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Ceta oder: Wie Führungsschwäche die Politikverdrossenheit steigert

Christian Kern erinnert an kleine Kinder und manche Tiere: Diese können zwar einen Baum hinauf klettern, sind aber nicht imstande, wieder kontrolliert herunterzukommen. Sie fallen vielmehr nach einer Phase ratloser Verzweiflung hilflos herunter und bleiben dann mit den Beinen zappelnd auf dem Rücken liegen. Hoffentlich unverletzt. „Wärst nicht hinaufgestiegen, wärst nicht heruntergefallen“, sagen dann erboste Eltern. Das ist jetzt auch dem SPÖ-Vorsitzenden zuzurufen.

Er hat mit seinem Verhalten rund um das Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada weit mehr als ein Dutzend schwere Fehler begangen, die nicht mehr nur als Anfängerfehler heruntergespielt werden können:

  1. Er ist – angeblich auf Rat eines scharfmacherischen Spin-Doctors – ohne jede Not, ohne jeden Zwang auf den Baum der Ankündigung einer Ceta-Unterschriftsverweigerung hinaufgeklettert, ohne irgendeine Ahnung zu haben, wie er da wieder herunterkommen wird, obwohl er wissen hätte müssen, dass er diesen Kurs nicht durchhalten kann.
  2. Er hat die Stimmung unter der Bevölkerung und seinen Parteimitgliedern völlig falsch eingeschätzt. Er hat geglaubt, Anti-Ceta-Hetze in der Kronenzeitung, die lauten Töne der linken NGOs und der Freiheitlichen sowie eine eher skeptische Reaktion bei Meinungsumfragen würden eine massive Anti-Ceta-Stimmung anzeigen. Daher hat Kern plötzlich eine parteiinterne Mitglieder-Abstimmung über Ceta angesetzt. An dieser hat dann aber – trotz Öffnung für Nichtmitglieder, wo also etwa auch die angeblich so vielen Ceta-hassenden Grünen mitmachen hätten können – fast niemand teilgenommen. Das zeigt: Den Österreichern ist in Wahrheit die Frage völlig wurscht. Damit ist die erste große politische Aktion des neuen SPÖ-Chefs völlig in die Hose gegangen.
  3. Kern hat auch nicht begriffen: Die Bürger lassen sich durch absolute Randthemen wie einen Vertrag mit Kanada nicht von den sie wirklich bewegenden, aber für die SPÖ unangenehmen Themen ablenken. Relevant für die Österreicher ist erstens – und lange vor allem anderen – auf Dauer der Komplex „Völkerwanderung/Kriminalität/Terrorismus“. Zweitens die miese Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit. Drittens die Krise von Euro und EU samt der irrwitzigen Griechenland-„Rettung“.
  4. Kern hat mit seinem Verhalten nicht wie vermutlich beabsichtigt einen Propagandapunkt der FPÖ entschärft, sondern diesem überhaupt erst richtig Gewicht verschafft. Denn nur auf Grund seines Verhaltens werden jetzt manche glauben (obwohl sie die große Zahl der bisherigen, sehr ähnlichen Handelsverträge nie gestört hatte): An den Warnungen vor Ceta muss ja doch was dran sein.
  5. Kern hat ebensowenig begriffen, dass das Verhalten der SPÖ seinetwegen zum totalen Widerspruch geworden ist. Denn einerseits fährt sie seit Jahr und Tag eine emotionale Kampagne: „Wir sind die guten Europäer und die Freiheitlichen sind die bösen und gefährlichen Antieuropäer.“ Und dann macht er andererseits die SPÖ selbst plötzlich (neben Grün und Blau) zum lautesten Kämpfer gegen einen Eckpfeiler der EU.
  6. Kern hat auch nicht begriffen, dass die von ihm attackierte Handelsöffnung und die damit zwangsläufig verbundenen Handelsabkommen die wahren großen Erfolge der EU sind, während die Union ja zuletzt bei fast allen anderen Themen schwere Fehler begangen hat (wie: illegale Migration, Griechenland-Rettung, Euro-Politik, Überregulierung, Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Österreich bis Ungarn).
  7. Er hat auch nicht begriffen, dass er mit seinen vier Wochen Widerstand gegen Ceta jeden Hauch einer Wirtschaftskompetenz zertrümmert hat, die er anfangs wegen seiner Vergangenheit als ÖBB-Boss von manchen Mainstream-Medien zugeschrieben bekommen hat (die offenbar glauben, ein Staatsmonopol unter Gewerkschaftsdiktat, das die Steuerzahler jährlich fünf Milliarden kostet, habe irgendetwas mit echter Wirtschaft zu tun).
  8. Kern hat auch nicht begriffen, dass ein Kurs in totalem Gegensatz zum Chef der deutschen Sozialdemokraten für einen noch dazu frischgebackenen SPÖ-Vorsitzenden nicht durchhaltbar ist. Das hat nicht einmal Bruno Kreisky versucht.
  9. Kern hat sich (wie vor ihm Werner Faymann) auf das gefährliche Spiel eingelassen, sich von der Kronenzeitung am Nasenring durch die politische Arena führen zu lassen. Er hat dabei vermutlich auch übersehen, dass die Krone fast noch rascher Leser einbüßt, als seine eigene Partei Wähler verliert (die Krone ist bei der Mediaanalyse binnen weniger Jahre von 43 auf 31 Prozent abgestürzt).
  10. Zum Unterschied von Kern und Kronenzeitung weiß auch ganz Österreich, dass die jetzt schnell geschriebenen Zusatzerklärungen zum Ceta-Vertrag kein Jota an dessen Inhalten ändern, ändern können (zum Glück).
  11. Kern zeigt eklatante Führungsschwäche. Seine ganze Partei konnte wochenlang ohne inhaltliche Vorgaben vom herumzaudernden Chef nur herumeiern und machte damit einen peinlichen Eindruck.
  12. Er begreift nicht, dass sein opportunistisches Hin und Her, und die Wochen der totalen Meinungslosigkeit eines Regierungschefs die Politikerverdrossenheit in der Bevölkerung drastisch weiter gesteigert haben.
  13. Er hat mit seinem Zuwarten ganz offensichtlich auf das Vorliegen von Meinungsumfragen gewartet, statt selbst zu wissen, wie es weitergehen muss.
  14. Er hat auch nicht begriffen, dass er als Newcomer im Kreis der EU-Regierungschefs nur ein Fliegengewicht ist, das niemand ernst nimmt. Er hatte international mit solchen plötzlichen Sich-künstlich-starkzumachen-Aktionen ohne jede fundierte Argumentation am Ende nur die Wahl, peinlich zum Papiertiger zu schrumpfen, oder zum total verachteten Außenseiter zu werden, mit dem sich nicht einmal mehr die linkssozialistischen Schuldenmacher Tsipras und Renzi gerne abbilden lassen würden.
  15. Auch der letzte Versuch, die Kurve zu kratzen, ist daneben gegangen. Denn plötzlich wurde eine einstweilige Verfügung des deutschen Verfassungsgerichts als Vorwand verkauft, warum Kern plötzlich doch Ceta zustimmt. Dabei hat niemand in der SPÖ bis einen Tag vor der Verhandlung in Karlsruhe vom dortigen Verfahren überhaupt Kenntnis genommen, geschweige denn daran gedacht, eine deutsche Verfahrensfrage auf Grund der deutschen Verfassung zum Schlüssel einer österreichischen Entscheidung zu machen.

