Kern: Niederlage; Mitterlehner Punktesieg mit zwei blauen Augen; Österreich: Unentschieden
30. Januar 2017 02:16
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 8:00
Wenn auch nur ein Teil des von der Regierung in einwöchiger Arbeit fertiggestellten „Arbeitsabkommens“ Wirklichkeit werden sollte, dann ist das zweifellos mehr, als in diesem Land in den letzten Jahren beschlossen worden ist. Viel wichtiger aber ist die Frage: Sind die Punkte eigentlich gut oder schlecht für Österreich, die da zusammengeschrieben worden sind? Nun: Es sind einige katastrophale Unsinnigkeiten dabei. Es ist aber auch einiges Positives dabei, was man von dieser Regierung eigentlich kaum mehr erwartet hätte.
Fangen wir mit dem Positiven an, soweit man das jetzt schon überblicken kann (und nehmen wir einmal an, das „Arbeitsabkommen“ wird auch etwas mit der Realität zu tun haben):
- Der größte Teil des total unseriösen „Plans A“ von Christian Kern – einer wilden, völlig unfinanzierbaren Aneinanderreihung von banalen Wahlversprechen an jede noch so kleine Gruppe, die mehr an einen Brief ans Christkind als an seriöse Politik erinnert hat – wird nicht verwirklicht.
- Das neue, von Sebastian Kurz schon lange vorbereitete Integrationsgesetz hat in einigen Teilen die Zustimmung der SPÖ gefunden. Es bringt mehrere wichtige Punkte:
- ein Vollverschleierungsverbot im öffentlichen Raum;
- ein Kopftuchverbot für Exekutive, Richter und Staatsanwälte (aber leider nicht für die übrigen Beamten, insbesondere unverständlicherweise auch nicht für Lehrerinnen!!!);
- die Verpflichtung für Asylberechtigte zu gemeinnütziger Arbeit;
- relativ unklar ist noch, was das von der SPÖ durchgesetzte „Integrationsjahr“ genau bedeuten wird – außer dass es wohl teuer wird.
- Marginal positiv, aber noch viel zu unkonkret ist die angekündigte Überwachung von Dschihad-Heimkehrern sowie die ausgeweitete Video-Überwachung im öffentlichen Raum. Das ist vor allem deshalb viel zu wenig, weil Dschihad-Heimkehrer nicht überwacht, sondern inhaftiert werden sollten – was nicht nur die Sicherheit auf ein paar Jahre erhöhen, sondern auch manche Kriegsteilnehmer von der Rückkehr nach Österreich abhalten würde).
- Die kalte Progression wird zu 80 Prozent abgeschafft (Das ist zwar weniger als 100 Prozent, aber deutlich besser als der bisherige Zustand, wo die Politik geglaubt hat, dass man ihr auch noch die Füße küssen müsse, wenn sie jeweils viele Jahre zu spät einen Teil des den Steuerzahlern Gestohlenen zurückgibt).
- Es soll mehr vorzeitige Abschreibungen geben und die Forschungsprämie für Unternehmen soll von 12 auf 14 Prozent erhöht werden. Das hält zumindest die Politik für etwas Positives, obwohl es ökonomisch viel schlauer wäre, die Steuern zu senken. Denn dadurch hätten die Unternehmen echte Anreize zu dynamischer Aktivität. Forschungsprämien sind in der Praxis nämlich sehr oft bürokratisch und suboptimal, denn oft werden sinnlose und unproduktive Aktivitäten nur deshalb unternommen, um diese Prämien zu kassieren.
- Besonders überraschend – und positiv – klingt die angekündigte Lockerung beim Kündigungs- und Arbeitnehmerschutz. Relativ widersprüchlich ist es freilich, dass die Regierung zugleich behauptet, Zehntausende Arbeitsplätze für Über-50-Jährige „schaffen“ zu wollen. Denn in der Vergangenheit hat sie dieses Ziel immer nur durch mehr Bürokratie und Kündigungsschutz zu erreichen versucht. Was natürlich immer dazu geführt hat, dass viele Arbeitnehmer knapp vor dem 50. Geburtstag gekündigt worden sind. Oder soll diese große Zahl etwa gar beim Staat angestellt werden?
