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Lügen, Propaganda, Manipulation, Inszenierung, konstruiertes Faktum, Falsifikat, Geheimdienstarbeit, Betrug, Fiktion, PR, Werbung, List, Gehirnwäsche, Erfindung, Imitat, Fälschung, Schmäh, Lügenpresse – aber auch Irrtum und Fehler: Seit jeher gibt es all diese Dinge. Umso skurriler ist, dass heute Medien und Politiker so tun, als ob es etwas ganz Neues wäre, nur weil all das jetzt auch im Internet stattfindet, nur weil man jetzt auch englische Ausdrücke hat: „Fake News“ oder „Alternative Facts“.
In Wahrheit geht es immer um dasselbe: um die Wahrheit. Das Problem ist nur: Niemand hat sie. Niemand hat jedenfalls die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Jeder Richter kennt das Phänomen: Verkehrsunfall mit fünf verschiedenen unabhängigen Zeugen – der Richter aber hört bei der Verhandlung fünf verschiedene Versionen und verzweifelt an der uralten Frage: „Was ist Wahrheit?“
Bei der großen Schlacht um Lügenpresse und Fake News geht es nämlich gar nicht um die Wahrheit. Sondern darum, sich selbst in die Position des Wahrheits-Anscheins zu bringen. Es geht um das fundamentale Match: Ich wahr, du Lüge. Gewinnt man dieses Match, dann hat man jede Debatte gewonnen.
Genau dieses Match spielen jetzt die alten Medien und die mit ihnen verbandelte Politik. Sie versuchen damit eine Entlastungsoffensive, weil beide hoffnungslos in die Defensive geraten sind. Umfragen zeigen, dass die Politik nur noch Vertrauenswerte um die 20 Prozent hat. Und den Zeitungen schallt es überall entgegen: „Lügenpresse!“. Sie haben massiv das Vertrauen der Leser verloren und sind in Existenzgefahr – würde sie nicht der Staat in Österreich und anderen korrupten Ländern mit immer mehr Steuergeld auffangen.
Das doppelte selbstverschuldete Vertrauensproblem „Lügenpresse!“ und „vom Staat bestochen!“ trifft die Printmedien ausgerechnet in jener Phase, wo sie durch das Internet in der größten Krise ihrer Geschichte stecken. Viele Zeitungsleser wandern dorthin ab, weil sie sich dort schneller, aus viel mehr Quellen und überwiegend gratis informieren können.
Bisher sind die Zeitungen daran gescheitert, ihre eigenen Internet-Angebote kostenpflichtig zu machen. Das funktioniert nur bei den US-Spitzenzeitungen gut (Wallstreet Journal, New York Times). In Österreich scheitert das am Gratisangebot auf orf.at. Solange die Internet-Leser dort unentgeltlich (von den ORF- Zwangsgebühren finanziert) die aktuellen Nachrichten lesen können, sehen sie keinen Grund, für fast die gleichen Nachrichten etwas zu bezahlen. Werden doch überdies die Zeitungsangebote einander immer ähnlicher: Da es ihnen allen schlecht geht, bauen sie immer mehr Personal ab, haben immer weniger eigene Artikel, und veröffentlichen das gleiche (oft schlechte) Agenturmaterial.
In dieser Not versuchen die Zeitungen nun, die neue Konkurrenz zu diskreditieren, also die unabhängigen Internet-Angebote, die Blogs, Facebook und Twitter, die alljährlich satte zweistellige Prozentsätze als Zuwachs haben.
Zweifellos steht im Internet unglaublich viel Unwahres, Unrecherchiertes, Esoterisches. Dort können Geheimdienste besonders leicht ihr Unwesen treiben. Insbesondere der russische tut das auf gut getarnten Internet-Seiten – was die CIA freilich schon lange in Print getan hatte.
Jedoch findet im Internet auch oft viel mehr Wahres als in den traditionellen Medien statt. Denn dort besteht Unabhängigkeit von parteipolitischer Bestechung. Dort herrscht belebende Vielfalt. Dort führt nicht der Herdentrieb und Gruppendruck in den klassischen Redaktionen dazu, dass die Kommentare und Analysen um ihren Job bangender Journalisten einander immer ähnlicher werden. Motto: Wenn alle so schreiben, kann man ja nicht ganz falsch liegen.
Ich selbst habe viele Jahre in beiden Welten verbracht, Print wie Online, und dabei viele Erfahrungen gesammelt, kann aber dennoch nicht sagen, wo mehr Unwahres zu lesen ist. Sind doch alle Medien von den Informationen aus Politik oder Wirtschaft abhängig. Und die sind immer einseitig, immer versteckte Propaganda.
Medien transportieren auch oft bloße Gerüchte. Mein eigener größter „Fake“ unterlief mir einst in Print-Zeiten: Der Chef des Auslandsgeheimdienstes teilte mir mit, dass er soeben von einem Mitarbeiter aus Moskau die vertrauliche Nachricht erhalten hatte, Präsident Jelzin sei gestorben. Da Jelzin lange schon kränkelte, da Russland damals Todesfälle immer einige Tage geheim hielt, da man so etwas nirgendwo gegenchecken konnte, beschloss ich, die Nachricht – wenn auch mit vorsichtigen Formulierung – in die Zeitung zu rücken. Sie war aber falsch, nur ein in Moskau kursierendes Gerücht. Jelzin lebte noch zwei Jahre. Ein klassischer Fake.
Ununterbrochen passiert auch, dass die politische Macht zwar nicht direkt lügt, aber doch massiv manipuliert. Selbst in der staatsoffiziellen Statistik. Nicht dass dort falsche Zahlen stehen – nur finden sich dort halt manche Daten nicht. Etwa über die wahre Staatsverschuldung (also samt Haftungen und eingegangenen Pensionszusagen) oder über die Zahl der Moslems. Damit vermeidet die Politik von vornherein das Entstehen eines Themas.
Was im Grundbuch, im Gesetzblatt, im Urteil steht, ist zwar ein Faktum mit Rechtsfolgen – muss aber, etwa im Falle eines Fehlurteils, noch lange nicht wahr sein.
Unendlich ließen sich Beispiele aus dem diffusen Grenzgebiet zwischen Fakt und Fake anführen. Wie soll sich der einzelne da helfen? Ihm bleibt nichts anderes über, als selbst in jedem Medium jede Nachricht auf Plausibilität abzuklopfen; als weitere Quellen zu suchen; als zu prüfen, ob der Autor bekannt ist oder nicht; als nachzudenken, ob da Manipulations- oder Inseraten- oder Propagandainteressen dahinterstecken könnten.
Man sollte sich vor allem immer bewusst bleiben: Es gibt nie die absolute Garantie, dass etwas wahr oder erlogen sein muss. Man kann das aber auch positiv sehen: Diese diffuse Ungewissheit macht das Leben auch irgendwie spannend und aufregend.
Dieser Text ist in ähnlicher Form im Magazin für Querdenker „Alles Roger?“ erschienen:
www.allesroger.at/