Diese lange Liste zeigt lauter schwere taktische und strategische Fehler sowie mangelnde Kompetenz und Persönlichkeit. Wer nicht drei Züge vorausdenken kann, sollte nicht schachspielen.

Noch gewichtiger ist aber die inhaltliche Frage. Und da kann es überhaupt keine Frage sein, dass internationaler Handel und die Reduzierung von Barrieren für Handel und Auslandsinvestitionen den Wohlstand erhöht. So wie das schon in den letzten 60 Jahren der Fall gewesen ist, auch wenn vor jedem Schritt der Handelsintensivierung immer jemand furchtbar gejammert hat (meistens, jene, die zuvor nationale Monopole auf Kosten der Konsumenten hatten).

Das gilt für jede Erleichterung und Intensivierung des internationalen Handels, für alle Schiedsvereinbarungen, wie sie ja auch schon durch hunderte Abkommen mit Unternehmen beziehungsweise anderen Ländern bestehen. Alle diese Handelsabkommen werden seit einiger Zeit aber von linksradikalen NGOs (Attac, Greenpeace & Co) zunehmend aggressiv – und bedauerlicherweise zunehmend erfolgreich bekämpft. Diese NGO-Agitation hat ja auch schon das – im Grund hundert Mal wichtigere – WTO-Abkommen zu Fall gebracht.

Ceta ist letztlich nur ein winziges Symbol einer riesigen Zone, in der die Linken derzeit ihren Kampf gegen das marktwirtschaftliche System vorantreiben. Aber auch auf der Rechten werden erstaunlich oft nostalgische Illusionen von einer zünftlerischen Subsistenzwirtschaft längst vergangener Jahrhunderte geträumt, die viele Menschen dort jeden internationalen Handel ablehnen lassen.

Diese Träumer übersehen ebenso wie Kern den zentralen Zusammenhang zwischen Handelserleichterungen und der millionenfachen Völkerwanderung: Wenn wir mit fernen Ländern mit gewaltigem Bevölkerungswachstum nicht oder nicht mehr Handel betreiben, dann werden von dort statt der nicht exportierbaren Produkte noch mehr Menschenmassen nach Europa kommen. Viele NGOs und Linksextremisten wollen das ja auch bewusst fördern. Dass aber auch Kern eine Zeitlang mit diesen Wölfen mitgeheult hat, zeugt von seiner Ahnungslosigkeit – oder davon, dass auch er ein Linksextremist ist.

Das ist jedenfalls eine absolut idiotische Strategie vor allem gegenüber der Dritten Welt. Das Gegenteil wäre logisch: Erleichterung und Hilfe für den Handel, damit diese Länder mehr nach Europa exportieren können, damit dort mehr Arbeitsplätze entstehen. Zugleich aber absoluter Stopp für jede Form von illegaler Migration (was freilich nicht (nur) durch Zäune, sondern primär durch den hundertprozentigen Rücktransport illegaler Migranten in Lager an der EU-Außengrenze umgesetzt werden kann).

Besonders rätselhaft ist freilich, warum es auch auf der Rechten manche Gruppen gibt, die dennoch den Welthandel bekämpfen. Obwohl dieser eine absolute Notwendigkeit zur Reduktion des Migrationsdrucks ist. Anders werden wir das nicht schaffen.

Aber zugegeben: Dieses letzte Rätsel ist keines mehr, das mit der Person des Christian Kern zu tun hätte…

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