Stimmen bekommen. Denn das zeigt: Die Parteidelegierten haben sich den Kopf zerbrochen. Über Personen, über die Richtung der Partei.
Wenn man schon sonst in diesem Land nicht mitreden darf, sollte man es zumindest dann tun und ohne Tadel dürfen, wenn man irgendwo Parteitagsdelegierter ist.
Das wäre zumindest ein Schritt demokratischer als die real existierende Polittradition. Diese bildet einen negativen Kontrast vor allem zur amerikanischen oder französischen – oder neuerdings auch italienischen – Kultur, wo es bei den meisten Parteien echte Vorwahlen gibt. Niemand in Amerika findet es ein Schwächezeichen, dass da bei Vorwahlen intensiv und lange über Kandidaten und das mit jedem von ihnen verbundene Programm gerungen wird, und dass diese oft nur sehr knapp ausgehen.
Einen absoluten Tiefpunkt in Sachen demokratischer Kultur liefern derzeit die Wiener Grünen: Sie haben erstmals eine Urabstimmung unter ihren Parteimitgliedern durchgeführt, diese vorher auch als absolut verbindlich erklärt. Sie stellen nachher aber – als das Votum anderes ausgegangen war als von der Parteiführung erwartet – die Abstimmung plötzlich als irrelevant hin, weil es ja ein „freies Mandat“ der Gemeinderäte gäbe. Was ein reiner Schmäh ist, denn verfassungsrechtlich frei waren Mandatare zwar schon immer, auch vor der „verbindlichen“ Abstimmung, sie wurden aber immer als Mitregierungspartei in eine ganz strikte Koalitionsdisziplin hineingepresst. Angesichts dieser ungeheuerlichen Vorgangsweise der Grünen ist es eigentlich absolut unverständlich, wieso irgendwer noch immer grünes Parteimitglied sein kann.
Soweit heben sich also die Vorfälle beim jüngsten SPÖ-Parteitag im Prinzip durchaus lobenswert ab. Durchaus mies sind allerdings ihre Begleitumstände:
Das sind:
Diese drei Quasi-Parteien sind seit mindestens einem Jahr geistig, emotional und inhaltlich so weit auseinander, dass es absolut rätselhaft ist, wieso die drei recht erfolgreichen Sozialdemokratien in den südlichen Bundesländern sowie Salzburg mit den Radikallinken in Wien und den brustschwachen SPÖ-Bundesländern noch in derselben Partei zusammen sein wollen.
Leider fast überhaupt nicht vorhanden ist ein Flügel, der etwas von Wirtschaft verstehen würde und wüsste, dass ohne blühende Wirtschaft nichts zu verteilen da ist, wenn man nicht den Weg der venezolanischen Sozialisten gehen will. Den gibt oder gab es anderswo durchaus. Stichwörter: Hamburger SPD, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Tony Blair, Teil der US-Demokraten, oder auch die schwedischen Sozialisten, die ein de facto neoliberales und sehr erfolgreiches Sanierungsprogramm durchgezogen haben, als sie erkannten, dass das alte Wohlfahrtsmodell endgültig gegen die Wand gedonnert war (worauf sie allerdings quasi zum Ersatz gleich den nächsten historischen Fehler begangen haben, nämlich das Land mit einem Europarekord an Drittwelt-Migranten anzufüllen).
Der wirklich gravierende Kritikpunkt an der SPÖ sind keine Abstimmungszahlen, sondern ihre eigene politische Realität: Sie tut so, als wäre sie eine einheitliche Partei, die klare Vorstellungen über die Zukunft hat. Sie ist es aber in keiner Weise mehr.
Wer zweifelt, dass die SPÖ so katastrophal dasteht, und dass ihre heutige geistige Leere und innere Widersprüchlichkeit für die Führungsgarnitur noch deprimierender sind als die Meinungsumfragen, möge einfach das Verhalten Christan Kerns anschauen. Der Mann wollte ja, als er vor einem Jahr an die Macht gekommen war, eigentlich gleich neu wählen lassen, um mit dem Image des neuen Mannes und als unbeschriebenes Blatt, mit dem sich alle Parteiflügel nichtsahnend identifizieren können, den Bürgerfrust über die SPÖ noch einmal beiseitezuschieben. Das gelang ihm nicht, weil die Bundespräsidentenwahl überraschend zur beinahe unendlichen Geschichte ausartete. Aber jetzt erweckt er in jeder Hinsicht den Eindruck, die Legislaturperiode bis zum letzten Tag aussitzen zu wollen, um noch möglichst lange an der Macht zu bleiben. Warum wohl …?