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Es wird Mode: Wenn die Bürger nicht parieren, kommen sie auf die Strafbank. Wenn sie bei einem Referendum nicht so abstimmen, wie das eine Regierung will, dann ändert die Regierung an der Vorlage einfach ein paar Beistriche – und setzt das Ganze in Kraft. Ohne nochmals die widerspenstigen Menschen zu fragen. Die haben es ja durch ihre Dummheit nicht verdient, nochmals mitbestimmen zu dürfen. Das Volk ist offensichtlich weltweit für die politmediale Klasse bloß ein Haufen Unzurechnungsfähiger oder kleiner Kinder.
Jüngstes Beispiel eines solchen eigentlich absolut ungeheuerlichen Vorgehens ist Kolumbien. Dort hat das Volk bei einer Volksabstimmung einem Friedensvertrag mit den FARC-Rebellen, die das Land seit Jahrzehnten mit einer Fülle kriegerischer und terroristischer Aktionen erschüttert haben, die Zustimmung verweigert. Daraufhin haben Regierung und Rebellen den Vertrag ein wenig umformuliert – ohne irgendetwas Wesentliches zu ändern. Und die Regierung setzt das Abkommen ohne ein weiteres Referendum einfach in Kraft. Das Volk hatte ja seine Chance gehabt, Ja zu sagen. Eine zweite kriegt es nicht.
Dabei lehnen sämtliche kritische Stimmen das Abkommen auch in der aufpolierten Fassung ab. An der Spitze der Kritiker steht dabei der populäre Expräsident Uribe. Er hat in Wahrheit die historische Leistung errungen, die FARC-Rebellen so weit militärisch zurückzudrängen, dass sie im Grund schon seit einigen Jahren besiegt sind. Zugleich ist Kolumbien wirtschaftlich durch einen kapitalistischen Kurs überaus erfolgreich, sodass die Rebellen auch keinen ökonomischen Unterboden mehr haben.
Der FARC ist daher gar keine andere Option mehr geblieben, als einen Friedensvertrag zu unterzeichnen. Jahrzehnte haben die Guerilleros mit linksmarxistischer Rhetorik, drogenhändlerischer Praxis, Entführungen und Morden das Land gequält. Durchaus verständlich, dass sich die Mehrheit der Kolumbianer dagegen ausspricht, wenn die FARC-Menschen jetzt so gut wegkommen sollen.
Absolut unverständlich ist hingegen, dass die Regierung über das Volk einfach drüberfährt und dieses gar nicht mehr abstimmen lässt, weil das ja wieder schief gehen könnte.
Ich persönlich hätte ja durchaus für den Frieden ohne Abrechnung und Prozesse gestimmt. Aber freilich: Aus der Ferne eines anderen Kontinents ist es leicht, sich für einen Friedensschluss auszusprechen. Ich habe ja nicht wie viele Kolumbianer eine Generation lang unter dem Konflikt gelitten.
Das Frappierende ist: Kolumbien ist keineswegs ein Einzelfall. Man denke etwa an Griechenland. Da hat die Regierung im Vorjahr ebenfalls eine Abstimmung angesetzt – in diesem Fall sogar ohne jede Notwendigkeit – und das Votum gewonnen. Aber dennoch hat sie den Ausgang des Referendums dann nur Wochen später einfach ignoriert. Die Griechen hatten ja Nein zu den Sparforderungen von EU&Co gesagt. Und trotzdem hat die Regierung schließlich doch Ja zu den EU-Forderungen gesagt. Ohne ein neuerliches Referendum anzusetzen.
Auch in den Niederlanden ist ähnliches passiert. Dort sogar schon zweimal. Erst vor wenigen Monaten haben die Niederländer Nein zu einem EU-Vertrag mit der Ukraine gesagt – und dennoch wird dieser Vertrag von der EU realisiert, als ob nichts passiert wäre. Mit Unterstützung der niederländischen Regierung.
Haargenau dasselbe passierte in dem Benelux-Staat 2005 mit dem Vertrag über eine neue EU-Verfassung. Der wurde von den Niederländern mit einer überaus satten Mehrheit (62 Prozent!) abgelehnt. Dasselbe geschah in Frankreich. Auch dort hat damals eine Mehrheit Nein zur EU-Verfassung gesagt.
Was beschlossen daraufhin die EU-Regierungschefs? Das Wort „Verfassung“ wurde aus dem Entwurf gestrichen und zu „Vertrag“ umgemünzt – mit genau der gleichen rechtlichen Qualität. Sonst gab es nur minimale Retuschen und dann wurde das Ganze rein parlamentarisch ratifiziert und in Geltung gesetzt. Ohne weitere Volksabstimmungen, auch in Großbritannien und den Niederlanden nicht.
