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Jahrelang hat sich Österreich demonstrativ desinteressiert am Nachlass des 2011 verstorbenen Otto Habsburg gezeigt. Jetzt geht dieser Nachlass nach – Ungarn. Das haben mir in den letzten Tagen mehrere ungarische Regierungsmitglieder mit triumphierendem Unterton berichtet. Eine ziemliche Schande für Wien und Österreich.
Dabei haben gerade in diesen Tagen die österreichischen Aktivitäten, das Habsburger Erbe kommerziell und touristisch auszuschlachten, einen neuen Höhepunkt erreicht. Der hundertste Todestag von Franz Joseph im heurigen Jahr wurde an mehreren Orten als Anlass für Ausstellungen genutzt, die Hunderttausende Besucher anlockten. Und seine exzentrische Ehefrau Elisabeth vulgo Sisi ist überhaupt der Megastar in der Habsburger-Vermarktung, die Millionen Touristen anlockt und Zigtausende touristische Arbeitsplätze in Wien sichert.
Aber für den Nachlass des Sohnes des letzten Kaisers interessiert sich diese Republik nicht. Dabei war dieser nicht nur Sohn und Nachfahre bedeutender Vorfahren, sondern auch selbst eine historische Persönlichkeit. Seine vielen Jahre im Europäischen Parlament, sein Engagement für die friedliche Einigung Europas, seine vielen Bücher, seine mitteleuropäische Gesinnung allein hätten Anlass sein müssen, dass sich die Wiener und österreichischen Historiker intensiv mit Otto Habsburg befassen.
Noch viel wichtiger war aber Ottos Wirken während des Zweiten Weltkriegs. Da war er vor allem in Amerika als unermüdlicher Vorkämpfer und Lobbyist für das Wiedererstehen eines freien und unabhängigen Österreichs unterwegs. Da war er für die Nazis der meistgehasste Österreicher überhaupt. Hitler fürchtete vor dem „Anschluss“ am meisten, dass die Ständestaat-Regierung die Regierung noch an Otto Habsburg übergibt – was in Wien damals auch überlegt worden ist. Das hätte zweifellos einen viel härteren Widerstand gegen die Machtübernahme durch Nazi-Deutschland bedeutet.
Dennoch: Die österreichischen Universitäten und erst recht die Politik interessieren sich nicht für Otto. Aus klarem Grund. Denn die Sozialdemokratie – was fast automatisch eine gleichgeschaltete Haltung der Wiener Zeitgeschichtsprofessoren zur Folge hat – ist mit der schweren Schande behaftet, dass sie Otto und seiner Familie bis in die 60er Jahre die Einreise nach Österreich verwehrt hat. Ottos Familie bekam damals nur österreichische Pässe mit dem grotesken Vermerk: „gültig für alle Länder der Welt ausgenommen Österreich“. So sehr fürchtete die SPÖ die Strahlkraft des "Hauses Österreich", wie die Habsburger ja auch jahrhundertelang genannt wurden.
Das ist einer der Gründe dafür, dass die SPÖ – aus der ja der für Museen zuständige Minister Drozda kommt – kein Interesse am Otto-Nachlass hat. Es wäre wohl doch zu peinlich für diese lange (bis zu Bruno Kreisky) von Habsburg-Fressern beherrschte Partei, wenn ein Pass mit diesem Stempel künftig in Wien in einer Vitrine zu bestaunen wäre.
Das Verhalten Österreichs ist umso grotesker, als die SPÖ gleichzeitig in der Wiener Hofburg – also „dem“ Habsburger Hauptquartier – ein „Haus der österreichischen Geschichte“ errichten will, an dessen Spitze ein strammer Parteihistoriker stehen soll.
Schon das ins Auge gefasste Beginndatum der Museumsinhalte – 1848 – zeigt, dass man eine sehr skurrile Vorstellung von Österreich und seiner Geschichte hat. So als ob es vorher kein Österreich gegeben hätte. Offensichtlich wird das Land mit der Partei verwechselt: Denn mit 1848 würde das Museum genau mit jener Epoche beginnen, in der es erste Ansätze zu Marxismus und Sozialdemokratismus gegeben hat.
Wenn man so bewusst wichtige Abschnitte der Geschichte auszuschalten versucht, dann bestätigt das den Verdacht, dass hier eine massive Geschichtsklitterung geplant ist. (Dass die ÖVP dem Museum, seinem Konzept und Leiter zugestimmt hat, ist nur ein weiterer Beweis für das tiefe geistige Vakuum in der Partei der Ära Mitterlehner-Mahrer).
Der Zorn über den Umgang mit dem Nachlass hängt im Übrigen überhaupt nicht damit zusammen, ob man Otto Habsburg für einen großen Denker hält oder nicht. Das ist ja in der Tat durchaus diskutabel. Aber Otto war unabhängig von dieser Frage jedenfalls eine historische Persönlichkeit, nicht nur durch seine Abstammung, sondern auch durch sein Wirken. Und unbestreitbar ist sein Lebenslauf sauberer als der etwa eines Franz Joseph, der sowohl am Beginn wie am Ende seiner Kaiserzeit persönliche (Mit-)Schuld an unnötigem Blutvergießen auf sich geladen hat. Freilich war Franz Joseph auch der Regent während der größten und schönsten Blütezeit Wiens und Österreichs auf fast allen Gebieten, von der Kultur und Architektur bis zur Wissenschaft und Industrie, von der Erlassung des bis heute noch gültigen Grundrechtskatalogs bis zur Einführung des gleichen (Männer-)Wahlrechts. Von dieser Erbschaft profitiert das Land vielfach heute noch.
Statt Österreichs kann sich jetzt immer mehr Ungarn im Glanz des vielleicht wichtigsten Herrscherhauses der europäischen Geschichte sonnen. Dabei haben die Magyaren ja zumindest bis 1867 die Habsburger nicht gerade geschätzt und mehrere Revolutionen gegen sie angezettelt…
Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.