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Europa sollte endlich anfangen, ernsthaft über das zentrale Dogma von Donald Trump und die notwendigen Konsequenzen nachzudenken. Dieses heißt ja: America first. Denn die ununterbrochenen Trump-Beschimpfungen durch Mainstream-Medien und Politik können nicht die notwendigen Maßnahmen im eigenen Interesse ersetzen. Das Ziehen der notwendigen Konsequenzen wäre umso notwendiger, als Trump mit diesem Dogma zumindest in einem Aspekt absolut Recht hat - wenn auch nur aus amerikanischer Warte. Aber nur diese ist in Washington relevant.
Das ist die militärische Dimension, also die gemeinsame Verteidigung im Rahmen der Nato. Amerika zieht zwei Generationen nach Ende des Weltkriegs und eine Generation nach Ende des Kalten Krieges nüchterne, aber fundamentale Bilanz über diese gemeinsame Verteidigung und über seine eigene Weltpolizistenrolle. Alle Logik macht jetzt schon klar, was da herauskommen muss: weitgehender Rückzug Amerikas aus vielen internationalen Engagements, deren Nutzen für die USA nur noch ein sehr geringer ist.
Dieser Rückzug wird vor allem aus Europa stattfinden. Warum sollen die Amerikaner, deren eigene Sicherheit ja weitgehend ungefährdet ist, die Sicherheit des viel exponierteren Europas weiterhin garantieren? Fast alle Gründe dafür sind schon lange weggefallen.
Dies zu erkennen wird umso dringlicher, als Europa seit einigen Wochen ununterbrochen in überheblicher Art moralistische Kritik an den USA übt. Diese Kritik kommt noch dazu am lautesten aus Deutschland, dem wichtigsten Land Europas. Wer auch nur ein wenig von Psychologie versteht, muss erkennen, dass das heftige Trump-Bashing der letzten Monate – selbst wenn es in etlichen Aspekten durchaus berechtigt ist – die Solidaritätsbereitschaft der US-Führung weiter stark reduziert hat. Gegen diese psychologischen Wirkungen haben der Nato-Vertrag und dessen Beistandspflicht laut Artikel 5 nur noch ein sehr papierenes Gewicht. Wenn Solidarität nicht aus tiefstem Herzen kommt, dann findet sie nicht mehr statt. Und wenn man ständig als Volltrottel hingestellt wird, erst recht nicht.
Dass ausgerechnet jene in Europa, die Amerikas jahrzehntelange Weltpolizistenrolle immer wild attackiert haben, jetzt zu den heftigsten Trump-Prüglern gehören, da Trump mit dieser Rolle aufhören will, ist eine zusätzliche Absurdität. Freilich: Diese hauptberuflichen Amerika-Prügler haben ja noch nie zum intelligenteren Teil der Gesellschaft gehört.
Dazu kommt ein weiterer Faktor, der auch schon unter der Obama-Administration immer wieder angesprochen worden ist, wenn auch noch nicht mit der Trump eigenen Verbalbrutalität. Das ist der Vergleich der Verteidigungsausgaben zwischen den einzelnen Ländern. Dieser Vergleich zeigt eine ungleich höhere Last auf den Schultern der Vereinigten Staaten. Und zwar nicht nur in absoluten Beträgen – dort sowieso –, sondern auch relativ, also in Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungskraft jedes Landes.
Die Messung der Verteidigungsausgaben als Anteil am BIP (Bruttoinlandsprodukt) der einzelnen Länder ist die übliche und weitaus beste Vergleichsmethode. Dieser Vergleich zeigt dramatische Unterschiede:
Land | Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP |
USA | 4,3% |
Großbritannien | 2,5% |
Türkei | 2,3% |
Polen | 1,9% |
Frankreich | 1,8% |
Griechenland | 1,7% |
Italien | 1,7% |
Finnland | 1,5% |
Deutschland | 1,4% |
In allen anderen Nato-Ländern ist der prozentuelle Anteil der Verteidigungsausgaben noch niedriger (Allerdings fehlen interessanterweise die kleinen baltischen Staaten in dem „CIA World Factbook“, aus dem dieser Vergleich stammt). In Österreich beträgt dieser Anteil derzeit gar nur 0,7 Prozent (oder 0,8, wenn man die dem obigen Vergleich zugrundeliegenden Ausgaben aus Zeiten vor dem Jahr 2014 als Basis nimmt). Österreich schmarotzt ja – bisher – sicherheitspolitisch durch den Ringsum-Schutz durch die Nato. Und damit indirekt – bisher – durch die USA.
Nur sehr wenige Amerikaner haben Trump bei seiner Kritik an den geringen Anstrengungen Europas widersprochen. Auch wenn er andeutet, dass die USA nur noch jene Länder verteidigen sollten, die sich auch selbst anstrengen. Dabei haben die Nato-Europäer schon in zahllosen feierlichen Erklärungen seit Jahren versprochen, dass jedes Land den BIP-Anteil seiner Militärausgaben auf zumindest zwei Prozent erhöhen würde. Sie haben es aber nie getan.
Dabei ist gar nicht berücksichtigt, dass die Effizienz jeder einzelnen Milliarde der europäischen Ausgaben geringer ist als die der gleichen Summe in den USA. Denn deren Streitkräfte haben den Vorteil einer gemeinsamen Sprache, einer identischen Doktrin und hundertprozentiger technischer Kompatibilität. Die Europäer schaffen das trotz aller Bemühungen nicht.
Das alles muss zu unzweifelhaften Konsequenzen im Kopf eines in rein unternehmerischen Deals denkenden US-Präsidenten führen. Ebenso wie das mit umgekehrter Wirkung die Tatsache tut, dass der israelische Vergleichswert 5,7 Prozent beträgt. Zusätzlich spielt beim amerikanischen Engagement für Israel natürlich auch die Tatsache mit, dass Israel von einer starken Gruppe amerikanischer Wähler unterstützt wird. Das muss jeder US-Politiker berücksichtigen. Während die europäischen Staaten ja keinerlei relevante Unterstützung in der US-Wählerschaft aufgebaut haben.
Das alles heißt eindeutig: Europa müsste sich in Sachen Verteidigung dringend auf eigene Beine stellen. Das Jahrhundert ist vorbei, da man sich darauf verlassen konnte, dass die USA immer wieder als oberste Ordnungsmacht in Europa eingegriffen haben.
Europa sollte dabei auch die eigene Gefährdung bedenken, die eben weit größer ist als die der USA. Das sei an Hand der drei größten Sicherheitsprobleme Europas unterstrichen:
All diese Probleme sind zehn Mal mehr die Europas als die Amerikas. Das sollte Europa dringend einsehen und daraus Konsequenzen ziehen – spätestens seit in Washington so lautstark das „America First“ regiert.
PS: An diesem (wenn auch schmerzhaften) Verständnis für das „America First“ in Sachen Verteidigung, sobald man sich amerikanische Brillen aufsetzt, ändert es nichts, dass in Sachen Wirtschaft Trumps „America First“ langfristig auch für die Amerikaner selbst nachteilig sein wird. Denn wer sich vom Freihandel ausschließt, schadet sich mit Sicherheit auch selbst. Das ist ein fundamentales Prinzip der ökonomischen Zusammenhänge, egal welche Brille man aufhat.
Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.