- Lobenswert ist eine Senkung der Lohnnebenkosten.
- Eindeutig positiv ist, dass die etwas vage von der SPÖ zugesagte „Studienplatzfinanzierung“ nun konkret den Ausbau von Zugangsbeschränkungen an den Unis bedeuten wird. Das wird mit einer deutlichen Erhöhung der Stipendien verbunden.
- Es scheinen keine Steuererhöhungen vereinbart worden zu sein.
- Eher schon an der Grenze des Skurrilen ist, dass alle Schüler Gratis-Laptops und -Tablets bekommen sollen. Denn unter all den Defiziten der Schulausbildung sind mangelnde Computerfähigkeiten wohl die allergeringsten. Es ist sogar zu befürchten, dass durch einen solchen Akzent die sich – nicht nur bei Migranten – katastrophal entwickelnden Lese-, Artikulations- und Schreibfähigkeiten der Schüler noch weiter verschlechtert werden. Und dass Google alle Reste einer Allgemeinbildung ersetzen soll.
Das ausschließlich Negative
Damit sind wir endgültig im Bereich des Negativen gelandet – wobei ja eben auch schon im positiven Kapitel viele kritische Anmerkungen und Einschränkungen zu machen waren.
- Bei den Blödheiten steht die Absurdität von verpflichtenden Frauenquoten in Aufsichtsräten auch der Privatindustrie an der Spitze. All die vielen Gründe, warum ein solcher regulatorischer Eingriff in Zeiten, wo ständig Deregulierung postuliert wird, ein wirtschafts- und leistungsfeindlicher Unsinn ist, sind hier schon aufgezählt worden. Dieser Unsinn wird übrigens wohl auch noch mehr Firmen zu einem Rückzug von der ohnedies kriselnden Wiener Börse bewegen. Besonders erstaunlich ist diese Maßnahme, wenn gleichzeitig behauptet wird, dass das Arbeitsübereinkommen die „Schnittmenge“ zwischen den beiden Parteien sei. Das würde heißen: Die ÖVP hat diesem Quotenzwang nicht nur als Kompromiss zugestimmt, sondern sie ist offensiv dafür gewesen.
- Das Thema der schon lange als einer der wenigen positiven Fixpunkte genannten Flexibilisierung der Arbeitszeit (mit deren Hilfe die Betriebe flexibler auf den unterschiedlichen Arbeitsanfall reagieren könnten) ist nun doch wieder den Sozialpartnern, also dem Wohlwollen der Gewerkschaft überlassen worden. Aber genau die haben das schon seit Jahren blockiert. Genau deswegen ist auch die Industriellenvereinigung, die besonders um die Flexibilisierung gekämpft hat, wohl zu Recht empört.
- Es finden sich keine wirksamen Maßnahmen zur effektiven Begrenzung der Zuwanderung (höchstens von Frauen, die verschleiert über die Grenze kommen …).
- Auch über die Pensionen – das finanziell allergrößte Zukunftsproblem – wurde nichts vereinbart.
- Die Staatsanwaltschaft wird zur Jagd auf kritische und politisch unkorrekte Meinungen aufgestockt, während sie in vielen wichtigen Verfahren in anderen Rechtsmaterien offenbar weiterhin acht oder zehn Jahre brodeln und ihre Opfer so mehr strafen kann, als das dann die Richter können, während sie die Korruption nur bei ehemaligen Freiheitlichen verfolgt.
- Und das größte Fragezeichen: Zwar scheinen alle besonders teuren SPÖ-Wünsche abgeschmettert – aber auch der offenbar Konsens findende Rest kostet Etliches, wenn auch noch nicht genau Bezifferbares. Kann das wirklich mit den vom Finanzminister als einzige Finanzierungsquelle verkündeten Pauschaleinsparungen quer durch alle Ministerien finanziert werden? Klar ist freilich, dass da etliches drinnen wäre. Und das wäre auch sicher positiv – denkt man etwa an die überflüssige Subventionierung zahlloser Vereine und NGOs, oder gar an die Bestechungsinserate (die freilich hauptsächlich aus dem Wiener Rathaus kommen).
