Das Down-Syndrom ist derzeit in aller Munde. Kampagnen in aller Welt versuchen zu zeigen, welch vitale Rolle Menschen mit Trisomie 21 in unser aller Leben und Gemeinschaften spielen (können). Aber können sie eine vitale Rolle spielen?
Während rund um den Weltdownsyndromtag Models mit Down-Syndrom über die Laufstege geschickt werden und Frauen mit Trisomie 21 das Wetter ansagen dürfen, werden – Tag für Tag, jahraus jahrein – ganz andere Entscheidungen getroffen. Down Syndrom ist die am meisten untersuchte (und gefundene) genetische Auffälligkeit, nach der im Rahmen von Schwangerschaftsuntersuchungen regelrecht gefahndet wird. Und kaum ein Paar, kaum eine Frau entscheidet sich nach einem auffälligen Befund dafür, das betroffene Kind auszutragen.
Mit einer Rate von über 90 Prozent werden Kinder mit vorgeburtlich diagnostiziertem Down-Syndrom abgetrieben. Dabei ist es vor allem die Angst vor dem Unbekannten, die Menschen diesen Schritt machen lässt, meint etwa Evelyne Faye, die ihre Erfahrungen mit ihrer Tochter, die Down-Syndrom hat, in einem Bilderbuch für Erwachsene illustriert hat. Die Pränataldiagnostik vermittle den irreführenden Eindruck, schon die Therapie zu sein, meint Anna Wieser vom Dachverband Down Syndrom Österreich. Dieser Eindruck ist falsch – und fatal. Durch eine auffällige Diagnose geraten Frauen, Paare und Familien in eine Krisensituation, auf die man sich im Trockentraining nicht wirklich vorbereiten kann. Umso wichtiger wäre es, wenn in dieser Situation Positivbilder und Perspektiven abrufbar wären. Dafür könnte die Gesellschaft gerade durch Bewusstseinskampagnen und umfassende Unterstützung viel tun.
Aber will die Gesellschaft das überhaupt? Der mehrfach prämierte Spot zum Welt-Down-Syndrom Tag „Dear Future Mom“ wurde in Frankreich aus dem Werbefernsehen verbannt. Fröhliche Kinder und Jugendliche mit Trisomie 21, die einer schwangeren Frau erklären, dass das Leben mit Down-Syndrom gelungen sein kann? Das wäre doch ein zu verstörender Einfluss auf Frauen, die abgetrieben haben; das wäre nicht im Sinne des allgemeinen öffentlichen Interesses, heißt es. Obwohl der Spot zugegebener Weise geeignet wäre, der Stigmatisierung von Menschen mit Down-Syndrom entgegenzuwirken. Aus der Frage nach dem ethischen Handeln ist eine Mitleidshäresie der Zumutbarkeit geworden.
„Total durchgeknallt“, meint dazu der Medienrechtlicher Gerald Ganzger bei einem vom Institut für Ehe und Familie organisierten Symposium. Stimmt. Aber die Franzosen stehen damit nicht allein: Mein Antrag im Wiener Landtag für Maßnahmen, um den Eltern Mut zu machen, die betroffenen Kinder zur Welt zu bringen, wurde mit den Stimmen von Rot und Grün abgelehnt. Aber nicht aus parteipolitischen Reflexen – nein! Auf eine kritische Anfrage des Katholischen Familienverbandes verteidigte ein „Dialogbüro“ der Grünen ihre Ablehnung: Der Antrag sei ja nicht eindeutig auf die Unterstützung von Kindern mit Down-Syndrom bezogen, sondern nur ein Versuch, die Entscheidung der Mütter für oder gegen einen Abbruch ins Spiel zu bringen und damit Druck auf sie auszuüben. Begründung: Mein Antrag hatte sich für eine „Ermutigung“ der Schwangeren ausgesprochen, ihr Kind zu bekommen. „Ermutigung“ ist den Ideologen also bereits zu viel. Hier der Wortlaut des Antrags: http://gudrunkugler.at/weltdownsyndromtag-am-21-3-mut-machen/
Sind wir schon so weit unter das Diktat der Kultur des Todes und in eine Zäsur der Abtreibung geraten, dass es nicht einmal mehr wünschenswert ist, Frauen und Paaren Mut zum Kind zu machen? Gerade in schmerzlichen Situationen, um einen Weg mit ihrem Kind zu finden? Behindertenanwalt Erwin Buchinger (SPÖ) sagte dazu: „Österreich befindet sich diesbezüglich im Mittelalter – behinderte Kinder können bis zur natürlichen Geburt getötet werden. Das ist menschenrechts- und konventionswidrig.“
Evelyne Faye weiß nicht, ob sie dem Druck standgehalten hätte, wenn sie schon vor der Geburt ihrer Tochter von deren genetischen Abweichung gewusst hätte. Am meisten belastete sie die Angst vor dem Unbekannten und dem Unwissen. Gerade hier stehen wir als Gesellschaft in der Verantwortung, denn gegen Unbekanntheit und Unwissen kann man etwas tun. „Wenn ich gewusst hätte, dass es so ist, wie es heute ist, hätte ich mir viele Sorgen erspart,“ sagte eine betroffene Mutter.
Oder wie es Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie sagt: Ob Menschen mit Down-Syndrom eine vitale Rolle in unserem Leben spielen können, hängt in vielen Fällen von der Entscheidung von Frauen nach einem auffälligen pränatalen Befund ab. Welche Entscheidung Frauen in dieser Situation treffen, hängt wiederum davon ab, welche Perspektiven diese Frauen sehen. Und für Perspektiven sind Politik und Gesellschaft jedenfalls mit-verantwortlich. Und zwar jenseits von ideologischen Scheuklappen.
Dr. Gudrun Kugler, MMF, ist Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin in Wien (Bereichssprecherin der ÖVP-Wien für Europa, Integration und Menschenrechte) www.gudrunkugler.at