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„Demokratiepaket“: Luftpostbrief mit Sollbruchstelle

Die von der Koalition präsentierte „Wahlrechts- und Demokratiereform“ ist es kaum wert, sich lange mit ihr zu befassen. So, wie sie jetzt vorgelegt worden ist, wird sie jedenfalls nie und nimmer kommen. Das ist auch nicht weiter aufregend. Aufregend ist freilich etwas anderes: Das, was nicht im Reformvorschlag der Koalition steht. Und dieses Fehlen zeigt das Versagen der Koalition auch auf diesem Gebiet.

Zum Fehlenden zählt erstens eine nach den letzten Wahlen unter der Überschrift „Staatsreform und Demokratie“ im Regierungsprogramm noch groß versprochene Föderalismusreform. Dazu gibt es in der Ära Kern-Mitterlehner überhaupt nichts. Nur zur Erinnerung, was am Beginn dieser (noch von den Herrn Faymann und Spindelegger abgeschlossenen) Koalition versprochen worden war: eine „Entflechtung“ und „eine klare und moderne Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern“. Nichts davon kommt. Das Ganze wurde sanft begraben, obwohl der Istzustand eine riesige Geldverschwendung darstellt.

Und das ist zweitens die uns immer wieder – wie dem Esel die Karotte – vor die Nase gehaltene direkte Demokratie. Die wieder nicht kommt. Das, was uns Rot und Schwarz unter dieser Bezeichnung jetzt präsentieren, ist ein reiner Hohn, ist die verkörperte Verachtung für die Bürger.

Doppelt enttäuschend ist, dass sich auch keine Oppositionspartei darüber erregt. Dabei haben sich Grün wie Blau einst sehr vehement für eine echte direkte Demokratie ausgesprochen. Erstaunlich ist aber auch, dass sich Sebastian Kurz – zumindest bisher – mit keiner Silbe dazu geäußert hat. Dabei war er jener Regierungspolitiker, der sich weitaus am deutlichsten für eine echte direkte Demokratie ausgesprochen hat.

Nur zur Klarstellung semantischer Spielereien: Direkte Demokratie ist das, was die Schweiz hat, was es (bis auf Deutschland) auch in vielen EU-Ländern wenigstens in abgespeckter Form gibt. Sie bedeutet, dass Bürger mit einer ausreichenden Anzahl von Unterschriften ein bindendes Referendum auch gegen den Willen des Parlaments erzwingen können.

Absolut nichts mit direkter Demokratie hat hingegen all das zu tun, was die Koalition jetzt vorgeschlagen hat. Dass es halt auch eigene Sitzungen im Parlament zu einzelnen Volksbegehren geben soll; dass dort die Einbringer eines solchen Begehrens ein paar Minuten reden dürfen; dass Bürger in die Gesetzesbegutachtung einbezogen werden (als ob sie in deren Verlauf nicht schon bisher – erfolglos – ihre Meinung deponieren hätten können). Bla, Bla, Bla.

Nichts davon kann irgendetwas bewirken, kann die Bürger für dieses System zurückgewinnen.

Aber, ok, Wir haben verstanden: Die Bürger sind zu blöd, irgendetwas zu entscheiden. Sie könnten ja „falsch“ entscheiden, während das Parlament bekanntlich immer „richtig“ entscheidet. Sie dürfen nur alle fünf Jahre ihre Stimme an irgendeine der machthabenden Parteien – im Wortsinn – abgeben. Das reicht.

Danach kann die politische Klasse in ihrer unendlichen Weisheit bekanntlich alles viel besser regeln als die Staatsbürger. Wie weise hat sie doch dafür gesorgt, dass binnen einer Generation statt 20.000 heute weit mehr als 600.000 Moslems in Österreich leben, dass es immer mehr Gebiete gibt, die zu No-Go-Vierteln geworden sind, will man nicht in Schlägereien oder Vergewaltigungsversuche geraten.

Wie blöd sind doch die Schweizer mit ihrer direkten Demokratie, die deshalb eine Staatsverschuldung von gigantischen 30 (in Worten: dreißig) Prozent, viel zu niedrige Steuern und viel zu hohe Realeinkommen haben! Während die weise politische Klasse in Österreich dafür gesorgt hat, dass hierzulande die Staatsverschuldung nur 80 (in Worten: achtzig Prozent) ausmacht, dass unsere Steuern die gerechtesten, weil zweithöchsten in der EU sind, und dass die durchschnittlichen Netto-Einkommen nicht die unsittliche Höhe jener der Schweiz erreichen.

