Seiersberg oder: Wie Österreich ruiniert wird
19. Juli 2016 01:36
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 4:30
Das größte steirische Einkaufszentrum in Seiersberg steht vor der Schließung. Aber nicht etwa, weil es pleite ist, sondern weil es zum bisher größten Opfer des Nicht-mehr-Funktionierens der österreichischen Maschinerie geworden ist. Die Schuld daran liegt bei Verwaltung, Gerichten und Gesetzgebung auf allen Ebenen. Auch wenn sich wieder einmal niemand schuldig fühlt.
Das Zentrum, das heute 2100 Menschen in rund 200 Firmen einen Arbeitsplatz gibt, und das auch in hohem Ausmaß internationale Kundschaft anzieht, ist seit nicht weniger als 13 Jahren in Betrieb. Aber erst jetzt hat der Verfassungsgerichtshof die Verordnungen der kleinen Gemeinde Seiersberg zur Gründung des Einkaufszentrums als rechtswidrig aufgehoben, obwohl diese Rechtsgrundlagen schon in vielen anderen Verfahren vor ordentlichen Gerichten und Verwaltungsbehörden akzeptiert worden sind.
Dem VfGH zufolge muss das Einkaufszentrum bis Jänner geschlossen werden. Ob davor noch eine gesetzliche Rettungsaktion gelingen kann, scheint zumindest extrem schwierig.
Damit haben Justiz, Volksanwaltschaft und Politik „erfolgreich“ einen weiteren Schritt zur wirtschaftlichen Demolierung Österreichs gesetzt. Alle Welt sieht, was da in Österreich abläuft. Und nimmt zur Kenntnis, dass man bei Investitionen sicherheitshalber einen immer größeren Bogen um die Republik machen sollte.
Die konkrete Schuld im Fall Seiersberg – der ja in Wahrheit nur das bisher schlimmste Symptom eines sich immer mehr verschlimmernden Multiorganversagens ist – findet sich an mehreren Stellen, in mehreren Geisteshaltungen, in mehreren Fehlentwicklungen:
- Eine Rechtsordnung, die eine 13-jährige Rechtsungewissheit möglich macht, ist skandalös. In funktionierenden Rechtsstaaten muss es immer in einem viel, viel früheren Stadium eine unanfechtbare rechtliche Klarheit geben.
- Die Akteure in Justiz, Verwaltung und Gesetzgebung begreifen einfach nicht mehr, dass eine unumstößliche Rechtskraft zehnmal wichtiger ist als die Suche nach einer vermeintlich immer noch größeren Gerechtigkeit durch immer neue zusätzliche Berufungs-, Anfechtungs-, Beschwerdemöglichkeiten. Statt die Zügigkeit unumstößlicher Urteile und Bescheide als oberstes Ziel anzusehen, hat die Politik immer noch mehr Möglichkeiten geschaffen, die Verfahren und damit die Ungewissheit verlängern. Von der Volksanwaltschaft bis zur Gesetzesbeschwerde.
- Die Politik ist damit in die Falle des „Summum ius, summa iniuria“ gelaufen: Wer glaubt, ein immer noch besseres Recht schaffen zu können, schafft am Ende nur das allergrößte Unrecht. Denn die wichtigste Funktion eines Rechtssystems ist es, Klarheit und Eindeutigkeit zu schaffen.
- Eine Rechtsordnung ist katastrophal, in der große Projekte, egal ob Bahnlinien, Kraftwerke oder Flughafenpisten, Fabriksanlagen rechtliche Vorlauffristen von oft 10 bis 20 Jahre haben. Das sind Zeiträume, in denen nur Rechtsanwälte, Verwaltungsbeamte und Gerichte beschäftigt werden, in denen kein einziger produktiver Arbeitsplatz entsteht. Auch die EU ist mitschuld an diesen langen Zeitläufen.
- Es ist völlig logisch, wenn auch eben in Widerspruch zu dieser Rechtsordnung, dass Investoren, die in Österreich investieren wollen, versucht haben, Hand in Hand mit der Politik diesen Weg durch Tricks abzukürzen.
- Die Fehlkonstruktion der österreichischen Rechtsordnung besteht in ihren viel zu vielen kasuistischen Regelungen, in ihren viel zu vielen nicht aufeinander abgestimmten Gesetzesmaterien vom Wasserrecht bis zur Gewerbeordnung, in ihren viel zu vielen in Konkurrenz zueinander stehenden Verwaltungsebenen von der Gemeinde bis zum Bund, in viel zu langsam arbeitenden Behörden und Gerichten.
- Diese Fehlkonstruktion wird durch einen formalistischen Verfassungsgerichtshof noch übertroffen, der sich immer stärker als juristischer Erbsenzähler in alles Mögliche einmengt, der eine immense Lust am Verbieten und Erzwingen entwickelt hat, der sich immer mehr zum Oberstoberstgericht über die anderen Oberstgerichte erhebt. Der ganz offensichtlich heute im Gegensatz zu früheren Perioden von wachsender Lust an der eigenen Macht und Bedeutung getrieben ist (Siehe auch die Aufhebung der Präsidentenwahl). Der aber zugleich Null wirtschaftliches und effizienzorientiertes Denken zeigt. Der, um es mit noch einem anderen alten lateinischen Spruch zu sagen, auf das auch für die Justiz wichtige „…et respice finem“ vergessen hat.
- Noch nie hat sich so eindeutig gezeigt, dass die weitgehenden Kompetenzen der Gemeinden – die ja gar keine Gesetzgebungsorgane sind – im Bereich Raum- und Bauordnung nicht mehr zeitgemäß sind. Hier bräuchte es auf Landesebene eine Zusammenfassung ALLER Rechtsmaterien.
- Alles deutet darauf hin, dass die Gemeinde Seiersberg voller Gier auf die erwarteten Abgaben-Einnahmen aus dem Einkaufszentrum getrickst hat. Sie hat das Zentrum juristisch in einzelne Projekte zerlegt, sodass dessen Genehmigung im eigenen Kompetenzbereich geblieben ist. Diese Einzelteile haben aber wirtschaftlich immer ein Ganzes gebildet.
- Dass dann das Projekt aus welchen Gründen immer – wohl in der Hoffnung auf Arbeitsplätze und aus parteipolitischer Küngelei – auch vom Land Steiermark akzeptiert worden ist, ist ebenfalls problematisch. Das sollte aber keinesfalls 13 Jahre später den VfGH zum Eingreifen ermächtigen.
- Es ist auch tragisch, dass nicht einmal die Exponenten der großen Wirtschaftsverbände begreifen, wie gefährlich sich die juristischen Irrwege, auf welche Politik und Justiz in den letzten Jahrzehnten geraten sind, für den Standort Österreich auswirken. Sie haben jedenfalls nie erkennbar dagegen gekämpft.
- Auch wenn der Ärger der offenbar von den Projektbetreibern nie ausreichend entschädigten Anrainer über das Einkaufszentrum voll nachvollziehbar ist, so ist es nur populistische Wichtigmacherei, dass dann nach den vielen Gerichten und Verwaltungsbehörden auch noch die Volksanwaltschaft mitzuspielen begonnen hat.
Wäre ich Investor, wüsste ich eines mit Sicherheit: Die nächsten Investitionen erfolgen in Slowenien, Ungarn, der Slowakei oder Tschechien. Wohin ja auch schon viele andere internationale Unternehmen gegangen sind, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Warum auch sollten Investoren noch einmal 450 Millionen Euro verlieren wollen, wie sie in Seiersberg in den österreichischen Sand gesetzt worden sind?
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