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Es wird zunehmend amüsant, wie Christian Kern seit dem ÖVP-Wunsch nach Neuwahlen zum Rumpelstilzchen mutiert. Er kündigt abwechselnd eine Minderheitsregierung und dann wieder Regieren mit „wechselnden Mehrheiten“ an. Stunden später betont ein SPÖ-Minister dann wiederum, dass die Regierung doch vielleicht länger im Amt bleiben könnte, während anderswo schon die Regierungsjobs der ÖVP an verdiente Genossen verteilt werden. Dann tobt Kern wiederum, man hätte ihn der „Lüge“ bezichtigt, obwohl gar niemand dieses Wort verwendet hat.
Um mit dem letzten Punkt anzufangen: Hätte der Absolvent eines Schmalspurstudiums im Kanzleramt vom Strafrecht eine Ahnung, dann würde er den dramatischen Unterschied zwischen dem klagbaren Vorwurf, jemand „lüge“, und der rechtlich völlig unbedenklichen (noch dazu mit guten Argumenten gestützten) Aussage kennen, ein Angebot sei „unehrlich“. Wenn er daher Kurz mit der „Lüge“ in Zusammenhang bringt, begeht er selbst eine Verleumdung, noch dazu, wo Kurz selbst auch nie von Unehrlichkeit oder Ähnlichem gesprochen hat. Aber offenbar hat Kern und haben seine Spin-Doktoren vom Strafrecht keine Ahnung.
Und offenbar hat er in seinem heftigen Drang, weiter Pizza verkaufen und burgenländische Gesamtschulklassen besuchen zu dürfen, noch von etwas anderem keine Ahnung: Wie soll er es anstellen, damit er weiterhin Bundeskanzler bleiben kann? Ein Abgang mit Würde wie bei Mitterlehner ist ja seine Sache nicht.
Will Kern wirklich mit Hilfe dreier Kleinparteien weiter regieren? Hat er im Schock ob des drohenden Verlustes seines Amtes übersehen, dass SPÖ und die vier Kleinen auch zusammen nur 90 der 92 mindestens nötigen Sitze haben? Begreift er, dass er also auch noch mindestens zwei der vier „wilden“ Abgeordneten einkaufen muss, die früher bei FPÖ, ÖVP beziehungsweise Team Stronach waren? Begreift er, dass die zwar sicher noch gern ein Jahr länger im Nationalrat bleiben würden, dass sie aber alle rechts der Mitte stehen? Dass zumindest einer von ihnen, wie man hört, nach dem Abgang Mitterlehners jetzt recht bald zurück in die ÖVP finden dürfte? Dass also selbst dann, wenn Kern wirklich ein Bündnis aller Verzweifelten dieses Nationalrats schaffen sollte, ÖVP und FPÖ jederzeit einen Neuwahlantrag durchbringen könnten, wenn auch nur ein oder zwei Abgeordnete dieses Bündnisses etwa krankheitsbedingt ausfallen sollten? Und dass er wohl ständig in die Staatskassa greifen müsste, wenn auch nur ein oder zwei dieser Abgeordneten, von denen ja viele politisch nichts mehr zu verlieren haben, unsittliche Erpressungen versuchen sollten?
Dieser Mann in seiner Machtgier und politischen Ahnungslosigkeit wird uns also noch viele interessante bis heitere Stunden bescheren.
Gesetzesbeschlüsse mit Mehrheiten jenseits der Regierung haben in der SPÖ Tradition. Sie sind auch demokratisch und rechtlich in Ordnung. 2008 hat sich Werner Faymann knapp vor dem Wahltag im Parlament auf diese Art Mehrheiten gesucht und Gesetze durchgebracht, die dann dem Staatsbudget auf Jahre zusätzliche Löcher gerissen haben. Wenn die jetzt geplante Regenbogenkoalition wieder zu ähnlicher Verantwortungslosigkeit bereit sein sollte, dann wird vieles möglich.
Ich schlage Kern daher vor, sich dabei nicht mit irgendwelchen banalen Detailgesetzen abzufinden, sondern gleich zu klotzen. Am besten wäre ein Gesetz, dass jedem Wähler umgehend 5000 Euro zu überweisen sind. Damit hat Kern die absolute Mehrheit fast schon sicher.