Die Bilanz
Wäre es nun fürs Land besser oder schlechter, wenn dieses neue Abkommen - soweit man es bisher schon überblickt - nicht beschlossen worden wäre? Nach dem jetzigen Wissensstand ist das mit 50 zu 50 zu beurteilen. Freilich: Wenn man annimmt, dass im Kleingedruckten und bisher noch nicht Kommunizierten noch viel Schlimmes stehen könnte, wenn man bedenkt, dass beim Gesetzeswerdungsprozess auch halbwegs gute Ansätze erfahrungsgemäß noch verwässert werden, wenn man sich bewusst macht, dass bei solchen Regierungsprogrammen ein Teil letztlich nie umgesetzt wird – dann ist das Urteil derzeit so zu formulieren:
- Es wäre kein großer inhaltlicher Schaden, wenn dieses Arbeitsprogramm nicht zustandegekommen wäre.
- Reinhold Mitterlehner ist nicht wie erwartet stehend umgefallen, wenngleich er etliches Schlimmes akzeptiert, dafür aber anderes durchgebracht hat.
- Christian Kern, der seit Amtsantritt eindeutig auf Neuwahlen aus war, hat diese nicht durchgebracht und sich damit eher blamiert. Die Gründe dafür:
- Kern fehlt die politische Erfahrung. Er verwechselt auch die Regierung mit einem Staatsbetrieb, wo der Chef (wenn auch auf Steuerkosten) ungehindert fuhrwerken kann.
- Die ÖVP hat mit einer relativ geschickten Schaumgummi-Strategie reagiert und Kern so jede taktische Möglichkeit genommen, ihr die Schuld zuzuschieben.
- Die Umfragen sind für die SPÖ keineswegs so toll, wie man es auf Grund des Neuer-Mann-Effekts vielleicht innerparteilich erwartet hätte.
- Die Wiener Landespartei, also die weitaus wichtigste SPÖ-Organisation, befindet sich in einem internen Atomkrieg hinter den Kulissen. Aber auch fünf andere SPÖ-Landesparteien sind in einem eher deplorablen Zustand. Sie haben daher offensichtlich alle parteiintern heftig vor Neuwahlen gewarnt. Nur in den drei südlichen Bundesländern ist die SPÖ derzeit noch gut intakt. Daher hätte das Burgenland auch gerne gewählt.
- Auch die von Kern im Herbst spontan und unüberlegt angesetzte SPÖ-Mitgliederbefragung über das Ceta-Abkommen, an der sich extrem wenige beteiligt haben, hat gezeigt, dass er die Partei nicht mobilisieren kann, und dass daher für ihn auch Neuwahlen gewaltig in die Hose gehen könnten.
- Der neue Bundespräsident hatte keinesfalls an dem Beschluss von Neuwahlen wenige Stunden nach seinem Amtsantritt Interesse. Damit würde ja genau jenes Szenario realisiert, das die Linke für die Wahl des blauen Gegenkandidaten an die Wand gemalt hat.
PS: Die Groteske um die Unterschrift von Innenminister Sobotka wird die Sache wohl nicht zum Scheitern bringen – ob er nun das ganze Arbeitsabkommen oder nur „seinen“ Teil unterschreibt. Vielmehr beweist die Groteske erneut die total vergiftete Atmosphäre zwischen Sobotka und Kern, die unrettbar ist, seit Kern aus internen Ministerratssitzungen intrigant-bösartig ausgeplaudert hat, dass Sobotka mit seinem Landeshauptmann per SMS kommuniziert hat. Im Vergleich dazu hat sogar Werner Faymann mehr Stil gehabt. Aber auch Sobotkas Vorpreschen in Sachen Unterschrift ist nur grenzintelligent.
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