Wen kann es da eigentlich noch wundern, dass die Bürger vieler Länder das „System“, wie es immer öfter verachtungsvoll genannt wird, zunehmend ablehnen? Wen kann es da überraschen, dass seither gerade in Frankreich und den Niederlanden Anti-EU-Parteien auf einem gewaltigen Siegeszug sind? Die Machthaber erklären das Volk für dumm und schalten es einfach von Entscheidungen wieder aus. Sie begreifen nicht, dass sie damit ihren eigenen Untergang beschleunigen.
Wohlgemerkt: Ich selbst hätte sowohl in Kolumbien wie beim EU-Ukraine-Vertrag anders gestimmt als die Mehrheit. Aber Demokratie heißt nun halt einmal, sich auch mit Niederlagen bei fairen Abstimmungen abzufinden. Das heißt es sogar vor allem anderen. Siege zu respektieren, fällt leicht. Nur Niederlagen hinzunehmen ist eine Leistung.
Die politische Klasse hat das offenbar verlernt. Und auch die Medien nicht. Denn nirgendwo haben sie einen Proteststurm gegen das Verhalten der Regierungen entzündet.
Den EU-Vertrag haben die Bürger hingegen wohl mit gutem Grund kritisch gesehen. Denn er hat eine überflüssige zusätzliche Machtkonzentration in Brüssel sowie eine Fülle von Überregulierungen gebracht. Er hat den hervorragend funktionierenden Binnenmarkt vor allem durch die Ausdehnung auf Menschenrechte und durch die Schaffung einer eigenen „Sozialcharta“ zu einer linksliberalen Gesinnungsdiktatur verwandelt, die von Genderismus bis Political Correctness seither viel überflüssiges Unheil angerichtet hat. Diese Verfassung, die nicht so genannt werden darf, hat sicher Europa in die schwerste Krise seit seiner Gründung gestürzt.
Bei einem weiteren Votum, dem britischen Brexit (den ich übrigens ebenfalls als bedauerlich sehe), mag vorerst offen bleiben, ob es realisiert wird. Ein Teil des Unterhauses will das ja nicht tun. Freilich: Die Briten haben eine echte und faire Beziehung zur Demokratie. Daher ist ein Ignorieren des Referendums eigentlich nicht zu erwarten. Daher würde die britische Regierung wohl jedenfalls ein weiteres Referendum abhalten, wenn es doch noch zu einem mitgliedschaftsartigem Arrangement mit der EU kommen sollte. So ein zweites Referendum wäre auch absolut nicht undemokratisch. Auch Parlamente stimmen ja immer wieder über die gleiche Frage ab – und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Beim Punkt Referendums-Missachtung darf man auf Österreich stolz sein: Das Nein der Bürger zur Wehrpflicht-Abstimmung ist bisher ohne Wenn und Aber beachtet worden. Neuerdings haben wir sogar wieder einen Verteidigungsminister, der dahintersteht. Das Zwentendorf-Nein (das ich bis heute für falsch halte) ist sogar in den Verfassungsrang gehoben worden.
Dennoch sollte man auch im Falle Österreich nicht auf eine sonderliche Hochachtung der Politik vor den Bürgern schließen. Denn die Regierungskoalition hat gerade in den letzten Stunden wieder deutlich gezeigt, dass sie die Bürger im Grund für einen Haufen kleiner Kinder hält. Und zwar für solche Kinder, die man einfach mit einer Handvoll Zuckerln bestechen kann.
Da wird den Bauern ein Teil der Sozialversicherung geschenkt. Da wird den Pensionisten ein Hunderter zusätzlich zugesteckt. Schulden hin, Steuerlast her. Da scheut man sich auch nicht, ganz in die Fußstapfen des sonst immer verdammten Jörg Haider zu treten, den man einst heftig kritisiert hat, weil er eigenhändig ähnlich Hunderter verteilt hat.
Das tut man nur, wenn man die Bürger für dumm und so bestechlich hält, dass sie wegen überflüssiger Geschenke wirklich ihr Wahlverhalten ändern. Dabei wissen die meisten Bürger ohnedies, dass sie solche Geschenke letztlich selbst bezahlen müssen. Dieses freihändige Geld-unters-Volk-Werfen zeigt aber auch mehr als deutlich, dass beide Parteien davon ausgehen, dass es möglichst bald Neuwahlen geben wird. In solchen Perioden, da Ökonomen wie Vernunft weggesperrt werden, bestimmen plötzlich die Spin-Doctoren mit Ratschlägen zu derartigen Werf-Aktionen die Politik.
Das ist fast ebenso peinlich und widerlich wie Regierungen, die ihrem Volk das Entscheidungsrecht bei Referenden einfach wieder entziehen, weil das Volk falsch abstimmt.
PS: Hat irgendjemand bei diesem Geld-unters-Volk-Werfen übrigens etwas vom sonst immer so schön redenden Finanzminister gehört? Er müsste nämlich genau in solchen Momenten nicht schön, sondern beinhart sagen: „Nur über meine Leiche, solange wir Defizite haben.“ Aber genau in solchen Momenten verstummt er immer.