Die drei allesamt vom Schrumpfen oder gar Aussterben bedrohten Kleinparteien werden wohl bei allem mitgehen. Immerhin winkt ihnen in ihrer Verzweiflung die Hoffnung, die eigenen Abgeordnetenbezüge noch ein paar Monate länger kassieren zu können. Und bei einigen Wählern der XYZ-Schicht populär sind solche Geldverteilungsaktionen immer.
Um zu Sebastian Kurz zurückzukehren: Ihm ist jedenfalls zu wünschen, dass er sich jetzt erst recht als souveränes Kontrastprogramm zu Kern bewährt und nicht auf dessen Niveau hinabsteigt.
Gefordert sind jedoch ÖVP und FPÖ in anderer Hinsicht: Sie sollten sich zu all jenen Themen, wo sie eng beieinander liegen, jetzt rasch Mehrheiten suchen und diese Themen in Gesetzesform gießen. Die nötigen Stimmen (Schwarz und Blau brauchen zusammen nur noch 3) müssten bei den 6 Stronachs oder 4 freien Abgeordneten eigentlich zu holen sein – sofern diese ihre eigenen früheren Aussagen ernst nehmen, und sofern sie sich nicht durch einen Geheimvertrag total an Kern gebunden haben. Der freilich endgültig tödlich wäre.
Schwarz und Blau sollten freilich dabei keinesfalls in die populistische Verantwortungslosigkeit der Sozialdemokratie verfallen. Sie sollten nur solche Dinge beschließen, die nicht die Staatsschulden noch weiter belasten.
Dazu würden viele Aufgaben gehören, die hier teilweise schon einmal aufgezählt worden sind. Aber auch etliche andere. Der Katalog des Notwendigen ist jedenfalls lang, von dem möglichst viel im Interesse der Österreicher realisiert werden sollte:
Nichts von diesen Punkten belastet das Budget, manches hilft ihm sogar.
Gewiss: Das erfordert Sonderschichten für die Legisten der beiden Parteien, damit kein Pfusch passiert. Aber niemand weiß, ob sich dieses Window of Opportunity für die beiden Parteien in absehbarer Zeit wieder bieten wird.
Besonders schwierig wird die Entscheidung für die FPÖ, die seit langem an das zwar machtlose, aber bequeme Oppositionsdasein gewöhnt ist. Verweigert sie sich solchen Beschlüssen, dann wird ihr das bei den Wählern nicht gut tun. So sehr diese nämlich verstehen, dass sich H.C.Strache nicht als Retter einer der Regierungsparteien missbrauchen lässt, so wenig würden sie es verstehen, wenn er sich konkreten Sachbeschlüssen verweigert, die ganz auf Linie der FPÖ liegen. Dann würde sich seine Partei wirklich als reine Protestpartei entpuppen, die jede Verantwortung scheut, als was sie ja von vielen Kritikern immer wieder bezeichnet wird.
Aber auch die ÖVP wird sich um 200 Prozent geistig beweglicher und lebendiger als im Jahr 2008 zeigen müssen. Sie wird sich zum Gegenteil des SPÖ-Ministranten entwickeln müssen, der sie unter Mitterlehner ständig gewesen ist. Ob sie dazu in ihrer gegenwärtigen Armut an fähigen Köpfen imstande ist?
PS: Es passt irgendwie ins Bild: Nur eine Stunde, nachdem das ORF-Fernsehen für Sonntag ein sogenanntes „Europastudio“ angekündigt hatte, hat sich statt dessen Kern in die Sendung gedrängt. Die Partei wünscht, und der Gebührenfunk spielt. Da ist es egal, dass man zum Europastudio Journalisten aus London, Paris, Brüssel und Hamburg eingeladen, mit Tickets und einem nicht mehr rückgängig machbaren Honoraranspruch versehen hat. Aber das alles kann man ja noch journalistisch rechtfertigen. Wirklich schlimm ist, welcher Journalist da Kern gegenübersitzen wird: Es ist nicht etwa einer, der ihn kritisch fragen würde, sondern die linkeste Frau, die man im linken „Profil“ findet. Wir lernen: Jetzt lässt Kern wirklich all seine Regimenter aufmarschieren. Und hütet sich vor Menschen, die ihm kritische Fragen stellen könnten.