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Die neue Schule: Viel Lärm um viel Mist

Die Regierung bastelt (wieder einmal) am Schulsystem herum. Viele Lehrer, viele Pädagogik-Wissenschaftler wissen freilich: Was die politische Propaganda da als Verbesserung verkauft, bedeutet aus mehreren Gründen eine Verschlechterung. Nur durchschauen das viele Eltern – noch – nicht.


Die ersten Taten der neuen Ministerin
Karikatur: Lutz Nowotny

Diese Propaganda redet derzeit viel davon, dass die Kleinstschulen auf dem Land unter einer gemeinsamen Direktion zusammengefasst werden sollen: Das ist sinnvoll, und wird vielerorts die Schule „im Dorf lassen“. Die Propaganda verschweigt aber, dass solche „Cluster“ von mehreren  Schulen unter einem Direktor auch in Wien gebildet werden sollen. Und das nicht nur bei Volksschulen, sondern auch bei Gymnasien.

Das aber ist absurd. Denn in Städten sind die Schulen jetzt schon groß genug, dass ein Direktor ausgelastet ist. Daher muss sich zwangsläufig die Qualität verschlechtern, wenn ein Direktor künftig für Megagebilde mit bis zu 2500 Schülern zuständig ist. Dann können die Direktoren nicht einmal alle Lehrer wirklich kennen, geschweige denn eine Ahnung von den einzelnen Klassen haben oder sich um Problemfälle kümmern.

Das geht Hand in Hand mit einer weiteren Verschlechterung, die nach außen ebenfalls brillant mit einem sehr positiven Vokabel verkauft wird: Das ist die „Autonomie“ der Direktoren. Diese ist zwar im Prinzip eine absolut positive Idee. Aber in Wahrheit ist das, was Schulen künftig „autonom“ dürfen, nur ein Schuhlöffel für Verschlechterungen und Einsparungen.

Denn den Direktoren wird dabei vor allem die Lizenz gegeben, über die Klassengröße zu bestimmen. Das heißt: Sie werden künftig eigenständig über die jetzige Schülerhöchstgrenze hinausgehen und Großklassen machen können. Sie werden das oft auch tun müssen. Denn mit ihrem Budget müssen sie jedenfalls weiter auskommen. Daher werden sie die bittere Wahl haben, entweder Klassen zusammenzulegen oder etwa auf einen Schulpsychologen oder auf das Angebot an Freigegenständen zu verzichten. 

Das Budget der einzelnen Schulen war auch bisher schon zu knapp. Das merkte ich in diesem Jänner sehr augenscheinlich, als ich in meiner ehemaligen Schule in der Wiener Josefstadt einen Vormittag lang den Schülern Tipps für die Berufswahl geben durfte. Da sah ich, dass fast alle Schüler in dicke Schals gehüllt und etliche verkühlt waren: „Ja, in den Klassen im ausgebauten Dachboden hat es seit einer Woche nur 15 Grad.“ Es waren die Tage mit satten Minusgraden.

Diese Schüler sind mir sehr geduldig erschienen. Denn eigentlich wäre das ein mehr als berechtigter Anlass zu revolutionärem Protest. Werden sie doch damit konfrontiert, dass dieser Staat nicht einmal mehr sicherstellen kann, dass es ordentlich geheizte Klassenzimmer gibt.

Solche skandalösen Zustände hängen vor allem in Wien damit zusammen, dass die Gymnasien seit Jahren von der Politik ausgehungert werden. Es steigt zwar die Zahl der schulpflichtigen Kinder ständig und immer mehr Zehnjährige wollen ins Gymnasium gehen – nur ist in Wien seit ewigen Zeiten kein neues Gymnasium entstanden. Denn es ist klare Politik der Wiener Genossen: Wenn wir schon die achtjährigen Gymnasien nicht abschaffen und durch (Zwangs-)Gesamtschulen ersetzen dürfen, dann gehen wir halt so brutal mit den höheren Schulen um, dass ihnen die Luft ausbleibt.

Daher wird in den existierenden Gymnasien heute wirklich jedes Hinterzimmer als Klasse genutzt. Daher hat man auch Null Ausweichkapazitäten, wenn eine Heizung zusammenbricht.

Endgültig wird die behauptete Autonomie zur Farce, wenn gleichzeitig eingeführt wird, dass die angeblich aufgewerteten Direktoren nur noch für jeweils fünf Jahre bestellt werden. Das bedeutet eine Vernichtung jeder Autonomie, das bedeutet viel mehr Abhängigkeit jedes Direktors von der Obrigkeit als heute. Denn jeder Direktor, der sich Wünschen der Politik widersetzt, verschlechtert damit unweigerlich seine Chance auf eine Wiederbestellung. Daher werden die meisten schön brav und fügsam sein.