Wir danken unserer weisen politischen Klasse devotest. Und merken nur an, dass bei den genannten Prozentsätzen der Staatsschulden die hunderten Milliarden Haftungen für öffentliche Betriebe und die Griechenlandschulden noch nicht mitgerechnet sind (weil die Politik deren Gesamthöhe ja zum Glück in ihrer Güte geheimhält).

Zynismus beiseitegelassen: Immer mehr wird man an jene Epochen erinnert, wo ebenfalls eine Klasse der Macht – damals die feudale Aristokratie –  ihre Privilegien ehern verteidigt hat, weil das Volk ja auch damals für viel zu blöd gehalten worden ist. Oder weil niemand gerne Macht abtritt. Bis es dann zur Explosion gekommen ist.

Auch heute glaubt die Politik wieder, mit ein paar Schmähs die Empörung der Bürger mildern zu können, die ihr von Umfrage zu Umfrage mehr das Misstrauen aussprechen. Eigentlich ziemlich erstaunlich, dass man so gar nichts aus der Geschichte lernt.

Der Rest an diesem groß betrommelten Regierungspaket ist überwiegend läppisch. Ja, gut, es wird überall – um etliche Millionen Steuergeld – ein barrierefreies Wahllokal geben (der Zustand war ja auch unzumutbar, dass sich ein Rollstuhlfahrer alle fünf Jahre von einem Schulwart am Weg ins Wahllokal helfen lassen musste). Ja, gut, es wird einen zusätzlichen Vorwahltag geben (noch ein paar Millionen). Ja gut, die Briefwahlstimmen werden schon am Wahltag ausgezählt (damit der Verfassungsgerichtshof seinen Frieden hat). Ja, gut, Alleinerzieherinnen dürfen wieder ihre Kinder zur Wahl mitnehmen. Und ja, von mir aus, am Wahltag dürfen Kameraleute wieder in die Wahllokale, wenn die erlauchten Politiker ihre Stimme einwerfen (Es wäre ja auch demokratiepolitisch unzumutbar, noch einmal Wahlen ohne Filmberichte über wählende Politiker erleben zu müssen).

Lotzelachs, Petitessen.

Das einzige, was da in diesem Paket Gewicht hat, ist die geplante Zertrümmerung der Macht des Bundespräsidenten. Im Wesentlichen würden seine Kompetenzen aus dem Jahr 1929 nämlich wieder auf das Niveau von 1920 zurückgestutzt. Vieles davon hat sich ja als reine Theorie erwiesen, daher ist es auch nicht schade um solches totes Recht.

Wirklich wesentlich unter den Vorschlägen ist nur jener, dass der Präsident kein Einspruchsrecht mehr gegen die Bestellung höherer Beamter haben soll. Dieses Recht ist – wenn auch hinter den Kulissen – in der Vergangenheit durchaus wahrgenommen worden. Vor allem Heinz Fischer hat dadurch immer wieder Genossen geholfen, sei es, um Botschafter zu werden, sei es, um Schuldirektor zu werden.

Seltsam ist freilich, dass Rot und Schwarz das ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt vorschlagen, da erstmals keiner von ihnen den Bundespräsidenten stellt. Klingt ziemlich vordergründig. Das hat jedoch durchaus einen zweiten Boden.

Denn mit Sicherheit werden weder Blau noch Grün dem Paket zustimmen. Die Blauen hatten im Wahlkampf sogar eine Stärkung des Präsidentenamtes gefordert, können daher jetzt nicht leicht dessen Schwächung mitbeschließen, obwohl ihnen die Beamtenkompetenzen von Van der Bellen sicher nicht nutzen werden). Und die Grünen werden nicht ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt einer Entmachtung des Präsidenten zustimmen, da erstmals einer von ihnen in der Hofburg sitzt.

Eine der beiden Parteien wird aber für die Verfassungsmehrheit benötigt. Das haben natürlich auch die beiden koalitionären Klubobmänner gewusst und einkalkuliert, die das ausgehandelt haben. Daher ist das ganze Kapitel „Bundespräsident“ in Wahrheit eine vorprogrammierte Sollbruchstelle: Man hat von vornherein einen Verhandlungserfolg der Grünen eingeplant, die ohnedies immer danach gieren, an der Macht teilhaben zu können. Ihnen wird der Erfolg vorprogrammiert, dass sie das Kapitel Bundespräsidenten-Schwächung herausverhandeln können. Dann können sie sich fest auf die Schulter klopfen, Gewichtiges verhindert zu haben, das sonst (vielleicht gar mit den freiheitlichen Stimmen) gekommen wäre.

Und niemand soll merken, dass aus dem 2013 versprochenen Demokratiepaket längst ein leichter Luftpostbrief geworden ist.

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