Hingegen kommt auch weiterhin das nicht, worin das Wichtigste einer sinnvollen Autonomie bestehen würde: Dass sich Direktoren von einzelnen Lehrern auch gegen deren Willen trennen können, wenn diese ungeeignet für den Unterricht sind. Das wäre zwar gewiss für betroffene Lehrer hart. Aber eigentlich ist ja die Schule für die Schüler da und nicht für die Lehrer (auch wenn das Politik und Gewerkschaft anders sehen). Daher sollte ein Lehrer auch nicht schutzbedürftig sein, wenn er den Schülern nur einen suboptimalen Unterricht bieten kann.

Gleichzeitig mit dieser Autonomie-Farce – und fast noch schlimmer – wird die einst mühsam erkämpfte Mitbestimmung von Eltern und Oberstufenschülern aufgeweicht. Das ist neben dem Gefügigmachen der Direktoren ein weiteres Element des zunehmenden Durchgriffs der Politik auf die Schulen.

Genauso schlimm ist die geplante Umschichtung von Budgetmitteln zu sogenannten Brennpunktschulen, also de facto zu den Schulen mit einem hohen Ausländeranteil. Das mag zwar bei oberflächlichem Zuhören gut klingen, ist aber das Gegenteil. Denn für diese Brennpunktschulen gibt es kein zusätzliches Geld, sondern nur Geld, das den anderen Schulen weggenommen wird. Also den Schulen für die autochthone Restbevölkerung, die fast alle schon jetzt überall unter Knappheit leiden. Nicht nur durch unzureichende Heizungen.

Das lässt viele Pädagogen prophezeien, dass die Zahl der frei finanzierten Privatschulen künftig rasch steigen wird. Das sind jene Schulen, die zur Gänze durch die Eltern finanziert werden, was natürlich für diese sehr teuer ist. Damit droht das, was schon in etlichen anderen Ländern der Fall ist, aber in Österreich noch kaum (nur 1,5 Prozent der Schulen sind derzeit solche frei finanzierten Privatschulen, in anderen Ländern beträgt ihr Anteil ein Vielfaches): Nur noch jene "gestopften" Eltern, die es sich leisten können, bekommen eine wirklich exzellente Erziehung für ihre Kinder. Für alle anderen wird sie schlechter; das im 20. Jahrhundert noch exzellente öffentliche Schulwesen wird Schritt für Schritt zweitklassig. Damit bewirkt die Politik genau das Gegenteil des Behaupteten.

Diese Umschichtung zu „Brennpunktschulen“ wird auch völlig falsch aufgezogen: Sie misst nur, wie viele Problemkinder in eine Schule gehen, aber nicht, ob eine Schule dabei auch erfolgreich ist, diese Kinder zur Leistungsorientierung heranzuführen. Oder ob sie nur das Geld kassiert, während die Problemkinder Problemkinder bleiben.

Ebenso unsinnig ist die Aufhebung der 50-Minuten-Stunde. Diese ist organisatorisch einfach unabdingbar, um einen reibungslosen Lehrerwechsel zu ermöglichen. Wenn jeder Lehrer solange in der Klasse bleibt, wie es ihm beliebt, dann ist das die absolute Garantie für Chaos (und einen abgesprochenen Stundentausch gibt es schon jetzt). Oder soll es gar im Belieben der Schüler stehen, wie lange sie etwa die Turnstunde ausdehnen wollen?

Vieles andere an der Verschlechterungsreform der Regierung ist trotz allen Trommelwirbels irrelevant. Ich habe jedenfalls noch nicht die Bedeutung des Umtaufens der Stadt- und Landesschulräte in Bildungsdirektionen erkennen können (außer für Türschild-Fabrikanten). Die Kompetenzspaltung zwischen Bund und Ländern wird es nämlich weiter geben.

Irrelevant ist auch die groß propagierte Autonomie bei der Lehreraufnahme. Denn in vielen Fächern muss ein Direktor heute ja froh sein, wenn er überhaupt einen voll geprüften Lehrer findet. Und gibt es einmal mehrere an einer Schule interessierte und qualifizierte Bewerber, so hat auch bisher schon jeder halbwegs fähige Schuldirektor seine Wünsche durchsetzen können.

Hammerschmid enttäuscht

Dieses Schulpaket ist das erste Vorzeigewerk der neuen Unterrichtsministerin. Aber dabei wurde nichts Vorzeigbares produziert. Für Sonja Hammerschmid kann zwar ins Treffen geführt werden, dass sie intelligenter, weniger ideologisch und weniger Funktionärstyp ist als ihren beiden Vorgängerinnen. Aber sie kommt aus der Universitätswelt und hat in der Schulwelt keinerlei Erfahrung gesammelt. Außer dass sie halt einmal selbst eine besucht hat (für die Universitäten ist sie hingegen nicht zuständig, sondern ein ehemaliger Wirtschaftskämmerer …).

Daher sind ihre Aussagen entweder wortreich-inhaltsleer. Oder ziemlich dumm, wie etwa ihre Aussage, dass für sie das Südtiroler Schulsystem „ein Vorbild“ sei. Das ist, bei aller Sympathie für Südtirol, ein blühender Unsinn. Die Ministerin wollte sich damit als brave Sozialdemokratin zeigen und Werbung für die Gesamtschule nach italienischer Art machen. Aber in Südtirol liegt sie mit dieser Gesamtschul-Propaganda total daneben. Und zwar gleich aus mehreren Gründen.

  • Erstens gibt es in Südtirol zwei parallele Schulsysteme, ein deutsches und ein italienisches. Und die deutschsprachigen Schulen sind total vom ethnischen Ehrgeiz gepackt, besser als die italienischen zu sein (ein Ehrgeiz, der in Österreich nirgends herrscht).
  • Zweitens gibt es in Südtirol deutlich weniger Schüler mit Migrationshintergrund. Bei Pisa 2012 waren es mit 5,8 Prozent nur ein Drittel des damaligen österreichischen Anteils. Und heute liegt in Wien der Anteil der Pflichtschulkinder, die daheim nicht deutsch reden, mittlerweile sogar schon bei weit über 50 Prozent.
  • Drittens sind die deutschsprachigen Südtiroler im Schnitt sehr konservativ, was im Schnitt auch diszipliniertere und leistungsorientierte Schüler bedeutet.
  • Und viertens hat Südtirol deutlich kleinere Klassen, was gut für die Effizienz des Unterrichtens sein dürfte. In der Volksschule beträgt dort die Durchschnittsgröße 15,3 Kinder pro Klasse, in Österreich hingegen 18,5. Auch in späteren Schulstufen ist es ähnlich.

Es zeugt daher von Ahnungslosigkeit, da ausgerechnet den Faktor Gesamtschule ständig als verantwortlich für die Qualität der Südtiroler Schule herauszuarbeiten. Dabei ist es auch keine Entschuldigung für die Ministerin, dass auch ein Nordtiroler ÖVP-Landeshauptmann schon denselben Unsinn verzapft hat.

Ähnlich unintelligent zeigt sich Hammerschmid auch in Hinblick auf die Vermehrung des Ganztagesunterrichts, also auf die weitaus teuerste Maßnahme der staatsoffiziellen Bildungspolitik. Schockierend ist, was Professor Stefan Hopmann von der Universität Wien, der weitaus renommierteste Bildungswissenschaftler des Landes, dazu berichtet: „Im Unterrichtsausschuss (des Parlaments) habe ich auf die fehlenden wissenschaftlichen Belege für den Nutzen der Ganztagsschule hingewiesen, woraufhin Bildungsministerin Hammerschmid gesagt hat: Das sei ihr völlig egal, sie glaube trotzdem daran. Daraufhin habe ich alle weiteren Termine gecancelt.“

Eine unglaubliche Reaktion einer Ministerin. Nach Hopmanns wissenschaftlichen Studien hat die Ganztagsschule jedenfalls nur einen Nutzen: Sie hilft das Betreuungsproblem berufstätiger Eltern zu lösen. Für die so dringend notwendige Verbesserung des Bildungsniveaus bewirkt diese „Bildungsreform“ nichts. Sie wird aber dennoch aus dem Bildungsbudget bezahlt.

Ausgerechnet die einzige der von Politikern realisierten Maßnahmen, die einen positiven Beitrag zum Bildungsergebnis leisten könnte, nämlich die in Oberösterreich beschlossene Pflicht, Deutsch auch in den Pausen zu sprechen – was nichts kostet und den Migranten beim Spracherwerb hilft –, ausgerechnet diese Maßnahme wird von der eigenen Partei der Ministerin wild als angeblich verfassungswidrig bekämpft (wie ja derzeit für jede auch nur minimale Reform auf irgendeinem Gebiet sich irgendein Jurist findet, der von "Verfassungswidrigkeit" schwätzt).

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

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